Bonn: „Rigoletto“, Giuseppe Verdi (zweite Besprechung)

Lieber Opernfreund-Freund,

Giuseppe Verdis Rigoletto ist derzeit am Theater Bonn zu sehen. Ein weiteres Mal setzt das Haus der ehemaligen Bundeshauptstadt auf den als Anarcho-Regisseur verschrienen Jürgen R. Weber. Der schießt mit seiner willkürlich erscheinenden brutalen Bildsprache nicht ganz so über das Ziel hinaus wie 2016 bei der von Reznicek-Ausgrabung Holofernes, sondern scheint dieses Mal sogar ein Konzept zu haben.

© Matthias Baus

Der Herzog von Mantua, bei Victor Hugo und Verdis Librettisten Francesco Maria Piave schlicht skrupelloser Weiberheld, hat bei Jürgen R. Weber einen Mutterkomplex. Aus dem heraus gründet sich sein ausbeuterische Umgang nicht nur mit Frauen, sondern einfach mit jedermann. Die Höflinge entmannt Weber, lässt sie von Hans Irwin Knittel in Frauenkleider stecken. Jede und jeder, der sich ihm nähert, wird ausgebeutet und bleibt im wahrsten Sinne des Wortes verkrüppelt zurück. Das trifft auch Gilda, die in Bonn augenscheinlich an Poliomyelitis leidet. Rigoletto hält sie in einem überdimensionalen Vogelkäfig gefangen – dem entkommt sie nur auf Krücken, um sich gleich darauf für ihren Liebsten zu opfern. An sich ein nachvollziehbarer Ansatz, der durchaus auch radikale Bilder verträgt – wenn Weber nicht ständig in Regiemätzchen der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts verfallen würde. Berge von Babypuppen – madendurchzogen und im Close-Up gefilmt an die Bühnenrückwand projiziert, die omnipräsente Tochter Monterones im Rollstuhl – zuckend und mit blutverschmiertem Säugling im Arm und halbnackt Choristen haben heutzutage allenfalls noch ein müdes Lächeln der Zuschauer zur Folge. Originelle Einfälle wie die Darstellung von Sparafucile und Maddalena als siamesische Zwillinge verpuffen angesichts des zur Schau gestellten vordergründigen Provokationswillens. Damit Webers seine Regiearbeit fast lächerlich, erreicht beim Publikum mehr Gähnen und Augenrollen als tatsächliches Auseinandersetzen mit dem, was der Regisseur erzählen will. Schade!

Die Szene retten allzu oft die genialen Videoprojektionen von Gretchen Fan Weber, die bald die engen Gassen Mantuas, bald die gespenstische Gewitterszene auf die sich stetig verengenden Wände des Bühnenaufbaus werfen und so stets für die richtige Stimmung sorgen. Aus Webers vergangenen Arbeiten ebenfalls bekannt sind die omnipräsenten Bühnenarbeiter, die auf offener Bühne in laufendem Spiel Umbauten vornehmen – so hat zumindest der letzte im Zuschauerraum verstanden, dass man sich im Theater befindet.

© Matthias Baus

Musikalisch gibt es weit weniger zu klagen. Gerard Schneider präsentiert die Höchstschwierigkeiten der Partie des Herzogs von Mantua ohne erkennbare Anstrengung, wirft einen nicht enden wollenden Spitzenton nach dem anderen ins Publikum und verliert doch nie die Balance zwischen Kraft und Sentiment. Lara Lagni ist eine betörende Gilda mit hinreißenden Höhenpiani und zu Herzen gehendem Spiel. Pavel Kudnikov ist ein beeindruckender Sparafucile mit profundem Bass, Charlotte Quadt umsäuselt den Herzog als Maddalena mit verführerisch klingendem Mezzo und Martin Tzonev schleudert als Monterone eindrucksvolle Flüche auf Rigoletto und die Hofgesellschaft.

Der wird von Giorgos Kanaris in perfekter Weise auf die Bonner Bühne gebracht. Mit facettenreichen Stimmfarben und überzeugendem Spiel legt das langjährige Ensemblemitglied die vielschichtige Persönlichkeit des Narren offen und macht mit seinem ausdrucksreichen Bariton Gänsehaut. Die Herren des Chores laufen unter der Leitung von Marco Medved zu Höchstform auf und komplettieren so das annähernd perfekte vokale Bild des Abends. Im Graben präsentiert Daniel Johannes Mayr die Partitur mit frischem Schwung und zahlreichen Tempiwechseln – da und dort zu Lasten der Synchronität mit dem Sängerpersonal. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau und soll meinen positiven Eindruck der musikalischen Seite des Abends nicht schmälern. 

Ihr

Jochen Rüth

4. November 2023


Rigoletto
Giuseppe Verdi

Premiere: 15. Oktober 2023
Besuchte Vorstellung: 3. November 2023

Inszenierung: Jürgen R. Weber
Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr
Beethoven Orchester Bonn

weitere Termine: 10. November, 26. und 30. Dezember, 5., 11. und 20. Januar sowie 3., 23. und 25. Februar