Novara: „Aida“

Premiere am 7.10.16

Beachtlich!

Vor fünf Jahren wurde die Leitung des ziemlich herabgewirtschaftete Hauses (ein „Teatro di tradizione“, was ungefähr dem dreispartigen Stadttheater nördlich der Alpen entspricht) von Renata Rapetti, die aus dem Sprechtheaterbereich kommt, übernommen. Bei der Wahl des segretario artistico, der für die Besetzung der Opernproduktionen verantwortlich ist, hatte sie eine glückliche Hand, denn der aus Novara stammende Regisseur Renato Bonajuto ist in Sängerkreisen bestens eingeführt, und es gelingt ihm immer wieder, auch bekannte Namen zu für das Haus besonders günstigen Konditionen zu verpflichten. Daneben wird auch dem Nachwuchs eine Chance gegeben, was in der vorigen Saison eine triumphale Wiedergabe von Rossinis „Viaggio a Reims“ hervorbrachte (siehe „Merker“ Nr. 307 vom November 2015). Dieser Erfolg führte dazu, dass Matteo Beltrami, der in Novara bereits andere erfolgreiche Produktionen, wie etwa „Norma“ und „Turandot“, geleitet hatte, zum Musikdirektor des Hauses ernannt wurde. In der Tat hatten die Erfolge der vergangenen Jahre zu einem stark gesteigerten Interesse an den Opernproduktionen geführt.

Und so hat man sich in Novara einen Brocken wie „Aida“ vorgenommen. Der Tradition folgend, nicht immer gestandene Opernregisseure zu berufen, verpflichtete Rapetti zwei Herren – den künstlerischen Leiter der Arena di Verona Paolo Gavazzeni und den Direktor des zum TV-Konzern von Sky gehörenden Unternehmens Classica HD Piero Maranghi. Die beiden gingen mit großem Respekt vor Verdis Oper ans Werk, und es ist ihnen gelungen, eine traditionelle, aber sehr stimmige Inszenierung zu schaffen. Großen Anteil daran hatten die geschmackvollen Kostüme, aber speziell das Bühnenbild von Leila Fteita. Verschiebbare Wände gaben die Möglichkeit, alle Schauplätze überzeugend darzustellen, unterstützt auch durch eine raffinierte Lichtregie von Angelo Linzalata, die Wüstenatmosphäre unter brennender Sonne ebenso suggerierte wie (besonders schön) den Zauber der nächtlichen Nilszene. Nicht vergessen werden darf die phantasievolle Choreographie von Simona Bucci, die aus den tanzenden Mohren kleine ägyptische Buben machte, die sich bereits im Kriegshandwerk üben. Es zeigte sich wieder einmal, wie eindrucksvoll mit beschränkten Mitteln Theater gemacht werden kann. (Sehr suggestiv z.B. der Triumphmarsch durch die Mittelreihe des Parketts).

War der visuelle Eindruck schon überzeugend, so war die musikalische Wiedergabe nichts weniger als mitreißend. Beltrami muss mit dem Orchester des Konservatoriums „Guido Cantelli“ Novara mit unheimlicher Intensität gearbeitet haben, denn die opernunerfahrenen jungen Leute (die ihre Professoren als Pultführer hatten) brachten einen Klang zustande, der einem Profiorchester der Mittelklasse wohl angestanden wäre. Und dass Beltrami ein exzeptioneller Sängerbegleiter ist, hat sich schon herumgesprochen. Der Coro San Gregorio Magno, der in den vergangenen Jahren noch etwas zu wünschen übrig ließ, wurde um den Coro del Ticino bereichert und brachte es unter der Leitung von Mauro Rolfi (und mit tatkräftiger Unterstützung Beltramis) zu einer sehr guten Leistung.

Für die Titelrolle war die Kolumbianerin Alexandra Zabala, im Vorjahr bei Rossini eine gefeierte Corinna, verpflichtet worden. Sie gehört zu den Sängerinnen, die nie forcieren und setzte ihren voll lyrischen Sopran mit größter Raffinesse ein, erfreute mit wunderbaren filati und einer herrlichen Nilarie. So gingen die paar tiefen Töne, über die sie nicht verfügt, dem Hörer nicht ab. Ihr Radamès Walter Fraccaro war stimmlich das Gegenteil der Geliebten, denn er verfügt über ein wahrlich raumsprengendes Organ und zelebriert die heldischen Spitzentöne mit Lust, nahm aber im 3. und 4. Akt durchaus Rücksicht auf seine Partnerin. Eine leidenschaftliche Amneris war die Arena-erprobte Bulgarin Sanja Anastasia, die der Pharaonentochter glaubwürdiges Profil verlieh und in der Priesterszene groß aufdrehte. Ein paar stimmliche Schärfen nimmt man da gerne in Kauf. Elia Fabbian war ein recht derber Amonasro (und außerdem angesichts der farbigen Komparsen für die besiegten Äthiopier zu hell geschminkt). Der noch junge Antonio Di Matteo ließ als Ramphis einen interessanten Bass hören, an dessen Höhe noch zu arbeiten sein wird. Interessant auch das Material von Gianluca Lentini (König), angenehm der Sopran von Marta Calcaterra als Priesterin. Etwas befangen (Lampenfieber?) klang der Bote des jungen Türken Murat Can Guvem.

Der Premierenerfolg war so durchschlagend, dass wegen der großen Kartennachfrage statt der vorgesehenen einzigen Reprise eine weitere Vorstellung angesetzt werden musste. (Außerdem wird die Aufzeichnung im Dezember im neuen 360º-Verfahren im Fernsehen gezeigt). Weiter so, Novara!

Eva Pleus 15.10.16

Bilder (c) Mario Finotti / Teatro Coccia