Wien: „Oberon“, Carl Maria von Weber

Premiere: 13. Mai 2019

Eine Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper München

Zu einem Abend wie diesem ist man um markige Formulierungen nicht verlegen. „Tumult im Narrenhaus“ sowieso, aber auch „Rollenspiele in der Psychiatrie“. Oder: „Der Chefarzt ist ein Fixer.“ Auf jeden Fall: „Was Regisseuren so alles einfällt.“ Anlaß solcher Spekulation: Carl Maria von Webers „Oberon“ im Theater an der Wien, eine Co-Produktion mit München, gestaltet von Nikolaus Habjan (was sicher stellt, dass seine für ihn unverzichtbaren Puppen dabei sind).

Man muss dem Theater an der Wien tief dankbar sein, dass es zur allgemeinen Kenntnis des „Freischütz“, der ja wirklich immer wieder einmal im Repertoire auftaucht, diese Spielzeit die Weber-Raritäten „Euryanthe“ und nun „Oberon“ geboten hat. Letzteres war Webers letztes Werk, eine „romantische Feen-Oper“, für London in dem dort typischen Patchwork-Stil gehalten (wo er doch lieber erneut eine „italienische Oper“ geschrieben hätte, wie es die „Euryanthe“ für Barbaja gewesen war). Da mischt sich Shakespeares Feenkönig samt Gattin, Puck und einigen Elfen mit einem Helden aus der Zeit Karls des Großen und einer orientalischen Kalifentochter, und bewiesen werden soll (wie immer) die ewige und unerschütterliche Liebe. Stilistisch sind es gesprochene Dialoge und eine Musik von solcher Pracht, dass eigentlich nicht einzusehen ist, warum „Oberon“ kaum je auf die Bühnen kommt.

Oder doch – denn auch Regisseur Nikolaus Habjan beweist wieder einmal die Angst der Regisseure vor dem Stoff. Nur im Kino kann man dem Zuschauer „Fantasy“ aller Art (und in allen Schattierungen der Dummheit) vorsetzen, auf der Bühne traut man sich nicht. Was tun? Die Geschichte verfremden. Ihr einen Rahmen geben, dass sie als Spiel im Spiel passiert, als solches ironisch kenntlich gemacht.

Nun ist die Psychiatrie als Schauplatz wahrlich keine neue Erfindung, schon bei Harry Kupfer war Orfeo im Krankenhaus, und wann immer an der Wiener Staatsoper „Parsifal“ gespielt wird, sind wir auf der Baumgartner Höhe. Da kann das Irrenhaus von Nikolaus Habjan nicht als besondere originell gelten, auch nicht in der Ausstattung von Jakob Brossmann, die ein groteskes Tohuwabohu bietet. Dass der Chefarzt und seine Frau sich streiten und die Frage von der standhaften Liebe als Rollenspiel von ihren Patienten abhandeln lassen… sei’s drum.

Die ironische Verfremdung ist jedenfalls gegeben: Wenn ein Löwe aus Pappe „erschlagen“ wird, sind die Lacher legitim (nähme man es ernst, wären die Lacher des Publikums höhnisch), und wenn dann noch die Habjan-Puppen die (stark reduzierten) Nebenrollen übernehmen, dann ist der Spielcharakter fest etabliert. Da muss man sich nur am Anfang daran gewöhnen, dass das Personal in Labormänteln flüsternd über Elfenzauber singt… aber man gewöhnt sich tatsächlich.

Man nimmt hin, dass vier auserwählte Patienten Hüon von Bourdeaux und Rezia sowie das Dienerpaar Fatime und Scherasmin spielen und singen, und drei Angestellte des Klinikchefs übernehmen in verschiedenem Puppen-Outfit die restlichen Rollen. Das alles stimmt in sich, wenn auch viel Blödsinn beschworen wird und dem Regisseur noch und noch einfällt (wenn Dr. Oberon in Feenwelten abdriften will, setzt er sich eben einen Schuß). Doch wenn man genau hinsieht, konzediert man dem Abend gern sein souveränes Handwerk. Es sind knappe drei Theaterstunden, die letztendlich funktionieren – außer man findet die (an sich abgeschmackte) Rahmenhandlung zu blöd und weigert sich, sich darauf einzulassen…

Als Mauro Peter 2014 im Theater an der Wien erstmals auffiel, da Nikolaus Harnoncourt ihn in den Tenorrollen seiner drei konzertanten Da Ponte-Opern einsetzte, war er noch ein viel versprechender schmaler junger Mann. Heute ist er ein „gestandener“ Tenor, der den Oberon mit stimmlicher und darstellerischer Kraft spielt – soweit die Gattin ihn eben aufkommen lässt: Im Original ist die Dame eher stumm, in dieser Fassung bekommt die Titania der Juliette Mars nicht nur zu singen, sondern auch weibliche Lästigkeiten zum Spielen.

Der Rest der Handlung konzentriert sich auf die vier Hauptfiguren, wobei man ein echtes Heldenpaar gefunden hat: Vincent Wolfsteiner singt an deutschen Häusern Wagner auf und ab, und er hat die helle, offensiv eingesetzte Tenorstimme, die hemmungslos schmettern kann, selten subtil oder raffiniert, aber immer effektvoll. Und Annette Dasch ist ja nun wirklich eine hochdramatische Wagner-Sängerin, die auch an den Anforderungen der Rezia (zwischen Mozart-artigem und der gewaltigen „Ozean“-Arie) nicht ins Wanken gerät.

Von dem zweiten Paar hat Natalia Kawałek, aus der Kammeroper erinnerlich, als Fatime die bessere Rolle (nicht nur, weil sie Temperament zeigen und ihren Partner mit einem gezielten Tritt zwischen die Beine außer Gefecht setzen darf): Sie singt das ihr Anvertraute, gar nicht so Einfache mit beweglichem Mezzo. Daniel Schmutzhard spürte wohl, dass der Scherasmin für seinen kernigen Bariton nicht allzu viel hergibt und kompensiert mit seinem Spiel.

Was im Original Puck und verschiedenen Elfen anvertraut ist, wird hier unter Streichung aller anderen Rollen von Puck eins, zwei und drei übernommen, die die verschiedensten Puppen führen und stimmlichen Heckmeck dazu machen – die Leistungen von Manuela Linshalm, Daniel-Frantisek Kamen und Sebastian Mock, hintergründige Biester, diese drei, sind wahrlich nicht gering zu schätzen, ebenso wenig – wie immer – jene des Arnold Schoenberg Chors (geleitet von Erwin Ortner).

„Oberon“ als Werk zwischen Mozart (dessen „Entführung“ auch handlungsmäßig zwischendurch immer wieder grüßen lässt – so, wie Knappe Scherasmin hier von Zeit zu Zeit Papageno-Züge zeigt) und Wagner ist hörbar und wunderbar. Von dem einen ausgehend, den anderen ermöglichend, hat Weber Arien geschrieben, die Wagner-Sänger fordern, instrumentale Effekte und Orchesterschwung von Brillanz und Schönheit geschaffen und auch die konzertante Musik (man denke an Mendelssohn oder Schumann) hörbar inspiriert. Das ist „große Oper“, und darum wunderte es, dass man keines der großen Orchester, sondern das Wiener KammerOrchester verpflichtete, das manchmal trockener klang als üblich und immer wieder „ruppig“ in der temperamentvollen Leitung von Thomas Guggeis, aber es gelang dem 25jährigen Dirigenten nicht nur stringente Sänger- und Chorbegleitung, sondern auch der geniale Schwung von Webers Musik.

Der Beifall fand keinerlei Widerspruch. Wenn man sich darauf einließ… ja, dann sah man „Oberon“ durch die Psychiatrie durchblinzeln.

Renate Wagner 16.5.2019

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