Premiere: 11.2.2018
In Rosenmontag-Stimmung
Nach nur sieben Jahren ein neuer „Giovanni“? Die Entscheidung soll von Generalintendant Michael Schmitz-Aufterbeck getroffen worden sein, welchem die damalige Inszenierung (von der hochrenommierten Eva Maria Höckmayr – vor kurzem „Poppea“ an der Berliner Staatsoper) offenbar nicht gelungen vorkam. Ob er jetzt nicht vom Regen in die Traufe geraten ist? Denn was Joan Anton Rechi bietet, wäre – ähnlich wie beim aktuellen Bonner „Figaro“ des Aron Stiehl – mit dem Nestroy-Titel „Einen Jux will er sich machen“ noch einigermaßen gnädig umschrieben.
Der Andorraner hatte seine Lehrmeister. Von der Zusammenarbeit mit dem deutungssensiblen Willy Decker scheint indes nichts auf ihn abgefärbt zu haben, eher schon die krasse Interpretationsästhetik eines Calixto Bieito. Doch bitte: warum nicht krass, wenn’s etwas bringt. Aber inszenatorische Albernheiten, welche einem schon Rechis letzte Aachener Arbeit („Ariadne auf Naxos“) verleideten, dominieren auch diesmal. Sicher möchte man nicht unter stoffhistorischem und philosophischem Deutungsballast begraben werden, aber etwas mehr Werkdurchdringung wäre schon zu fordern, wobei das „giocoso“-Moment keineswegs unter den Tisch fallen müsste.
Der Ansatz Rechis ist zunächst durchaus nicht absurd und sogar ausbaufähig zu denken. Konzeptionelle Anregung gab ihm die Ausstellung „Nackte Männer“ 2012 im Wiener Leopold Museum (Gemälde u.a. von Dürer, Degas, Matisse). In Aachen hängen sie an den Wänden von Gabriele Insignares‘ Ausstattung (aseptisch helle, hohe Wände und Treppen auf Drehbühne) und versinnbildlichen die erotische Ausstrahlung von Mozarts Titelhelden. Schön und gut. Zu den Klängen der Ouvertüre geht eine Vernissage vonstatten. Als Galeriebesitzer zerschneidet der Komtur ein rotes Band – die Ausstellung ist eröffnet. Der in Glitzergewänder (von Merce Paloma) gehüllte Chor behält dieses Outfit bis zum Schluss bei, womit das in der Oper keineswegs unbedeutende soziale Gefälle nicht zum Tragen kommt. Das sorgt auch beim fesch kostümierten Giovanni und dem nicht weniger vornehm ausgestatteten Leporello für psychologische Indifferenzen (die Übertitel unterstreichen das, trotz einiger verbaler Modifikationen). Wie kann ein salonfähiger Mann derartig rustikal und dienerhaft unterwürfig agieren?
Die Bühne ist und bleibt bis zuletzt eine Ausstellungshalle. Das verträgt sich nicht mit dem Handlungsverlauf der Oper, kann aber mit einiger Mühe als akzeptabel empfunden werden. Doch dann greift eine total schizophrene Inszenierungsidee des Herrn Rechi Raum. Den Komtur erschlägt Giovanni etwas mühsam mit einer Marmorbüste. Dem Toten wird kein würdiger Abtransport ins Off gegönnt. Nein, er muss als maskierte Witzfigur alle Spielchen der Akteure mitmachen, dient im zweiten Finale sogar als veritabler Tanzpartner. Zuguter(schlechter)letzt bäumt er sich noch einmal zur Lebendigkeit auf und versetzt das Schlussbild in Aufregung. Das Maskenterzett zuvor ergeht sich in affigem Getue, Donna Anna steckt sich Luftballons an ihre besonders weiblichen Stellen, Don Ottavio outriert mit Falsettgesang. Man fühlt sich als Zuschauer wie in einer Klapsmühle. Und noch so eine hübsche Idee: in er Nachtszene (Elvira/Leporello) krabbeln alle Personen ziellos über den Bühnenboden, erschrecken vor Leporellos Pistolengeballere. Später gibt es noch ein Kasperletheater vor der Statue des toten Komturs.
Lässt sich nichts Positives über den Aachener „Giovanni“ berichten? Doch. Während des Ständchens (von Hrólfur Saemundsson mit hinreißendem Pianissimo vorgetragen) tauchen Donna Anna, Donna Elvira und Zerlina aus dem Hintergrunddunkel auf, lassen mit ihrer stummen Anwesenheit emotionale Abhängigkeit ahnen, welche jedwedem Verstand zuwider läuft. Dass Anna ihre Arie „Non mi dir“ per Handy (!) nicht an Ottavio richtet, sondern an Giovanni (gespeicherte Rufnummer?), hat etwas sinnvoll Entlarvendes. Schon die Introduktionsszene gerät unkonventionell: Anna überrascht Giovanni in flagranti mit einer seiner Mätressen (dem widerspricht freilich die „Inhaltsangabe“ der Arie). Annehmbar auch das Finale. Keine Höllenfahrt. Der in seinem Beerdigungshemd auftretende Komtur fesselt und umwickelt Giovanni mit Klebebändern, drapiert ihn zu einer Figur seiner Ausstellung, auf dass der Schwerenöter der Nachwelt auf ewig erhalten bleibt. Die wenigen nachdenklich stimmenden Momente verlieren sich indes im inszenatorischen Tohuwabohu des Abends. Dass die Premiere vom Publikum ohne Widerstand, sogar mit Begeisterung angenommen wurde, ist schwer zu verstehen. Als Erklärung reicht nicht aus, dass die Aufführung einen Tag vor Rosenmontag stattfand.
Justus Thorau dirigiert das mitunter etwas unkonzentrierte Sinfonieorchester Aachen zweckdienlich, ohne freilich der Magie von Mozarts Musik wirklich nahezukommen. Apart allerdings, wie sich die Klänge des rezitativbegleitenden Hammerklaviers mit denen des Orchesters mitunter überlappen und verzahnen.
Vor sieben Jahren verkörperte Hrólfur Saemundsson noch den Leporello. Jetzt ist er zum Giovanni aufgestiegen, den er äußerst facettenreich interpretiert. Was die äußere Erscheinung an erotischer Kontur vielleicht nicht ganz hergibt, gerät in Gesang und Darstellung vollgültig: hier lasziv schmeichelnd, dort herrscherlich brutal. Das hinreißende Ständchen wurde bereits erwähnt. Woong-jo Choi (Leporello) wäre mit seinem machtvollen Profondo-Bass ein idealer Komtur, überzeugt jedoch auch als vitaler Komödiant. Der aus China stammende, junge, aufsteigende Ang Du dürfte bald zu großen Rollen vorstoßen, jedenfalls lässt das seine potente Komtur-Stimme vermuten. Ähnliches gilt für Michael Terada, welcher den Masetto vokal kernig, im Spiel jungenhaft sympathisch gibt. Patricio Arroyo wiederholt seinen bereits vor sieben Jahren gesungenen Ottavio: lyrisch nobel. Er trägt übrigens ein T-Shirt mit Macho-Porträt. Ein solcher wäre der (allzu) chevalereske Ottavio wohl gerne. Aber Arroyos Interpretation bietet doch ausreichend Maskulinität.
Als Donna Anna wartet Katharina Hagopian mit zarten Höhenpiani auf, insgesamt dürfte diese Partie jedoch etwas mehr dramatisches Gewicht erhalten. Stimmig wirkt das Rollenporträt gleichwohl. Netta Or verfügt über ein etwas scharfes Timbre, was der Elvira jedoch ein bestechendes Profil verleiht. Sie singt ausdrucksvoll und meistert die Endlos-Koloraturen von „Mi tradi“ mit souveräner Atemtechnik. Die Palme bei den weiblichen Protagonisten ist jedoch Suzanne Jerosme zu reichen: eine Zerlina von natürlichem Charme, mit fein ziselierter Tongebung (aber nicht ganz sattelfester Koloratur beim „Batti, batti“) und Natürlichkeit im Bühnenspiel.
Christoph Zimmermann 12.2.2018
Bilder (c) Wil van Irsel