Teatro alla Scala 17.3.2021
Nach der „Salome“ setzte die Scala die deutschsprachige Streamingproduktion fort, was im Fall der beiden Werke von Kurt Weill auf Texte von Bert Brecht wohl auch der pandemiebedingten Suche nach Arbeiten geschuldet ist, die ohne Chor auskommen.
Die kleine Gruppe geladener Journalisten sah, dass Regisseurin Irina Brook (auch für Bühne und Kostüme verantwortlich) beide Stücke im selben, unveränderten Rahmen spielen lässt – einem Podium, auf dem eine Bar aufgebaut ist, in der sich seltsamerweise auch ein rot umkränztes Madonnenbild befindet. Dahinter sind von Zeit zu Zeit Projektionen in schwarz-weiß von einem Wohnwagen mit seinen Bewohnern zu sehen. Vier Personen männlichen Geschlechts (eine davon – wie von Weill gewünscht – in der Rolle der Mutter) kommentieren die Entwicklung von Anna II, die von ihrer Schwester Anna I unter immer neuen Vorwänden in die titelgebenden Todsünden hineinmanövriert wird, um Geld für ein Eigenheim der Familie zu machen, denn nichts anderes sind die vorgenannten Vier. Während sie sich z.B. in bunter Freizeitkleidung auf Campingstühlen vergnügen, muss sich Anna II in einer Peepshow prostituieren. Seitlich des Podiums sind Kleiderständer positioniert, bei denen die Darsteller sichtbar sind, während sie sich dem Inhalt der Episoden gemäß umziehen.
Die Rolle von Anna I wurde von Kate Lindsey interpretiert, deren Stil meiner Ansicht nach chansonhafter hätte ausfallen können. Eine über den Werktitel hinausgehende Todsünde war aber, dass sie ihren Text praktisch unverständlich vortrug. Dies gilt leider auch für die anderen Sänger, den Sopran Lauren Michelle (Anna II), den Bariton Elliott Carlton Hines (Bruder), den Bass Andrew Harris (Mutter), den Tenor Michael Smallwood (Bruder), nicht aber für Matthäus Schmidlechner (Vater), von dem ich erst nachher entdeckte, dass es sich um einen Muttersprachler (Österreicher) handelte.
„Mahagonny-Song“ ist recht interessant, wenn man die komplette Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ kennt, handelt es sich doch um einen ersten Entwurf, in welchem aber bereits der berühmte „Moon of Alabama“ vorkommt. Hier war ersichtlich, dass die vielen das Podium umgebenden leeren Wasserflaschen aus Plastik das Meer suggerieren sollten, das die Personen der Handlung queren müssen, um in einem Boot in Mahagonny anzulegen. Die Euphorie der Figuren erlischt bald zwischen Überfällen (der Schauspieler Martin Chishimba aus Sambia, der auch im ersten Teil mit Glitzerkleid den Barmixer gegeben hatte, wird zum Opfer, zeigt sich später aber weiß gefiedert, was mir rätselhaft blieb) und Sauforgien.
Die Burschen Jimmy, Bobby, Billy, Charlie und die Mädchen Jessie und Bessie waren (in dieser Reihenfolge) den Herren Harris, Hines, Smallwood und Schmidlechner und den Damen Michelle und Lindsey anvertraut. Auf einer Leinwand wurden in englischer Sprache die auf die Todsünden zurückgehenden schlechten Eigenschaften der Menschen projiziert. Sie alle machten aus ihren Rollen das Beste, denn eine wirklich profilierende Regie war – wie schon im ersten Teil – nicht gegeben. Der Abend schloss mit der Interpretation von „Whiskybar“, der Version des Alabamasongs von Jim Morrison und den Doors. Nach der Vorstellung erklärte die Regisseurin, sie sei trotz der schweren Zeiten Optimistin, weshalb sie die Produktion schwungvoll und nicht allzu trist beenden wollte.
Der musikalische Leiter war Riccardo Chailly, der sich als Kenner der jazzigen Klänge von Weills Musik zeigte und vor allem die prachtvolle, reiche Instrumentation der „Sieben Todsünden“ richtig aufblühen ließ. „Whiskybar“ war übrigens auch vor Beginn der Vorstellung (ungeplant?) gespielt worden, und da swingte das Orchester des Hauses mit merklich größten Vergnügen mit!
Eva Pleus 26.3.21
Bilder: Brescia & Amisano / Teatro alla Scala