Die Zugkraft von Giacomo Puccinis Dauerbrenner „Tosca“ ist ungebrochen. Über etliche ausverkauften Vorstellungen kann sich die Bonner Oper freuen, die mit dem immer noch packenden Reißer das Puccini-Jahr ausläutet.
Dass man mit dieser Übernahme aus Bologna eine Produktion präsentiert, die sich szenisch minutiös am Libretto orientiert und kein Jota von der Vorlage abweicht, mag konservativ, vielleicht sogar altmodisch anmuten. Im Falle des bis ins kleinste Detail ausgefeilten Librettos der „Tosca“, über das sich Puccini mit mehreren Librettisten überwarf und wohlgemeinte Ratschläge seines Verlegers Ricordi entschieden ausschlug, werden jedoch Feinheiten des Stücks deutlich und logisch nachvollziehbar, die in den meisten „aktualisierten“ Inszenierungen der letzten Jahrzehnte vernachlässigt oder übersehen wurden. Es ist halt nicht die schlechteste Entscheidung, dem untrüglichen Bühneninstinkt Puccinis zu vertrauen.
In Kauf nahmen muss man die von Puccini gegenüber Sardous Vorlage bewusst vorgenommene Reduzierung der verwickelten politischen Hintergründe. Für Hakenkreuze, Faschismo- und Mafia-Symbole bleibt damit kein Platz. Umso schärfer können sich die psychischen Profile der beiden Antagonisten Tosca und Scarpia entfalten, wodurch die religiöse Dimension stärker ins Rampenlicht gesetzt wird.
Religiöse Aspekte werden von vielen heutigen Regisseuren oft als Störfeuer verdrängt, was nicht nur die „Tosca“ betrifft, sondern auch Stücke wie Richard Wagners „Tannhäuser“. Wenn Puccini am Ende des 2. Aktes mit einem langen langsamen Nachspiel Tosca Zeit lässt, die Leiche Scarpias mit einem Kruzifix und zwei Kandelabern zu schmücken, geht es nicht um pittoreske Dekoration. Die Geste trifft den Kern der Persönlichkeit Toscas und damit auch das Motiv für Scarpias exzessives Buhlen um die Gunst Toscas. Warum investiert ein skrupelloser, mächtiger, noch dazu an Musik und Kunst völlig desinteressierter Mann wie Scarpia, der gewiss nicht an sexueller Unterversorgung leidet, soviel Energie einschließlich seines Polizeiapparats in die Eroberung dieser Opernsängerin? Verständlich wird dieses Verhalten, wenn man sich ins Bewusstsein ruft, was in Sardous Drama ausführlich thematisiert wird, sich in der Oper allerdings nur indirekt erschließt. Tosca ist schließlich in einem katholischen Waisenhaus aufgewachsen. Dessen Nonnen haben ihre Begabung erkannt und gefördert. Ihre Karriere zur berühmten Opernsängerin hat sie der Kirche zu verdanken und aus Dank ihr Leben der Kunst und der Kirche mit ihren christlichen Werten geweiht. In den Augen Scarpias ist sie ein Bollwerk katholischer Moral. Sie zu Hassgefühlen zu provozieren, sie gar dazu zu bringen, sich sexuell zu prostituieren, um das Leben Cavaradossis zu retten, diese feste moralische Burg zu erobern, fordert seinen Ehrgeiz heraus. Das Ziel hat er erreicht, als es heißt: „Wie du mich hasst…So wollte ich dich haben.“ Der Vollzug des Geschlechtsakts ist lediglich Formsache, die letzte krönende Demütigung. In aller Ruhe füllt er Ausreispapiere aus und regelt die Hinrichtung Cavaradossis. Leidenschaftliches Begehren sieht anders aus. Dass Tosca allerdings noch einen Schritt weiter geht und sogar ein Tötungsdelikt ausführt, gibt der Handlung eine zusätzliche überraschende Wendung. Dass sie in dem toten Monster am Ende auch den Menschen sieht, der christlichen Respekt verdient, drückt sie mit dem Kruzifix und den Kandelabern aus.
Wenn dieses Motivgeflecht ausgeklammert wird, präsentiert sich das Stück wie eine banale Sex- and Crime-Story. Indem Silvia Gatto in ihrer Bologneser Inszenierung jedes Detail der Vorgaben Puccinis befolgt, kann sich die gewaltige Energie der psychischen Spannungen vollauf entladen. Auch in den pittoresken, drei authentischen römischen Spielorten nachempfundenen Bühnenbildern. Hier springt Tosca noch von der Engelsburg, was immer ein wenig gekünstelt wirkt. Aber immerhin noch effektvoller wirkt als im mafiösen Kugelhagel einer Müllhalde zu enden.
Szenisch kommt die Bonner Produktion dem Sinn und der Bühnenwirksamkeit des Stücks erfreulich nah. Und auch musikalisch gibt es wenig auszusetzen. Hermes Helfricht folgt mit dem Beethoven Orchester klangschön, farbig und treffsicher den psychischen Fieberkurven des Stücks. Yannick-Muriel Noah in der Titelpartie überzeugt mit ihrer großen, selbst in den dramatischen Höhenpunkten mühelos ansprechenden Stimme ebenso wie mit ihren lyrischen Qualitäten, gipfelnd in der berühmten Arie „Vissi d’arte“, die sie, wie lange Zeit üblich, knieend singt, obwohl die Tradition ja auf ein Missgeschick von Maria Jeritza in den 20er-Jahren zurückgeht, die aus Versehen vom Sofa gerutscht ist und keine Zeit mehr hatte, sich rechtzeitig aufzurichten.
Mit angemessener tenoraler Strahlkraft bietet ihr Marcelo Puente als Cavaradossi Paroli. Und Giorgos Kanaris bietet ein eindringliches und stimmlich nachdrückliches Psychogramm Scarpias. Martin Tzonev belebt die Partie des Messners mit dezenten komischen Akzenten. Und der Chor des Theaters inklusive des Kinder- und Jugendchors verleiht der sakralen Parade im Finale des Ersten Akts einen Hauch effektvoller Weihe.
Ein sehens- und hörenswerter Versuch, Puccini aus der Perspektive möglichst enger Werktreue zu präsentieren. Im Falle eines dramaturgisch so gewieften Komponisten wie Puccini mit seinen minutiös ausgefeilten Libretti und Partituren ist das als Gewinn zu verbuchen. Was natürlich nicht ausschließen soll und muss, auch Puccinis Werke sinnvoll in modernere Szenerien verlagern zu können, solange nur nicht die inhaltliche Essenz aus den Augen verloren wird.
Pedro Obiera, 10. Dezember 2024
Tosca
Giacomo Puccini
Oper Bonn
7. Dezember 2024
Regie: Silvia Gatto
Dirigat: Hermers Helfricht
Beethoven Orchester
Die nächsten Aufführungen im Bonner Opernhaus: am 18. und 28. Dezember sowie am 10., 19., 24. und 26. Januar (www.theater-bonn.de).