Turin: „L’elisir d’amore“

Aufführung am 18.6.21, Arsenale (Premiere am 15.6.)

Das Turiner Teatro Regio, das wegen auf Besetzungen Einfluss nehmender Agenturen in einen Skandal geraten ist, wird kommissarisch von Rosanna Purchia geführt, die zuvor schon das Teatro San Carlo in Neapel auf ökonomisch sichere Beine gestellt hatte. Das Haus kann trotz Beendigung der Zugangsbeschränkungen nicht verwendet werden, da die Bühnentechnik einer bedeutenden Erneuerung unterzogen werden muss. (Warum das nicht während des letzten Lockdowns geschehen ist? Das Wiener Burgtheater macht es ja auch nicht anders mit dem Einbau einer Klimaanlage…).

Wie zu hören war, ist es Purchias Verhandlungsgeschick zu verdanken, dass dem Opernhaus ein repräsentativer Spielort für Freilichtaufführungen zur Verfügung gestellt wurde, nämlich der kürzlich renovierte Hof des Arsenals (heute eine Akademie militärischer Ausbildung). Der quadratische Hof des barocken Gebäudes hat eine Seitenlänge von 110 m. Diese Größenordnung mit der Möglichkeit für 2000 Sitzplätze (belegt waren etwa 600) machte den Einsatz von Verstärkern nötig, die aber ausgezeichnet eingestellt waren und die Stimme in keiner Weise verfremdeten, sodass man auch gehauchte Piani genießen konnte.

Die vor einigen Wochen mit derselben Besetzung, aber unter einem anderen Dirigenten per Streaming aus dem Haus übertragene Produktion zeigt ein lebenslustiges, buntes Völkchen, vielleicht nicht immer sehr realistisch, aber angesichts der verflossenen Monate sicher das Richtige für ein sommerliches Publikum. Vielleicht wurde ein wenig viel hin- und hergestoßen (Regie: Fabio Sparvoli), was aber der allgemeinen Heiterkeit keinen Abbruch tat, ebenso wie die Kostüme von Alessandra Torella (speziell eine Art Dirndl für Adina im zweiten Teil des 2. Akts) an „Ich denke oft an Piroschka“ oder Kálmán-Operetten denken ließen. Hübsch das Bühnenbild von Saverio Santoliquido, das im 1. Akt rechts ein Haus mit Terrasse zeigt, von der aus Adina singt und die Nemorino per Leiter betritt. Ein Vogelkäfig, ein Weinfass und Strohballen vervollständigen die Szene, die im 2. Akt, um Mohnblumen bereichert, auf die andere Seite wechselt. Die Szene mit dem „Senator Tredenti“ wird wie in einem Puppentheater gezeigt. Die Mädchen hängen bei ihrem Chor Wäsche auf, Belcore tritt in der Uniform eines Maresciallo à la Vittorio De Sica in seinen „Pane, amore e…“-Filmen auf. Es tut sich immer etwas, und für mit der Oper weniger Vertraute gab es Bildschirme mit italienischem und englischem Text rechts und links von der Bühne.

Die über dem Hof kreisenden Schwalben störten meinem Gefühl nach (Vorstellungsbeginn war um 21 Uhr) keineswegs, sondern bereicherten die Ouvertüre mit ihrem Gezwitscher. Damit sind wir bei den Leistungen von Musikern und Besetzung. Das Orchester des Teatro Regio reagierte mit merklichem Enthusiasmus auf die Vorgaben des Dirigenten Matteo Beltrami (der junge Mann wird übrigens die Saison des Grazer Opernhauses mit der „Forza del destino“ eröffnen). Es kam zu einem, gerade bei einer Freilichtaufführung schwierig zu erzielenden, runden , homogenen Klang, der in den heiteren Episoden gute Laune versprühte und in den lyrischen Stellen (welche Tragik bei „Adina, credimi“!) mit wunderbarer Dringlichkeit daran erinnerte, dass wir es bei Donizettis Meisterwerk nicht nur mit einer oberflächlichen Komödie zu tun haben. Der mit Masken singende Chor des Hauses, einstudiert von Andrea Secchi, nahm gesanglich durch Präzision, szenisch durch große Beweglichkeit, für sich ein.

Ganz ausgezeichnet die Besetzung, von der als Erster Bogdan Volkov zu nennen ist. Der Nemorino des bereits in Salzburg und Wien aufgetretene Ukrainers bestach mit einem tenore lirico-leggero, der aber nie weiß klingt, und einer außergewöhnlichen Kunst der Phrasierung, der nicht nur die verzaubernd klingende „Furtiva lagrima“ (die ohne Falsett auskam und mit grandiosen, echten Piani hinriss), sondern auch Phrasen wie „Dei miei sospiri“ in die dafür nötige berührende Atmosphäre rückte.

Mariangela Sicilia gab mit angenehm lyrischem Sopran und guter Koloratur eine zunächst schnippische, dann sehr berührende Adina, die schon vor dem Duett mit Dulcamara ihre Gefühle für Nemorino zu entdecken begonnen hatte. Der auf einem motorisierten Dreirad eintreffende Quacksalber wurde von Marco Filippo Romano mit volltönender Buffostimme ausgezeichnet gesungen und mit augenzwinkerndem Charme charakterisiert (typisch für diese präzise Darstellung zum Beispiel, wie er auf Nemorinos Mitteilung, „nur“ eine Zechine zu besitzen, reagierte). Der Name seines mit Melone und Zopf ausgestatteten quicklebendigen Begleiters war auf dem Programmzettel leider nicht angegeben. Giorgio Caoduro stellte zwar einen unterhaltsam eitlen Belcore dar, doch klang sein Bariton eher trocken und hart, was sich im zweiten Teil allerdings besserte. Als Giannetta ergänzte Ashley Milanese nicht mehr als korrekt.

Langanhaltender, von vielen Bravorufen durchsetzter Applaus.

Eva Pleus 22.6.21

Bilder: Teatro Regio di Torino