Bielefeld: „Aida“

Premiere vom 30.11.2019

Mit ihren Augen…

Es wirkte nahezu wie eine szenische Umsetzung der Handlung in die Welt der Nordmänner, ins legendäre Land von Game of Thrones. Dunkel gekleidete Gestalten haben das Sagen und die helle, sklavisch anmutende, Kleidung tragen die Gefangenen. Eine von denen ist Aida. Eine düstere, oft mit drastischen Mitteln versehene, Inszenierung der Verdioper, die am vergangenen Samstag ihre Premiere im Theater Bielefeld hatte. Regisseurin Nadja Loschky erzielte durchaus berührende Momente in dieser Welt voller Gewalt, Hass und Eifersucht, aber manches blieb auch im Dunkeln der Drehbühne verborgen. Zu den berührenden Momenten gehörte ganz sicher das Ende der ersten Szene, in denen eine großartige Elizabeth Llewellyn in der Titelpartie als zerrissene Frau zwischen den Welten verzweifelt ihr „Numi, pietà del mio soffrir!“ gesungen hat.

Hier war besonders erkennbar, dass es in dieser Inszenierung darum gehen soll, die Geschichte der Aida aus ihrem Blickwinkel zu erzählen. Eine Herangehensweise in der Opernregie, die nicht neu ist, die manches neu beleuchten, aber auch ebenso der Gefahr der Umdeutung des ursprünglichen Stoffes unterliegen kann. Eine durchaus interessante Inszenierung dieses Opernklassikers, besonders dann, wenn Regisseurin Loschky Aidas und Amneris‘ jeweilige Zusammentreffen in den szenischen Focus stellt. Und diese Begegnungen hatten es in sich: Elizabeth Llewellyn und Katja Starke waren zwei überragend spielende und singende Darstellerinnen dieser Rivalinnen um den begehrten Radames. Das Publikum sah es ebenso und feierte beide für ihre Leistungen. (Rezension der)

Ein musikalischer Klassiker der gesamten Operngeschichte ist und bleibt der Triumphmarsch in Aida. Der Krieger Radames kehrt als Sieger zurück nach Ägypten, hat Gefangene gemacht – unter anderem den Anführer der besiegten Äthiopier, Amonasro, Vater der Aida – und das Volk, die Tempelpriester. der König und die Königstochter feiern ihn dafür. Aida selbst muss „im Staub“ neben der verhassten Rivalin, der Königstochter Amneris, kauern und dieser Szene beiwohnen. Verdi hat hier eine ganz besonders starke Szene erschaffen, die im Grunde alles über Aidas Seelenleben ausdrückt. Sie kauert vor den Trümmern ihrer Träume und ihres Lebens und feiert den scheinbaren Verursacher auch noch dafür.

Diesen Moment gestaltet Nadja Loschky auf nahezu beklemmende Weise. Während der gesamten Szene ist der Chor hinter einem durchschimmernden Vorhang schemenhaft erkennbar, dazu dreht sich ein Teil der Bühne weiter und es tauchen dabei auch die gefangenen genommen Äthiopier auf, mit Säcken über den Köpfen, ihrer Individualität beraubt. Aida sieht sich alles mit versteinert wirkendem Blick an. Ihre Mimik spiegelt dabei zunächst ihre aufgeregte Freude über die Rückkehr des Geliebten wieder, dann ihr Entsetzen, ihre Ohnmacht und letztlich ihre Trauer. Um dies dem Publikum vermitteln zu können, lässt Nadja Loschky einen minutenlangen Film des ausdrucksstarken Gesichtes der Titelheldin in Übergröße auf den Gazevorhang projizieren. Loschky zeigt uns Aidas Leiden während des feierlichen Triumphmarsches auf diese Weise höchst eindrucksvoll und miterlebbar. Für mich einer der nachhaltigsten Eindrücke dieser Inszenierung.

Die Inszenierung verzichtet auf alles ägyptisch anmutende und setzt ihre Akzente auf die handelnden Hauptpersonen des Dramas: Aida, Amneris und Radames. Alle drei mit unterschiedlichen Ängsten und Zweifeln behaftet und letztlich unfähig, aus eigener Kraft daran etwas zu ändern. Die scheinbar schwächste in diesem Trio, Aida, wird letztlich die eigentlich Starke sein. Das Bühnenbild (Bühne: Ulrich Leitner, Kostüme: Irina Spreckelmeyer) wirkt wie aus der Zeit gefallen. Es erinnert an alte Gemäuer einer Festung oder Burg, hat aber auch Neonröhren an der Wand, dazu umkreist die Mitte der Bühne ein fast das gesamte Stück andauerndes Drehbühnenteil das Geschehen. Auf diesem fahren die Akteure rein und auch wieder raus aus der Handlung. Oder es wird, wie in der Nilszene mit Aida und Amonasro, als Schlachtfeld mit Totenschädeln übersät, um Aida so bewusst zu machen, welch schwere Verantwortung sie in diesem Moment zu tragen hat. Denn sie soll ihren Geliebten dazu bringen, den geheimen Weg der kriegerischen Ägypter zu verraten. Aber immer dann, wenn zu viele Requisiten auf der Bühne und dem Drehteil auftauchen, wirkt das Geschehen unruhig. Letztlich muss nicht stets plastisch erklärt werden was gerade in diesem Moment der Oper passiert. Oder doch?

Zunächst war ich mir anfangs unsicher, was Loschky damit aussagen will. Aber je mehr ich über diese Regiearbeit nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass sie Verdis psychologisiertes Drama um die Königstochter Aida, nun Sklavin der Ägypter, an entscheidenden Stellen der Oper auf bemerkenswerte Weise schlüssig macht. Ob dies auch bei der Partie des Königs gelingt, ist mir allerdings weiterhin fraglich. Dieser wird von einem Darsteller stumm dargestellt, während drei scheinbare Hofschranzen ihn umgarnen und einer davon die Gesangspartie übernimmt. Und dies (Yoshiaki Kimura) im übrigen ausgezeichnet! Aber in AIDA ist es sicher auch so, dass der König der Ägypter nicht Herr seiner Entscheidungen ist. Das ihn umgebende Priestertum ist zu mächtig.

So wird aus Verdis AIDA ein Kammerspiel aus dem Blickwinkel der Hauptperson dieser Oper. Aber gleichzeitig mit ihr mittendrin. In Bielefeld zu einer Zeit angesiedelt, die an mittelalterliche Sagenwelten erinnert, aber auch deutliche Bezüge in die Neuzeit hat. Eine dramatische Dreiecksbeziehung, wie sie sich zu jeder Zeit und an allen Orten begeben haben könnte. Ausgang stets dramatisch. Denn bei dreien ist meist eine(r) zu viel.

Auch wenn vielleicht die Inszenierung nicht für alle schlüssig und überzeugend gewesen sein sollte, so war sich das Publikum doch bei der musikalischen Umsetzung von Verdis bedeutender Oper recht einig.

Aida gilt als eine der meistaufgeführtesten Opern überhaupt. Der Erfolg einer Aufführung dieser Oper steht und fällt letztlich auch, und irgendwie immer, mit der Solistin der Hauptpartie. In Bielefeld ist man in der besonderen Lage, eine derzeit auch an der New Yorker Metropolitain Opera engagierte Sopranistin für diese Partie gewonnen zu haben. Zudem gab sie ihr persönliches Rollendebüt. Elizabeth Llewellyn hatte sich das Theater Bielefeld für ihr Rollendebüt als Aida ausgesucht. Und sie hat damit dem Theater ein Geschenk gemacht. Denn ihre Interpretation dieser Partie war in höchstem Maße ausdrucksvoll, berührend, und gesanglich von allererster Güte. Sie war zu jeder Zeit Mittelpunkt dieser Inszenierung, selbst dann, wenn sie nichts zu singen hatte. Ihre Gestik, ihre Körpersprache, waren immer wie ein Spiegel ihrer Interpretation der Aida. Großartig und eindringlich gesungen ihre Soloszenen, überragend in den Ensembles. Wie sie mit stimmlichen Mitteln den Gefühlen der Aida Ausdruck verlieh war ein Erlebnis. Ein wirklich großartiges Debüt als Aida, für das sie vom Premierenpublikum mit Ovationen gefeiert wurde. BRAVO!

Als ihre „Gegenspielerin“ Amneris hatte Katja Starke aus dem Ensemble des Bielefelder Theater einen ganz großen Abend! Mit ungemein viel Ausdruck und kraftvoller Stimme, besonders in den tieferen Lagen der Partie, versah sie diese herausfordernde Rolle der ägyptischen Königstochter. Als Darstellerin war sie der Aida eine ebenbürtige Rivalin. Ihre Gesten, ihre Gesichtsausdrücke – alles war Amneris! Beklemmend und höchst eindringlich ihre Gerichtsszene, an deren Ende sie die Priester verflucht. Das war große Oper! Ohne Frage, dass auch sie im Zentrum des begeisterten Jubels des Publikums stand.

Neben diesen beiden überragenden Frauen hatten es die Männer dann doch etwas schwerer.

Als Radames stand der Tenor Arthur Shen auf der Bühne und vermittelte die Ausweglosigkeit der Partie mit seinen darstellerischen Mitteln überzeugend. Die kräftezehrende Partie des ägyptischen Kriegers legte er behutsam und gesanglich solide an und focussierte sich dabei auf die Spitzentöne, mit denen Verdi bei Radames bekannterweise nicht geizte. Evgueniy Alexiev als Amonasro wusste besonders in der Nilszene zusammen mit Aida zu überzeugen. Sehr eindrucksvoll dabei seine Darstellung als stolzer, aber gefangengenommener, König und Anführer der Äthiopier. Moon Soo Park und besonders Yoshiaki Kimura als Ramphis und als (singender) König stark in ihren jeweiligen Partien. Die kleineren Partien der Oper durchweg adäquat und gut besetzt.

Was wäre eine Aufführung der AIDA ohne Chor? Der Bielefelder Chor und Extrachor, unter der Leitung von Hagen Enke, bot eine überzeugende Gesamtleistung. Die Damen und Herren vom Chor waren in dieser Inszenierung sehr eingebunden und meisterten ihre Aufgabe großartig. Der Jubel des Publikums war ihnen sicher!

Bielefelds GMD Alexander Kalajdzic leitete die Bielefelder Philharmoniker spannungsgeladen und dramatisch angehend durch die Partitur. Dies wurde schon bei der Einleitung der Oper hörbar. Zudem arbeitete er auch die intimen Momente der Oper heraus und gab den Solisten viel Raum. Sehr sympathisch, dass er am Ende zum Schlussapplaus die Trompeter des Triumphmarsches mit auf die Bühne holte. Kalajdzic und die Philharmoniker durften sich ebenfalls über den großen Premierenzuspruch freuen.

Bilder (c) Bettina Stöß

Detlef Obens, 3.12.2019 – DAS OPERNMAGAGZIN