Novara: „Carmen“

Aufführung am 6.10.17 (Premiere)

Wenn die Regie nicht wär…

Seit in den letzten Jahren dank einer motivierten künstlerischen und musikalischen Leitung in dem Dreispartenhaus das Interesse des Publikums an der Oper merklich gestiegen ist, wird die Saison mit einer neuen Opernproduktion eröffnet, während sie früher eben einfach begann.

Dieses Jahr war die Wahl auf Georges Bizets Meisterwerk gefallen, das in den vier Hauptrollen vorzüglich besetzt war, wobei die Titelrolle und Don José von den jeweiligen Künstlern zum ersten Mal gesungen wurden. Alisa Kolosova, von 2011 bis 2014 im Ensemble der Wiener Staatsoper, war eine insofern sehr moderne Carmen, als sie sich vor allem bei Habanera und Seguidilla für einen chansonartigen Tonfall entschied, der sich nach und nach dem immer dramatischer werdenden Geschehen anpasste. Ihr Mezzo ist eine echte Qualitätsstimme mit bruchlosem Registerwechsel, die auch in der Höhe nicht die typische warme Farbe verliert. Azer Zada aus Aserbaidschan ist Besitzer eines angenehm dunkel timbrierten Tenors und als Absolvent der Accademia della Scala bereits im Besitz einer beachtlichen Technik, die ihm vor allem eine ausgezeichnet interpretierte Blumenarie ermöglichte. Seine dramatischen Ausbrüche im 3. Akt scheinen auf eine Weiterentwicklung Richtung lirico spinto zu verweisen. Als Escamillo gefiel Simón Orfila nicht nur durch temperamentvolles, gleichwohl elegantes Auftreten, sondern auch durch die Beherrschung der unangenehmen Tessitura der Rolle. Valeria Sepe war eine Micaela, die sich durch beherztes Auftreten der Larmoyanz ihrer Rolle entzog und mit ihrer Arie im 3. Akt viel Applaus einheimsen konnte. Interessant war die Besetzung von Frasquita und Mercedes mit der blutjungen, höhensicheren Leonora Tess und der (trotz Indisposition) samtstimmigen Giorgia Gazzola. Zu den Nachwuchskräften Gianluca Lentini (Zuniga), Lorenzo Grante (Moralès) und Didier Pieri (ein pfiffiger Remendado) gesellte sich der erfahrene Veteran Paolo Maria Orecchia als Dancaire.

Die glückliche Hand des Musikdirektors Matteo Beltrami und des künstlerischen Sekretärs Renato Bonajuto bei der Auswahl von Besetzungen hatte sich wieder einmal bewährt. Dazu kam Beltramis temperamentvolles Dirigat, das dem Duett José-Micaela seine Süßlichkeit nahm und andererseits den entfesselten Zigeunerrhythmen das nötige Feuer verlieh.

Was dem Abend leider fehlte, war eine überzeugende Regie. Wieder einmal hatte Renata Rapetti, die Intendantin des Hauses, auf einen Namen gesetzt, der in Italien nur außerhalb der Bühne und gar erst der Oper bekannt ist. Der angesehene Filmregisseur und -darsteller Sergio Rubini versuchte sich erstmals an einer Opernregie, und das hat leider nicht funktioniert (trotz immerhin 20 Tagen Probenzeit).

Konnte man angesichts nicht allzu voller Kassen das Bühnenbild von Luca Gobbi, das sich in zwei Treppen jeweils rechts und links auf der Szene erschöpfte, akzeptieren, wollte man angesichts der teilweise überzeugenden Kostüme von Patrizia Chericoni darüber hinweg sehen, dass die Zigarettenarbeiterinnen schwarze, bis zum halben Oberschenkel reichende Seidenstrümpfe trugen, die Freudenmädchen besser angestanden wären, so war der tapfer singende Coro San Gregorio Magno, einstudiert von Mauro Rolfi, vollkommen sich selbst überlassen, was auch für die Solisten gilt. Wer ein gewisses schauspielerisches Talent besaß, ließ sich etwas einfallen, wer nicht, stand hilflos herum (wie leider Don José). Als im letzten Akt ein großgewachsener Farbiger mit Stierkopf und spärlich mit einem Tanga bekleidet hereingetragen wurde, wurde es schwierig, nicht zu schmunzeln, und als José Carmen vor versammelter Menge erstach und diese Menge dann der Toten mit roten Tüchlein zuwinkte, wurde man als Zuschauer ratlos.

Da die musikalische Seite so überzeugend ausgefallen war, wurde der Abend dennoch zu einem mit viel Applaus bedankten Erfolg.
Eva Pleus 10.10.17

Bilder: Mario Finotti