Aufführung am 27.10.17 (Premiere)
Ironiefrei
Dieses Haus, über das ich schon mehrmals berichten konnte, hat es sich u.a. zur Aufgabe gemacht, jedes Jahr einen Kompositionsauftrag für einen Einakter zu vergeben. Diesmal ging die Einladung an den 1968 in Alessandria (Piemont) geborenen Alberto Colla, der 2002 bereits eine auf Kafkas „Prozess“ basierende Oper geschrieben hatte. Diesmal entschied er sich für eine Erzählung von Oscar Wilde, „Lord Arthur Savile’s Verbrechen“, in welcher der große irische Schriftsteller die Doppelmoral des viktorianischen Zeitalters aufs Korn nimmt.
Bei einem Empfang wird Lord Savile von einem Handleser prophezeit, dass er in naher Zukunft einen Mord begehen werde. Savile, der kurz vor der Hochzeit mit Sybil Merton steht, beschließt, diesen Mord vor seiner Verheiratung zu begehen, um seine Verlobte nicht in einen allfälligen Skandal hineinzuziehen. Er händigt unter dem Vorwand eines Medikaments einer alten Cousine ein vergiftetes Bonbon aus, aber als sie stirbt, stellt sich heraus, dass ihr Tod ein natürlicher war. Daraufhin wählt Savile einen Onkel, den er mittels einer präparierten Uhr in die Luft sprengen will, aber es kommt nur zu einer lächerlich kleinen Detonation. Verzweifelt schmiedet der Lord Selbstmordpläne, als er auf einer Londoner Brücke Sir Podgers begegnet, der ihm die Prophezeiung gemacht hatte. Flugs wirft er den Mann in die Themse – der Weg zu einer gutbürgerlichen Existenz ist frei!
Wildes Geschichte ist natürlich mit der bei diesem Autor bekannten Ironie durchtränkt, die von Colla, der auch das Textbuch selbst schrieb, allerdings völlig beiseite gelassen wurde. Auch dramaturgisch ist das Libretto nicht sehr geglückt, denn den entscheidenden Moment der bösen Wahrsagung bekommt der Zuschauer nicht zu sehen. Musikalisch ist das Werk vom Orchester her nicht uninteressant, bleibt aber ohne eigentlichen Höhepunkt. Dies gilt auch für die eher monotone Gesangslinie, die allerdings den Vorteil hat, von den Sängern keine übermenschlichen Intervallsprünge und Ähnliches zu verlangen.
Die Regieanweisungen im Libretto sind hinsichtlich der Bühnenausstattung sehr ausführlich, aber die Regisseure Paolo Gavazzeni und Piero Maranghi beschränkten sich weise darauf, das 65 Minuten lange Werk knapp ausgestattet (Bühnenbild und Beleuchtung: Angelo Linzalata, Zeichnungen: Akos Barat) und in den der dargestellten Epoche entsprechenden, hübschen Kostümen (Nicoletta Ceccolini) zu präsentieren und ihrem jungen Ensemble die Chance zu persönlicher Charakterisierung zu geben.
Tatsächlich entsprachen alle Mitwirkenden dem Persönlichkeitsprofil der von ihnen interpretierten Figuren: Michele Patti mit angenehmem Bariton als Lord Savile, Laura Baudelet mit hübschem Sopran als Sybil, die Mezzosoprane Carlotta Vichi, Rachel O’Brien und Tania Pacilio als Damen der Gesellschaft bzw. zu ermordende Cousine. Morgane Bertrand (Sopran) ergänzte als Herzogin. Vittoriana De Amicis (Sopran) hatte eine nette Szene mit der Erzählung von der missglückten Detonation. Als Handleser Podgers hinterließ der Tenor Didier Pieri nachhaltigen Eindruck, aber auch Pasquale Scircoli als Hotelmanager, Davide Procaccini als Apotheker und vor allem Gabriele Bolletta als verhinderter Bombenbauer Winckelkopf und Partygast Sir Thomas gefielen. Die vom Komponisten aus Wildes „De Profundis“ entnommenen, eingestreuten Texte bewegten das Werk noch weiter von einem satirischen Ansatz weg. Vorgetragen wurden sie von dem Schauspieler Alessandro Tedeschi. Marco Alibrando dirigierte umsichtig das Orchestra Talenti Musicali.
Bei diesem dritten der in Novara vorgestellten zeitgenössischen Werke war das Haus sehr gut besucht, und auch der Beifall für den Komponisten und die Ausführenden fiel mehr als herzlich aus.
Eva Pleus 31.1O.17
Bilder: Mario Finotti