Mailand: „L’amore dei tre re“, Italo Montemezzi

Der Komponist Italo Montemezzi (Vigasio, Provinz Verona 1875-ebenda 1952) ist in Europa außerhalb Italiens nicht sehr bekannt, hingegen in den USA sehr populär. An ihn und seine Werke glaubten nicht nur große Dirigenten wie Toscanini, De Sabata, Serafin oder Marinuzzi, sondern auch der Verleger Ricordi, der ihn nach anfänglichen kleinen Erfolgen unter Vertrag nahm. Und Montemezzi, der 1900 sein Studium am Mailänder Konservatorium abgeschlossen hatte, sollte den bedeutenden Musikverleger nicht enttäuschen.

(c) Virginio Levrio

Auf der Suche nach einem geeigneten Libretto stieß der Komponist auf das Drama von Sem Benelli, der seit seinem Triumph mit „La cena delle beffe“ (später von Umberto Giordano vertont) zu einem bekannten und beliebten Autor von Bühnenstücken mit historischer Thematik geworden war. Benelli erklärte sich bereit, aus seinem Text selbst ein Libretto zu formen, wofür ihm Montemezzi keine Vorgaben machte, sodass nach Reduzierung der Anzahl der Personen der Text fast wörtlich vertont werden konnte.

Worum geht es in dieser „Liebe der drei Könige“? Archibaldo (Bass) ist ein vor Jahren aus dem Norden gekommener Barbar, der einen (fiktiven) Teil Italiens unter seine Herrschaft gebracht hat. Der erblindete Alte hat seine barbarischen Sitten und Charakterzüge nie abgelegt, im Gegensatz zu seinem Sohn Manfredo (Bariton), der zwar auch kampfgestählt ist, aber eine sensible Seele besitzt. Ihm wurde, um Frieden mit den unterworfenen Besiegten zu schließen, Fiora (Sopran) anvermählt. Diese liebt aber ihren ursprünglichen Verlobten, den Königssohn Avito (Tenor). Der Alte, durch seine Blindheit besonders gut hörend, schleicht seiner Schwiegertochter, die er im Verdacht hat, sie betrüge seinen Sohn, so lange nach, bis Fiora ihre leidenschaftlichen Treffen mit Avito nicht mehr leugnen kann oder will und ihm ihre verbotene Liebe ins Gesicht schreit. Daraufhin wird sie von Archibaldo erwürgt, dem es nicht gelingt, herauszubekommen, wer ihr Liebhaber war. Deshalb bestreicht er die Lippen der Toten mit einem Gift, in der Sicherheit, ihr Geliebter werde die Tote noch einmal sehen wollen und küssen. So geschieht es auch, aber Manfredo ist von einem projektierten Feldzug zurückgetreten und heimgekehrt und muss erfahren, wie sehr Fiora, die zu ihm immer kühl war, Avito geliebt hat. So will nun auch er sterben und küsst Fioras vergiftete Lippen. Archibaldo hat also auch seinen Sohn getötet und bleibt allein zurück.

(c) Virginio Levrio

Montemezzi nannte seine Oper „poema tragico“ und schrieb eine schillernde, wesentlich von Wagner, aber auch Debussy beeinflusste Musik, deren Höhepunkt ein langes Liebesduett im 2. Akt ist, das wiederholt mit dem 2. Akt „Tristan“ verglichen wurde. Die Rolle des Tenors ist heldisch und sehr exponiert geschrieben, aber auch für den Sopran gibt es zahlreiche schwierig zu bewältigende Stellen. (Man fragt sich, warum der Schluss des großen Duetts in dieser Produktion gestrichen wurde, stellt dieses doch das Herzstück der Oper dar: Zu anspruchsvoll für die Solisten?).

Die Oper wurde 1913 mit großem Erfolg an der Scala uraufgeführt (unter Tullio Serafin und mit Sangesgrößen wie Nazzareno De Angelis und Carlo Galeffi), und bei der Mailänder Aufführung 1937 sangen u.a. Tancredi Pasero und Carlo Tagliabue; die letzte Produktion bot 1953 Nicola Rossi Lemeni auf. 1914 folgte die amerikanische Erstaufführung unter Toscanini an der New Yorker Met, die zu einem beispiellosen Triumph wurde. Das Werk blieb über 25 Jahre im Repertoire und wurde neben den schon erwähnten Namen von großen Dirigenten wie Bruno Walter oder Leopold Stokowsky dirigiert. Montemezzi, den man weder dem Verismo, noch der sogenannten Giovane Scuola zurechnen kann, schrieb noch drei weitere Opern, die nach ihrer jeweiligen Uraufführung aber sang- und klanglos von den Bühnen verschwanden.

Siebzig Jahre nach der letzten Aufführung bereitete die Scala nun eine Neuproduktion vor. Am Pult des Hauses debütierte (!) Pinchas Steinberg, der das Werk besonders liebt und schon zum fünften Mal leitete, allerdings bisher immer konzertant. Er spornte das Scala-Orchester zu einem üppigen, süffigen Klang an, der aber immer durchhörbar blieb und die Stimmen nie zudeckte. Archibaldo hätte Günther Groissböck singen sollen, der aber bald nach Probenbeginn ohne weiteren Kommentar durch Evgeny Stavinsky ersetzt wurde. Der Russe verfügt über einen angenehm timbrierten Bass, den er sehr musikalisch führt, doch fehlt ihm die darstellerische Wucht, um dem bösartigen Alten das entsprechende Gewicht zu verleihen (und es fehlte die Facette, dass der alte König Fiora genauso begehrt wie Avito und Manfredo). Letzterer wurde von Roman Burdenko mit weichem Bariton glaubwürdig als unter der Kälte seiner Frau leidender „Gutmensch“ interpretiert.

Die teuflisch schwierige Rolle des Avito bewältigte Giorgio Berrugi mit beachtlicher Sicherheit, ohne der Figur stärkere Kontur zu schenken (was freilich auch am Libretto liegt, denn die Musik lässt ihn zwar heldisch singen, der Text aber nur zögerlich agieren). Chiara Isotton war eine besonders schönstimmige, ihre Liebe stolz auslebende Fiora, bei der man bedauerte, dass die Figur im 3. Akt nur mehr als Leiche vorhanden ist. Flaminio, den Begleiter Archibaldos, gab mit angenehmem Tenor Giorgio Misseri. Ein Pauschallob für die Interpreten weiterer fünf Minirollen. Verlässlich wie immer der Chor des Hauses unter Alberto Malazzi.

Die Regie hatte Àlex Ollé von der Fura dels Baus inne, und wenn sie einen Eindruck hinterließ, so war dieser dem Bühnenbild von Alfons Flores zu verdanken, der eine Art Vorhang aus über 800 Ketten geschaffen hatte, der sehr gut die Einsamkeit und Eingeschlossenheit Fioras charakterisierte. Dahinter befand sich eine die Burg symbolisierende Treppe, im 3. Akt dann die Bahre für Fiora. Die an mittelalterlichen Gewändern inspirierten Kostüme von Lluc Castells entsprachen den Vorstellungen, die man von jener Zeit hat. Eine eigentliche Personenregie war nicht auszunehmen.

Das Publikum klatschte mehr als freundlich für die Solisten und Steinberg, und auch das Regieteam kam ungeschoren davon.

Eva Pleus, 20. November 2023


L’amore dei tre re
Teatro alla Scala

28. Oktober 2023 (Premiere)

Inszenierung: Àlex Ollé
Musikalische Leitung: Pinchas Steinberg
Orchestra del Teatro alla Scala