Am Abend vor dem Jahrestag seiner Taufe am 17. Dezember 1870, die im Taufregister der Bonner Remigiuskirche verzeichnet ist, feiert das Beethovenorchester traditionell mit einem Sinfoniekonzert, das in der Oper stattfindet, Ludwig van Beethovens mutmaßlichem Geburtstag am 16. Dezember 1870. Seit die Beethovenhalle denkmalgerecht renoviert wird findet das Fest in der Oper Bonn statt. Im ausverkauften Haus spielte das Trio Orelon mit dem Beethoven-Orchester das Tripelkonzert, nach einer Pause die Variationen über „Ich bin der Schneider Kakadu“, und nach einer weiteren Pause erklang unter der Leitung von Dirk Kaftan die „Eroica“, Beethovens dritte Sinfonie. Einziges Stück, das nicht von Beethoven war, war die Zugabe „Der Winter“ aus Astor Piazzollas Klaviertrio „Vier Jahreszeiten“, die gute Laune für die zweite Pause zauberten und die Vielseitigkeit des Trios bewies. Das Programm vereinte Stücke, die Beethovens erste wegweisende Schritte aus der Wiener Klassik in die Romantik dokumentieren.
Beethovens Tripelkonzert, 1804 parallel zur „Eroica“ entstanden und 1808 in Leipzig uraufgeführt, hat sich im Konzertbetrieb nicht so durchgesetzt wie seine Sinfonien, Klavierkonzerte und sein Violinkonzert. Das mag auch daran liegen, dass man drei hochkarätige Solisten braucht, um es zu besetzen. Das Konzert ist nach dem 3.Klavierkonzert entstanden und zeigt Beethovens Meisterschaft, drei gleichberechtige Solisten in den Dialog mit dem groß besetzten Sinfonieorchester einzubinden. Der erste Satz fasziniert durch die Variation der Themen in den drei Solinstrumenten, der zweite Satz ist ein schlichtes Lied, das beim zweiten Durchgang geschmackvoll verziert wurde und das sich in kühnen Modulationen in die Polacca des dritten Satzes auflöst. Dieser Übergang ist die spannendste Stelle des Konzerts, denn da entwickelt der Komponist wahrhaft atemberaubende Modulationen und kreiert den nahtlosen Übergang vom zweiten in den dritten Satz, einen temperamentvollen Tanz, eine Polacca.
Das Trio Orelon, ein junges 2018 gegründetes Trio, bekam nach der ersten Pause die Gelegenheit, sein einfühlsames kammermusikalisches Zusammenspiel in Beethovens zehn Variationen über „Ich bin der Schneider Kakadu“ zu beweisen. Es war atemberaubend, wie die drei jungen Solisten einander die Themen zuspielten und die verschiedenen Variationen über den schlichten Gassenhauer mit großer Perfektion ausspielten. Sie agierten, als wären Geige, Cello und Klavier ein einziges Instrument und arbeiteten Beethovens Meisterschaft der Variation heraus. Den Eindruck erweckten sie auch als Solisten im Tripelkonzert. Dabei wurde der Flügel abgedeckt gelassen, damit er nicht im Vergleich zu Violine und Cello zu laut klang.
Auch die „Eroica“, Beethovens dritte Sinfonie, endet mit einer Tanzfolge und kann als sinfonische Version seines Balletts „Die Geschöpfe des Prometheus“ gesehen werden. Sie kann demnach als Programmmusik interpretiert werden. Der erste Satz beschreibt die Schöpfung des Prometheus, der zweite Satz, der erste Trauermarsch in der sinfonischen Musik, ist der Trauergesang für den durch die Unterwelt schreitenden Prometheus, der dritte Satz beschreibt seine Wiedererweckung zum Leben, der vierte stellt Variationen über menschliche Qualifikationen anhand verschiedener österreichischer und deutscher Tanzformen dar, die zum Teil in Fugen verschränkt sind. Im Sinne von Beethovens Biografie ist diese Sinfonie sein musikalisches Äquivalent zum Heiligenstädter Testament, in der er sein Leben als einen Weg von natürlicher Unschuld über die Krise des Ohrenleidens, das in der Katastrophe der Ertaubung endete, über die Läuterung durch die Konzentration auf die Kunst allein, die ihn zu Heiterkeit und Optimismus zurückführte. Es ist eine typische komponierte Heldenreise, die ursprünglich Napoleon Bonaparte gewidmet gewesen sein soll, der aber Beethoven durch seine Selbsterhebung zum Kaiser zutiefst enttäuscht hat, so dass Beethoven die Widmung aus dem Manuskript der Sinfonie brutal herausgerissen hat. Dirk Kaftan und das Beethovenorchester sind mit Beethovens Sinfonien bestens vertraut und schufen einen übergreifenden Spannungsbogen, der in einem fulminanten Finale gipfelte.
Am Ende des Konzerts trat Dirk Kaftan, seit 2017 Generalmusikdirektor der Stadt Bonn, strahlend vor das Publikum und verkündete, den nächsten Geburtstag Beethovens werde man in der Beethovenhalle feiern und sie damit am 16. Dezember 2025 nach wiedereröffnen. Die Kosten stiegen von den ursprünglich beim Sanierungsbeschluss am 7. April 2016 veranschlagten 61 Millionen Euro auf 221 Millionen Euro, die Bauzeit musste wegen unvorhergesehener baulicher Probleme immer wieder verlängert werden. Auch der Bonner Generalanzeiger hatte bereits am 16. Dezember 2024 verlautbart, dass 2025 mit der denkmalgerechten Fertigstellung der Beethovenhalle zu rechnen sei. Den Abschluss bildete ein vom ganzen Orchester gespieltes Geburtstagsständchen für Beethoven, das mit rauschendem beklatscht wurde.
„Solist“ war bei diesem Konzert das 2018 gegründete Trio Orelon, das sein 150. Konzert spielte, und zwar in dem Sinne, dass die drei jungen Musizierenden perfekt aufeinander abgestimmt mit dem Orchester korrespondierten. Die im Bonner Raum aufgewachsene Geigerin Judith Stapf, der Cellist Arnau Rovira i Bascompte und Pianist Marco Sanna spielten die Soloparts bei Beethovens im Jahr 1804, parallel zur 3. Sinfonie entstandenen Tripel-Konzerts. Die Mitglieder des Trio Orelon, 2018 in der Kölner Hochschule für Musik und Tanz gegründet und mittlerweile unter anderem 2023 mit dem ersten Preis und Publikumspreis des renommierten Internationalen Musikwettbewerb ARD in München preisgekrönten Senkrechtstarters im Bereich Klaviertrio traten als Solisten im Tripelkonzert an und bewiesen mit der Interpretation von Beethovens Variationen über den schlichten Gassenhauer „Ich bin der Schneider Kakadu“ nach dem Gedicht von Joachim Perinet mit der Melodie von Wenzel Müller große Präzision, hohe Musikalität und Sinn für Humor. Judith Stapf, in Rheinbach bei Bonn aufgewachsen, fiel schon als Schülerin auf, so dass sie vom Richard-Wagner-Verband Bonn schon während ihres Studiums 2014 als Stipendiatin nach Bayreuth entsandt wurde.
Die Pflege des Werks Beethovens, das die Grenzen der Wiener Klassik sprengte und das Tor zur Romantik öffnete, ist in der Bürgerschaft der Stadt Bonn fest etabliert, unter anderem durch den Verein „Bürger für Beethoven“, mit 1.750 Mitgliedern der größte Kulturverein der Stadt Bonn. Seit 1998 ist die von der Bundesstadt Bonn gegründete und finanziell ausgestattete Internationale Beethovenfeste Bonn gGmbH Träger des Musikfestivals im September. Zweiter Gesellschafter ist die Deutsche Welle, die mit ihrer Medienleistung für die weltweite Verbreitung des Festivals sorgt. Darüber hinaus gibt es eine enge Kooperation mit dem städtischen Beethoven Orchester Bonn, der Oper Bonn und dem Beethoven-Haus. Mittlerweile ist das seit 1999 wieder jährlich im September stattfindende Beethovenfest zum international etablierten Kulturfestival geworden. Vor allem Steven Walter, der dort seit 2021 als Intendant wirkt und als Kulturmanager des Jahres ausgezeichnet wurde, hat dem Beethovenfest noch mehr Kontur verliehen. Der Vorabend von Beethovens Tauftag, der mutmaßliche Geburtstag des Komponisten, am 16. Dezember, wird traditionell vom Beethoven-Orchester mit künstlerischen Gästen im Rahmen eines Sinfoniekonzerts gefeiert.
Ursula Hartlapp-Lindemeyer 22. Dezember 2024
Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN
Konzert
Beethoven
Bonn
16. Dezember 2024
Trio Orelon
Dirk Kaftan
Beethovenorchester