Bergamo: „Maria de Rudenz“

Teatro Donizetti am 22.9.13

Dieses in Venedig 1838 uraufgeführte Werk war eine der letzten Opern, die Gaetano Donizetti für Italien schrieb, und bei der Premiere war es einer der eklatantesten Misserfolge in der Laufbahn des Komponisten aus Bergamo. Basierend auf dem französischen Rühr- und Horrorstück „La nonne sanglante“ von Anicet Bourgeois und Julien de Mallian, das in Paris 1835 triumphale Erfolge gefeiert hatte, sah sich Librettist Salvadore Cammarano gezwungen, vieles aus dem Original nicht zu übernehmen. Das war zum Teil auf die Zensur zurückzuführen, die in Italien z.B. keine mit Gott hadernde Äbtissin zu sehen wünschte (man denke nur, welchen Erfolg Meyerbeer in Paris mit seinen tanzenden toten Nonnen in „Robert le diable“ hatte), und zum anderen auf den Geschmack des italienischen Publikums, das die etwa in Frankreich und England so beliebten Schauergeschichten nicht goutierte. Dennoch erfuhr das Werk in den drei Jahrzehnten nach seiner Uraufführung mehrere Wiederaufnahmen in Donizettis Heimat, wofür vor allem Giuseppina Strepponi, die spätere Signora Verdi, verantwortlich war, von deren temperamentvoller Wiedergabe der Titelrolle die Annalen zu berichten wissen.

In der Tat ist die an die Erzählungen Edgar Allan Poes gemahnende Atmosphäre der Handlung düster und bedrückend, denn alle drei Hauptfiguren sind Opfer ihrer Obsessionen, und ihre niederträchtigen Seiten überwiegen: Corrado und Maria hatten einander einst geliebt und waren zusammen nach Venedig geflohen, weil Marias Vater nicht die Zustimmung zu ihrer Heirat gab. Als Corrado Maria eines Nachts mit einem Mann sprechen sieht (es ist Rambaldo, ein Maria treu ergebener Diener derer von Rudenz), hält er sich für betrogen und führt sie nach Rom, wo er sie in den Katakomben ihrem Schicksal überlässt. Einer der Führer durch die unterirdischen Labyrinthe rettet sie aber. Corrado ist nun in Marias Base Matilde verliebt und soll sie heiraten. Das Mädchen soll laut Testament des alten Grafen Rudenz seine Erbschaft antreten, wenn Maria nicht nach höchstens fünf Jahren erscheint und den Besitz übernimmt. Heute soll die Frist ablaufen, da erscheint die tot geglaubte Maria (im Nonnengewand, denn sie ist Äbtissin im Kloster Aarau) und pocht auf ihre Rechte, vor allem auf ihre Stellung als Gemahlin Corrados. Dieser ersticht sie im Laufe einer hitzigen Auseinandersetzung. Es war aber auch Enrico, Corrados Bruder, erschienen; auch er liebt Matilde und ist unglücklich über die bevorstehende Hochzeit. Nachdem die Zeremonie vollzogen wurde, erscheint Maria in ihrer blutbefleckten Kutte – alle halten sie für einen Geist. Sie ist es aber selbst und hatte Corrados Mordversuch überlebt. Nun hat sie Matilde erstochen, reißt sich den Verband vom Leib, um endgültig zu sterben und Corrado ihrer Liebe und Vergebung zu versichern. (Nachdem sich herausgestellt hat, dass Corrado und Enrico keine Brüder sind und Corrados Vater ein Bandit war, hatte Enrico keine Hemmungen mehr, Corrado zum Duell zu fordern, in dem er unterliegt und stirbt). Corrado, der Böseste von allen, ist der einzige Überlebende.

Es ist interessant, wie es Donizetti gelingt, dieser Figur dennoch auch die Züge eines Liebenden zu verleihen, den er in allerschönster Manier eines Kavaliersbaritons singen lässt. Daneben gibt es viele kurze, erregte Phrasen in Beantwortung der Attacken der nur vom Wunsch nach Rache beseelten Maria, einer auch musikalisch weit von den engelhaften Heroinen anderer Opern dieses Komponisten angesiedelten Rolle. Enrico (Tenor) hat hier die kleinere Rolle und macht seiner Verliebtheit mit einer großen, dankbaren Arie Luft (wobei es ihm offensichtlich gleichgültig ist, dass seine angebetete Matilde Corrado ja liebt). Nach dem Durchfall in Venedig verwendete Donizetti einen Teil der Musik für seinen 1840 entstandenen „Poliuto“, was vor allem für das großartige Ensemble zur Beschließung des ersten Aktes gilt. Aber die Oper ist überhaupt voller wunderbarer Musik und hätte es verdient, öfter aufgeführt zu werden.

Hervorragend war die Besetzung der Titelrolle mit Maria Billeri, die sich furchtlos in die großen Attacken warf und sich auch schauspielerisch völlig verausgabte. Sie überzeugte als Rachefurie ebensosehr wie als neuerlich auf Corrados Liebe Hoffende. Dieser war leider mit dem aus Uruguay stammenden Dario Solari etwas unterbesetzt, denn er ist zwar Besitzer einer ansehnlichen Stimme mit angenehmem Timbre, aber raffinierte Phrasierung und reine Intonation sind seine Sache (noch) nicht. Dass der Tenor Ivan Magrì im Rollstuhl saß, war ausnahmsweise kein Regiegag, sondern der Tatsache geschuldet, dass sich der Sänger bei der Generalprobe so schwer verletzt hatte, dass der Dirigent die Rolle des Enrico singen musste. Der Rollstuhl war also die einzige Möglichkeit für den Künstler, auftreten zu können. Er sang (nicht nur in Anbetracht dieses Handicaps) mit strahlendem Material, von dem man angesichts der Umstände nicht auch noch ein mezzavoce einfordern möchte. Rambaldo wurde von dem jungen Bass Gabriele Sagona vielversprechend interpretiert. Die dramaturgisch wichtige Matilde hat nur wenig zu singen, was Gilda Fiume anständig erledigte. Der Chorsolist Francesco Cortinovis ergänzte.

Regisseur Francesco Bellotto ließ Corrado im Irrenhaus die schrecklichen Ereignisse seines Lebens Revue passieren. Dazu hätte es aber eines auch mimisch wendigeren Schauspielers bedurft, als Solari es ist. Das Bühnenbild bestand aus verschiedenen Metalltreppen, die Kostüme waren vorzüglich. Für beides zeichnete Angelo Sala. Wer für die zahlreichen geisterhaften Projektionen zeichnete, wurde nicht verraten. Sehr gut klang der von Fabio Tartari einstudierte Chor des Bergamo Musica Festival. Das dazugehörige Orchester stand unter der Leitung von Sebastiano Rolli, der – auswendig dirigierend – eine ausgezeichnete Interpretation dieser mitreißenden Musik bot und entsprechend gefeiert wurde. Großer Jubel auch für die anderen Interpreten, besonders für Maria Billeri.

Eva Pleus