Premiere am 10.10.14
Die Saisoneröffnung des Dreispartenhauses der zwischen Mailand und Turin gelegenen Stadt fand genau am Geburtstag von Giuseppe Verdi statt. Mit Daniele Abbado (Regie), Andrea Battistoni am Pult und dem Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI waren Namen aufgeboten, von denen man sich rechtens einiges erwarten durfte.
Leider waren es genau diese, die solch berechtigte Erwartungen enttäuschten. Da war zunächst die Regie: Unsere Wiener Leser kennen ja Abbados missglückten „Don Carlo“ an der Staatsoper. Nun, bei dieser „Traviata“ liefen die Dinge nicht viel besser, denn offenbar kann der Regisseur nicht mit dem Chor umgehen (wobei der Coro Schola Cantorum San Gregorio Magno unter Mauro Rolfi recht anständig sang). Die Choristen wurden samt den Comprimari in einem Kreis herumgejagt, wobei man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, die berühmte Salzburger Willy Decker-Regie wäre dazu Pate gestanden, nur dass hier alles holprig wirkte. Ebenso von jener Regie abgekupfert war der Einfall, Violetta von vier der Gäste im 1. Akt ausgestreckt auf Händen tragen zu lassen, wobei die vier sichtlich bemüht waren, niemandem auf die Füße zu steigen – unfreiwillig komisch!
Für Bühnenbild, Kostüme und Licht war Angelo Linzalata verantwortlich: Es dominierte der Minimalismus, da es in den grauen Wänden gerade einmal ein Sofa und einen Stuhl gab. Auch hier Widersprüche der Regie, wenn Anina auftritt, ohne dass Violetta nach ihr geläutet hat und ihr im letzten Bild auch nicht das verlangte Glas Wasser reicht und keine Vorhänge öffnet. Dafür ist die Titelrollenträgerin auch während Alfredos „Dei miei bollenti spiriti“ anwesend, ebenso wie Dr. Grenvil das ganze letzte Bild hindurch. Recht gut gelöst hingegen die Szene, wenn Alfredo Violetta das gewonnene Geld hinschleudert und sich geradezu auf sie wirft. Schlimm dafür die Ballettszene im 3. Bild (Choreographie: Simona Bucci), in der die Tänzer so gar nicht zur minimalistischen Atmosphäre und auch zum Text der Matadores und Zigeunerinnen passten, ganz zu schweigen von den in Violettas Zimmer eindringenden Karnevalsgestalten im 3. Akt (an sich eine gute Idee, um die Distanz zwischen der leidenden Protagonistin und dem Treiben draußen zu versinnbildlichen, aber leider in höchst lächerlicher Durchführung).
Andrea Battistoni, 1987 in Verona geboren, ist eine Art Wunderkind am Dirigentenpult, das ich auch schon Gelegenheit hatte, zu loben. Allerdings stieg auch er die Karriereleiter etwas zu rasch hinauf, und wieder einmal stellte sich heraus, dass großes Talent nicht gleich Genialität bedeutet und Erfahrung durch nichts zu ersetzen ist (auch ein Carlos Kleiber hat in der deutschen Provinz einst „I due Foscari“ dirigiert…). Battistoni hatte immer wieder gute Einfälle, ließ die Bläser zum Beispiel wiederholt einen klagenden Ton unterstreichen, aber nicht nur mit dem Chor geriet er in den Ensembles bisweilen ganz schön auseinander. Dazu kam, dass das Orchester der RAI wenig Gelegenheit hat, Oper zu spielen, was seine Begleitfunktion wesentlich erschwerte.
Zum Glück war die Trägerin der Titelrolle in der Lage, sozusagen freihändig eine große Gestaltung abzuliefern: Aurelia Florian, ab kommender Saison in München im Ensemble engagiert, sang einen sehr guten, aber noch nicht mitreißenden ersten Akt, um sich dann unerhört zu steigern und das letzte Bild, ganz ohne regieliche Unterstützung, mit größter Intensität zu gestalten. Ihr reiner Sopran besitzt eindringlich lyrisches Timbre und blüht in der Höhe sehr schön auf. Von der jungen Rumänin ist mit Sicherheit noch einiges zu erwarten. Fast so intensiv umjubelt wie sie wurde Simone Piazzola, der mit seinen 29 Jahren eine tatsächlich ausgereifte Stimme hören lässt und die „segni d’espressione“ Verdis umsetzt wie schon lange kein Bariton mehr. Bei ihm machte sich das Fehlen jeglicher Anleitung durch den Regisseur leider stark bemerkbar, denn sein einziges szenisches Ausdrucksmittel war, mit dem linken Arm zu rudern – im so knapp beschickten Rahmen der Verdibariton ist er natürlich willkommen (wenn er sich noch etwas Zeit lässt und nicht gleich die ganz großen Partien angeht, wie mit der „Macht des Schicksals“ in Valencia geschehen und leider in den kommenden Monaten für die Titelrolle in „Simon Boccanegra“ in Venedig vorgesehen). Vincenzo Costanzo bringt für den Alfredo mit, dass er jung (23-jährig) und fesch ist, also eindeutig zu wenig. Im 1. Akt saß die Stimme ganz hinten in der Kehle, und nachdem er sie von dort herausgeholt hatte, forcierte er, dass sich die Bühnenbretter bogen. Man fragt sich manchmal wirklich, welche Lehrer bzw. Berater diese jungen Leute haben! Bei den Comprimari seien Marta Calcaterra als anrührende Annina und Giampiero Cicino als beweglicher Marchese hervorgehoben.
Vor allem für Sopran und Bariton große Begeisterung beim Publikum.
Eva Pleus 18.10.14
Bilder: Mario Finotti / Teatro Coccia