Aachen: „Au Monde“

Besuchte Vorstellung: 17. Januar 2016

Die Bühnenwerke Philippe Boesmans werden regelmäßig an der Brüsseler Oper uraufgeführt, in Deutschland wird er hingegen weitgehend ignoriert. Gut anderthalb Jahre nach der Uraufführung bringt das Theater Aachen nun die Oper „Au monde“ zur deutschen Erstaufführung. Zu erleben ist eine ebenso starke wie rätselhafte Oper in einer mustergültigen Aufführung.

Die Oper basiert auf dem gleichnamigen Schauspiel von Joel Pommerat, der auch das Libretto geschrieben hat. Gezeigt wird das Innenleben einer siebenköpfigen Industriellenfamilie. Beim Lesen der Inhaltsangabe im Programmheft gibt man schnell auf, doch wenn sich das Geschehen in knapp zwei Stunden auf der Bühne entfaltet, ist man sofort gefesselt.

Sohn Ori, die einzige Figur mit Namen, kommt vom Militärdienst heim. Mit seiner schwangeren Schwester beginnt er eine inzestuöse Beziehung, während gleichzeitig eine Mordserie in der Ortschaft beginnt. Ori, der langsam erblindet, soll die Firma des Vaters übernehmen.

Desweiteren gibt es noch eine zweite Schwester, die beim Fernsehen arbeitet, eine dritte Schwester, die adoptiert wurde sowie eine fremde stumme Frau, die zwischen verschiedenen Szenen mit der Stimme des Vaters Sinatras „My Way“ singt.

Eigentlich ist die Rolle der mittleren Schwester die für das Geschehen unwichtigste Figur, trotzdem komponiert ihr Boesmans aber die umfangreichste und stärkste Partie. Camille Schnoor glänzt mit einer großartigen sängerischen und interpretatorischen Leistung und ist eine Art Gravitationszentrum des Stückes. Ansonsten ist in der Aachener Aufführung jede Figur trefflich besetzt, wobei besonders Randall Jakobsh mit seinem warmen und vollen Bass als Vater auffällt.

Boesmans Kompostion ist sehr gut hörbar, erinnert in den farbigen und weichen Klängen sowie dem Deklamationsstil an Debussys „Pelleas und Melisande“. Vier Schlagwerker und ein Akkordeon sorgen für besondere Klangfarben. Kapellmeister Justus Thorau lässt am Pult des Sinfonierchesters Aachen Boesmans Musik sehr schön und stimmungsvoll erblühen.

Das besondere Flair dieses Stückes bietet der Regie aber viele Möglichkeiten. Bühnenbildner Oliver Brendel hat einen bunkerartigen Innenraum entworfen, der sich in den 20 Szenen immer wieder wandelt, gleichzeitig ein Familiengefängnis ist. Regisseurin Ewa Teilmans führt die Figuren sehr konzentriert und versucht das eine oder andere Familiengeheimnis zu lüften, während anderes in der Schwebe bleibt.

Fazit: Sowohl die Oper „Au Monde“ als auch die die Aachener Aufführung kann man uneingeschränkt empfehlen. Wer Geschmack an dieser Musik gefunden hat: Die Staatsoper Stuttgart zeigt ab April 2016 Boesmans Vertonung von Schnitzlers „Reigen“.

Rudolf Hermes 20.1.16

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