Teatro Regio am 17.3.2019
Inmitten einer hinsichtlich der Titel eher wenig origineller Saison fand sich diese Rarität von (1771-1839). Zunächst sei gleich geklärt, dass die hier verwendete Schreibweise korrekt ist, denn es waren die Franzosen, die den in Paris erfolgreichen Komponisten aus Parma Paër tauften, um die Verschmelzung von „a“ und „e“ zu vermeiden, zu der es im Italienischen gar nicht kommt.
Doch genug der Linguistik. Paers Werke waren auch einige Jahrzehnte nach seinem Tod noch sehr populär, um dann dem Vergessen anheim zu fallen. Napoleon, der die Werke Paisiellos und der neapolitanischen Schule im allgemeinen liebte, warb den Italiener aus Dresden ab und machte ihn zu seinem Hofkapellmeister. „Agnese“ entstand 1809 während der napoleonischen Herrschaft, aber Paer war auch später, nämlich bis 1827, Leiter des Pariser Théâtre-Italien, wo er viel für die Verbreitung der Werke Rossinis und Donizettis tat.
„Agnese“ wird als Paers Hauptwerk betrachtet, was gute Gründe hat, denn obwohl seine Musik auf der von Paisiello und Cimarosa fußt, kann sie zum Teil doch als erste kleine Brücke zur Romantik betrachtet werden. Lässt die besonders qualitätvolle Ouverture speziell an die zur „Hochzeit des Figaro“ denken, so gibt sie in der ersten Szene einen Gewittersturm in durchaus realistischer Weise wieder, ebenso wie die Darstellung eines verwirrten Geistes und die häufige Arienbegleitung durch Klarinette oder Fagott. Die Handlung erzählt nämlich, dass Agnese mit Ernesto, ihrem zukünftigen Ehemann, durchgebrannt ist, was bei ihrem Vater Uberto zu solcher Verwirrung führte, dass er in ein Irrenhaus kam. Die Oper zeigt uns auf sehr moderne Weise, wie durch Erinnerung (vor allem musikalischer Art) der Patient wieder geheilt werden kann. Interessant ist dabei auch, dass Uberto Agneses Flucht verdrängt hat und vermeint, sie sei in seinen Armen gestorben, weshalb er immer auf der Suche nach ihrem Grab ist.
Nun ist aber zu sagen, dass die Oper auf der Komödie „Agnese di Fizendry“ von Filippo Casari beruht, die ihrerseits eine Dramatisierung des Romans „The Father and Daughter“ der Britin Amelia Opie ist. Daraus machte der Librettist Luigi Buonavoglia ein zweiaktiges dramma semiserio. Dabei muss bedacht werden, dass die Welt Geistesgestörter zur Entstehungszeit der Oper noch durchaus auch als Quell der Heiterkeit betrachtet wurde. Etwas, dass für uns heute – auch ohne political correctness – völlig inakzeptabel ist. Das heitere Element wird durch Don Pasquale (Bassbuffo), den Leiter des Irrenhauses, verkörpert, während sein Oberarzt Don Girolamo im Auftreten zwar karikiert wird, aber in seiner fortschrittlichen und letztlich geglückten Behandlungsmethode gute Figur macht.
Das Bühnenbild von Federica Parolini umging die Tatsache des häufigen Szenenwechsels, indem sie zwei Würfel schuf, die je nach Szene aufgeklappt wurden und uns die Zelle Ubertos, das Büro Don Pasquales oder Ubertos Wohnzimmer zeigt, als er zwecks Heilung in die eigenen vier Wände zurückkehren darf. Daneben gab es einen eindrucksvollen Wald für die umherirrende Agnese und für das Happyend die Darstellung eines schönen Gutshofs, alles in der pointierten Beleuchtung von Alessandro Verazzi. Überzeugend auch die Kostüme von Silvia Aymonino, die für Protagonisten wie Personal charakterisierend ausgefallen waren. Die Regie von Leo Muscato verlegte die Handlung in nicht näher definierte neue Zeiten, die allerdings mehr oder weniger an die Mitte des vorigen Jahrhunderts denken ließen. Der Auftritt des von Andrea Secchi bestens einstudierten Chors im Gewitter auf der Suche nach Agnese erfolgte mit transparenten Regenschirmen, Ernestos Verzweiflung und Treueschwüre wurden durch übertriebene Gestik karikiert, was seine Aufrichtigkeit ein wenig in Zweifel zog. (Agnese war nämlich zurückgekehrt, weil sie von Ernesto betrogen worden war). Der im Libretto aus Bauern und Bäuerinnen bestehende Chor wurde bei Muscato in einem Bild zu (weiblichen) Insassen und (männlichen) Ordensschwestern, wodurch der Chor einerseits ein deutlicheres Profil bekam, der Zustand der Irren hingegen auf eine Weise konterkariert wurde, die sie nicht der Lächerlichkeit preisgab.
Ausgezeichnet war die Leistung des Orchesters des Hauses unter der Leitung von Diego Fasolis, der das Werk in der kritischen Ausgabe von Giuliano Castellani erstmals 2008 konzertant im Radio der Italienischen Schweiz vorgestellt hatte. Das Dirigat von Fasolis war von beeindruckender Duftigkeit und ließ trotz gewisser Längen (die reine Musik dauert, ohne die Pause zu kalkulieren, rund 2 Stunden und 45 Minuten) niemals Langeweile aufkommen. In der Titelrolle war Maria Rey-Joly zu hören, die sich in Spanien in erster Linie einen Namen als Zarzuela-Sängerin gemacht zu haben scheint, die mit unbefangenem Spiel und guter stimmlicher Leistung gefiel. Ihr Sopran beeindruckte auch in dramatischen Höhen, während die untere Mittellage etwas schmal wirkte. Ausgezeichnet war Markus Werba als Uberto, dem es gelang, den aus Kummer verrückt Gewordenen sehr berührend darzustellen und dabei mit ohne hörbare Registerwechsel strömendem Bariton zu überzeugen. Der ungetreue Ehemann Ernesto hat die am meisten fordernden virtuosen Arien zu singen. Edgardo Rocha tat dies nach kleinen Wacklern in seinem ersten Auftritt sehr überzeugend und war auch ein hinreißend unglaubwürdiger „Bereuer“. Als Don Pasquale war Filippo Morace ein überaus überzeugender Buffo, denn er servierte seine Pointen sozusagen nebenbei und verfiel nie ins Outrieren. Der Charaktertenor von Andrea Giovannini passte ausgezeichnet zum Arzt Don Girolamo, und auch der Bass Federico Benetti als Aufseher über die kranke Schar stand auf seinem Posten. Die beiden kleineren Rollen der Carlotta, Tochter von Don Pasquale, und der Zofe Vespina blieben in der Gestalt von Lucia Cirillo (Mezzo) und Giulia Della Peruta (Sopran) hinsichtlich Spielfreude in der Erinnerung, letztere auch mit einer bestens absolvierten Koloraturarie. Die phantasievolle Begleitung der Rezitative am Cembalo durch Carlo Caputo sei gerne noch erwähnt.
In der Pause verließen einige Abonnenten die Vorstellung, aber der Großteil des Publikums feierte alle Beteiligten mehr als
herzlich.
Eva Pleus 21.3.2019
Bilder (c) Teatro Regio