Aachen: „Turandot“

Blasses Spektakel

Premiere: 20.2.2022

Lieber Opernfreund-Freund,

gerade noch konnte ich Ihnen begeistert von der bewegenden Voix humaine-Premiere in Theater Mörgens in Aachen berichten. Puccinis Schwanengesang Turandot hatte nun gestern im großen Haus Premiere und bliebt trotz allen Pomps szenisch weiter hinter den Möglichkeiten des Werkes zurück und hallt weit weniger nach, als der Poulenc am Tag zuvor.

Ewa Teilmans verlegt die Geschichte um die kalte Prinzessin in eine unbestimmte Zukunft und lässt sich dazu von Elisabeth Pedross die ohnehin nicht übergroße Bühne des Aachener Theaters durch hohe Mauern weiter verengen, in denen sich immer wieder wabenförmige Fenster öffnen, aus denen gleichgeschaltet das Volk hervorlugt. Die Massenszenen mit glänzend agierendem Chor unter der Leitung von Jori Klomp geraten dadurch – wie eigentlich fast alles – zum bloßen Herumgestehe, es ist schlicht kein Platz für Bewegung. So kann sich der dem Werk vor allem in den hymnischen Szenen eigene Pomp nicht entfalten, auch wirkt das nichts sagende Beige der Kulissen, als seien die nicht rechtzeitig fertig geworden. Bewusst ohne Asienkitsch will Teilmans die Geschichte erzählen, stellt den Akten eingesprochene Interviews mit den Protagonisten der Geschichte voran, um die Hintergründe für deren Handeln zu beleuchten. Die alienhafte Turandot – so fremd dürfte die chinesische Welt den Europäern vor hundert Jahren in etwa wohl auch erschienen sein – wird von Sarah Borchardt in einem ausladenden Kleid wie aus überdimensionaler Luftpolsterfolie geschützt. Die übrigen Rollen werden in uniformartige Anzüge gesteckt, die – dann doch wieder – an asiatische Designermode unserer Tage erinnert.

Diese Schlichtheit spiegelt sich allerdings nicht in den Szenen, in denen von Goldflitter über Zombies, die Urnen vor sich her tragen, bis hin zu Schaukeln, auf denen Ping, Pang und Pong zur Abwechslung einmal ein wenig Bewegung in die statische Inszenierung bringen, alles geboten wird. Dabei lässt die wenig präzise Lichtregie so manchen Sänger im Schatten stehen und verstärkt dadurch den Eindruck, Zuschauer von etwas Unfertigem, Unausgegorenen zu sein. Was im Theater Mörgens am bereits erwähnten Abend zuvor noch einen besonderen Zauber entfaltete, wirkt auf der großen Bühne deplatziert. Doch die Geschichte und Puccinis Musik wirken auch vor dieser Kulisse.

In der Titelrolle – und das kann man nicht anders ausdrücken – brilliert Leyla Martinucci mit eiskaltem Sopran und nicht nachlassender Kraft, verkörpert die Prinzessin, die nicht lieben will, voller Inbrunst und zeigt dabei auch darstellerisch deren innere Zerrissenheit überzeugend. Ensemblemitglied Larisa Akbari als Rivalin und stimmlicher Gegenpart spinnt als Liu traumhafte Töne wie aus Seide und gibt aufopfert die liebende Sklavin. Als Timur (ein Extralob für dessen Maske) beeindruckt David Jerusalem mit durchdringendem Bass, während die drei Minister ein herrliches Gespann sind: Soon-Wook Ka zeigt als Pang seinen feinen Tenor, Victor Campos Leal ist ein wohlklingender Pong mit überragendem komödiantischem Talent und Alexander Kalina überzeugt als Leader of the pack Ping und als Mandarin, der als Deus ex machina die Rätselspielregeln verkündet, gleichermaßen.

Dagegen gar nicht gepackt hat mich der Kalaf von Timothy Richards. Seine an sich klangschöne Stimme bleibt in der Höhe allzu glanzlos, seine Interpretation an sich wenig seelenvoll; das ist schade, stehen ihm doch zwei so wunderbar intensiv interpretierende Sängerinnen wie Leyla Martinucci und Larisa Akbari zur Seite. Weit mehr Seele und Italianità legt GMD Christopher Ward im Graben in seine ausgewogene Interpretation des Werks, lässt schwelgerischen Puccini erklingen, ohne ihn in allzu viel Süße zu ertränken, und gibt im Alfano-Schluss richtig Gas, ohne allzu pathetisch zu werden.

Das Publikum reißt es nach dem letzten Ton wortwörtlich von den Sitzen, aufbrausender und nicht enden wollender Jubel ergießt sich über alle Beteiligten samt Regieteam. Bezüglich Herrn Richards kann ich die Begeisterung nicht nur nicht teilen, sondern gar nicht erst verstehen. Es scheint sich einmal mehr zu bewahrheiten, dass ein Schlager ein Schlager ist und zum Jubeln einlädt, egal, wer ihn singt.

Ihr
Jochen Rüth

21.02.2022

Die Fotos stammen von Marie-Luise Manthei.