Aufführung am 13.12.21 (Premiere am 7.12.)
Der böse Spruch vom kreißenden Berg, der ein Mäuslein gebar, soll hier nicht zur Anwendung kommen, aber was die szenische Umsetzung von Verdis zugegeben schwierig zu inszenierendem Werk betrifft, ist diese Feststellung so falsch nicht, beherrschen doch Gigantographien die Bühne, ohne einen besonderen Einfluss auf das Geschehen zu haben. Es ist bekannt, dass Regisseur Davide Livermore ein großer Filmliebhaber und -kenner ist; diesmal hat er sich an Christopher Nolans „Inception“ orientiert, einem Film, der Kinogehern zahlreiche Rätsel aufgab.
In diesem Sinne wird das Bühnenbild von Videos überlagert (dafür verantwortlich: die zu Livermores festem Team gehörenden Giò Forma bzw. D-WOK). Zu sehen sind die Wolkenkratzer einer nicht näher definierten Großstadt bei Nacht, durchaus manchmal von Blitzen durchzuckt. Was aber die Konzentrationsfähigkeit des Publikums wirklich stört, sind die verschiedenen Wechsel der Spielflächen, die einem ständigen Hinauf und Hinunter unterliegen, sowie ein in der Bühnenmitte installierter Aufzug, in den sich Macbeth, Lady und Banco allein oder zu zweit ohne ersichtlichen Grund begeben. Und wenn es ans Eingemachte geht, sprich Massenszenen verlangt werden, versagt die Regie, indem sie Chor und Komparserie in altbewährter Weise in eine Richtung und umgekehrt laufen und zeitweise zu Standbildern erstarren lässt. Mir ist nicht bekannt, inwieweit für diese Bewegungsregie der vom Broadway geholte Daniel Ezralow involviert war, denn seine Choreographie der für Paris geschriebenen Ballettmusik (gegeben wurde die zweite Fassung von 1865) war mit ihren bedrohlichen Gestalten und Figuren als durchaus gelungen anzusehen. Dass Lady ständig rauchen und Whisky trinken und sich auch ihre Dama bei der Nachtwandelszene einen Glimmstängel anzünden muss, scheint mir ein kindisches Symbol für lockere Sitten. Wir verstehen: Macbeth und sein Gespons sind mafiösen Maßnahmen zugeneigte Aufsteiger des Kapitalismus. Ein Kapitel für sich waren die vollkommen misslungenen Hexenszenen, die in ihrer blauen Sekretärinnentracht (Kostüme: Gianluca Falaschi) nicht einen Hauch von Grauen zu verbreiten vermochten.
Jenen Lesern, die die Fernsehübertragung gesehen haben, kann ich sagen, dass sie damit auf der besseren Seite waren, denn die gesamte Produktion war auf dieses Medium zugeschnitten, inklusive der Schwarzweiß-Aufnahmen in Macbeths Auto oder im erwähnten Aufzug (die dem Publikum im Haus natürlich vorenthalten werden mussten). Die Kamera vermochte dieses spezielle optische Geschehen natürlich anders einzufangen als das auf die Bühne gerichtete menschliche Auge. Dies ergibt den Eindruck, dass der Regisseur der Wirkung auf einer „normalen“ Bühne nicht traut. (Und falls es jemandem aufgefallen ist, wie Macduffs Schwert an Macbeth bei seiner Ermordung vorbeigeht: Das war auch realiter so und bestätigt meine Ansicht, dass vor lauter szenischer Großmannssucht wichtige szenische Details vernachlässigt wurden). Auch musste diese dritte Vorstellung unterbrochen werden, weil der Mechanismus einer der Brücken versagte und Macbeth nicht zur Lady hinunter konnte. Salsi sagte das dem konsternierten Publikum; die Unterbrechung dauerte etwa 10 Minuten, dann erfuhr man, dass die Brücken an diesem Abend nicht weiter verwendet würden, durchaus ein Vorteil für den geplagten Zuschauer.
Doch nun endlich zum musikalischen Teil, der glücklicherweise von außerordentlich hohem Niveau war. Am Pult des Orchesters des Hauses spürte Riccardo Chailly den kleinsten Details von Verdis genialer Partitur nach, ohne je den großen Bogen aus den Augen zu verlieren. Ein Restchen Erdenschwere in Form nie ganz nachlassender Angespanntheit (nicht zu verwechseln mit Spannung) bleibt für mich bei diesem Dirigenten immer, aber es handelte sich in jedem Fall um eine ausgezeichnete Leistung.
In der Titelrolle faszinierte Luca Salsi vom ersten bis zum letzten Ton. Seine großzügig bemessenen stimmlichen Mittel erlauben ihm bei der Interpretation von Szenen, in welchen Macbeth von Panik erfasst wird, auch ein declamato, das immer nachdrücklich bleibt. Das aus der ersten Fassung von 1847 übernommene „Mal per me“ spiegelte die ganze Gebrochenheit dieses im Grunde feigen Menschen wieder. „Pietà, rispetto, amore“ wurde mit beispielhafter Intensität vorgetragen. Anna Netrebko hatte bei dieser Vorstellung ihre leichte Indisposition von der Premiere überwunden und sang ebenso fulminant wie sie spielte. Es war jeden Augenblick klar, dass sie in diesem Ehepaar der dominante Teil war, großartig ihr „Vergogna, signor“ in der Bankettszene. Ihre Nachtwandelszene ließ das Blut gefrieren, und es war bewundernswert, wie die Künstlerin sie in höchster Höhe auf einem schmalen Grat, wenn auch gesichert, absolvierte. (Der unter ihr tobende Straßenverkehr war auch nur im TV zu sehen). Eindrucksvoll und hochprofessionell ihre Beteiligung als Tänzerin bei der Ballettmusik. Eine bewundernswert wagemutige Sängerin, die trotz ihres Status als Star vor keiner Herausforderung kneift.
Dem Banco verlieh Ildar Abdrazakov mit wunderbar auf Linie geführtem Bass elegantes Profil, und einmal mehr bedauerte man die Kürze dieser Rolle. Ein idealer Macduff war Francesco Meli, der seine Arie plattenreif vortrug. Beim Malcolm von Iván Ayón Rivas konnte man den mitreißenden squillo seines Tenors bewundern. Als Dama tat sich Chiara Isotton in den Ensembles hervor, ein mitfühlender Medico war Andrea Pellegrini. Der Chor des Hauses machte in der Einstudierung von Alberto Malazzi seinem Ruhm alle Ehre und sang „Patria oppressa“ vorbildlich und berührend.
Da sich die Buhs für die Regie naturgemäß auf die Premiere beschränkten, gab es am Schluss viel Beifall und Jubel für die Künstler.
Eva Pleus, 28.12.2021