Bonn: „Rigoletto“, Giuseppe Verdi

Mit „Rigoletto“, der Geschichte des vom Grafen Monterone verfluchten Hofnarren Rigoletto begann Giuseppe Verdis Serie von Erfolgsopern. Sie wurde am 11. März 1851 in Venedig uraufgeführt. Verdi hatte die Qualität des 1832 uraufgeführten Versepos „Le Roi s´amuse“ von Victor Hugo erkannt und seinen Textdichter Francesco Maria Piave gebeten, ein Libretto zu verfassen. In der Regie von Jürgen R. Weber im Bühnenbild von Hank Irwin Kittel nahm das Verhängnis seinen Lauf. Kapellmeister Daniel Johannes Mayr dirigierte ein starkes Ensemble und einen bestens von Marco Medved einstudierten Herrenchor und Extrachor der Oper Bonn. Eine der bekanntesten Opernarien aller Zeiten, „La donna è mobile“, die Canzone des Herzogs, spielt in der Handlung eine zentrale Rolle.

© Hans Joerg Michel

„La Maledizione“ – „Der Fluch“ – ist der ursprüngliche Titel des Dramas, das mit einmaliger Konsequenz in die Katastrophe führt. Der Schurke ist der Herzog von Mantua, Deckname für den historischen französischen König Francois I., der von 1495 bis 1547 lebte und nicht nur eine Maitresse, sondern auch einen Kleinwüchsigen („Mignon“) und einen Hofnarren namens Triboulet hatte. Er war einerseits ein großer Kunstförderer, wandte aber andererseits wiederholt Gewalt an, um sich Frauen, die sich ihm nicht freiwillig ergaben, zu Willen zu machen, indem er ihren Ehegatten oder den Vater verhaften und die schutzlose Frau entführen ließ. Wegen der österreichischen Zensur – Venedig gehörte 1851 zur Donaumonarchie – wurde aus dem französischen König Francois I.  der Herzog von Mantua.

Rigoletto ist des Herzogs buckliger Hofnarr, der mit spitzer Zunge des Herzogs Eroberungen kommentiert und sich als dessen Sprachrohr über die gehörnten Ehemänner und die düpierten Väter lustig macht. Dabei ist er selbst Vater einer über alles geliebten Tochter, die er vor der Welt verborgen hält und die er wegen seiner eigenen Rachsucht am Ende nicht vor der Katastrophe schützen kann.  Der alte Graf Monterone, dessen Tochter von Schergen des Herzogs entführt und vom Herzog vergewaltigt wurde, ist als Vater und Ehrenmann von Rigolettos Spott ins Mark getroffen: er verflucht den Herzog, weil er seine Tochter geschändet hat und seinen Hofnarren, weil der sich über den väterlichen Kummer lustig macht. Während der Fluch am Herzog abprallt, nimmt Rigoletto ihn ernst und ängstigt sich um seine Tochter Gilda, die er in einer Art Gefängnis eingesperrt hält, das sie nur für den Kirchgang verlassen darf. Der überbehütende Vater verrät ihr nicht einmal seinen Namen und seine Herkunft, denn er lebt in panischer Angst, Gilda könnte etwas zustoßen. Gilda hat aber längst in der Kirche Gaultier Maldé, einen jungen Studenten, kennengelernt und sich unsterblich in ihn verliebt. Dessen Namen verklärt sie in einer wunderschönen Arie: „Caro nome che il mio cor“.

Der Höfling Marullo hat entdeckt, dass Rigoletto regelmäßig eine junge Dame besucht und hält sie für Rigolettos Geliebte. Er stiftet die Hofgesellschaft an, diese junge Frau in der Nacht zu entführen. Bei der Entführung Gildas leistet Rigoletto ahnungslos Beihilfe.

© Hans Joerg Michel

Als Rigoletto erfährt, dass der Herzog auch die in sein Schloss gebrachte Gilda geschändet hat, engagiert er Sparafucile, einen Auftragsmörder, den Herzog zu erstechen. 10 Scudi sofort, 10 weitere als Restzahlung bei Übergabe der Leiche des Herzogs an Rigoletto in einem Sack. Sparafucile bedient sich seiner Schwester Maddalena als Köder, die das Opfer in sein Gasthaus lockt und verführt, um dann ihrem Bruder freie Hand zu geben. Sie verliebt sich allerdings in den charmanten Herzog und überredet in der Gewitternacht, in der der Auftragsmord geschehen soll, ihren Bruder, den Herzog zu verschonen und stattdessen den nächsten Mann zu ermorden, der ihm über den Weg läuft. Es ist die als Mann verkleidetet Gilda, die sich für den Herzog opfert, indem sie an Sparafuciles Tür Einlass begehrt. Sparafucile zögert nicht lange, steckt die sterbende Gilda in einen Sack und übergibt ihn gegen Zahlung des Restbetrags an Rigoletto.

Der triumphiert, stutzt aber, als er den Herzog „La donna e mobile“ trällern hört. Als er erkennt, dass seine Tochter getötet wurde, die in seinen Armen ihr Leben aushaucht, stürzt für ihn die Welt zusammen. „La maledizione!“ ist seine Erklärung.

Verdi zeigt mit den des Herzogs Höflingen eine durch und durch dysfunktionale Gesellschaft. Dass Frauen und ihre Rechte dort keine Rolle spielen, erkennt man schon daran, dass es neben der Gräfin Ceprano, Gilda, Maddalena und der Hausangestellten Giovanna überhaupt keine Frauenrollen gibt. Jürgen R. Weber steckt den Herrenchor in Frauenkleider und lässt den Extra-Chor der Herren halbnackt in Unterhosen mit diversen Orthesen und Krücken auftreten. Bühnenbildner und Ausstatter Hank Irwin Kittel zeigt so, dass die Höflinge durch ihre Unterwerfung unter die Macht des Herzogs so deformiert sind, dass sie nicht (mehr) als Männer auftreten. Diese Frauen und Körperbehinderten können die Schwachen der Gesellschaft nicht vor der Willkür des Herrschers beschützen! Wie es denen ergeht, die sich widersetzen, zeigt des Herzogs Umgang mit Monterone: er schlägt ihm einfach die ausgestreckte Fluchhand mit seinem Degen ab, um zu zeigen, dass an ihm alles abprallt, während Rigoletto sich ernsthaft Gedanken macht, was der Fluch für ihn bedeuten könnte. Dazu muss man wissen, dass im 19. Jahrhundert im katholischen Italien ein Fluch sehr ernst genommen wurde.

© Hans Joerg Michel

Das Bühnenbild ist nachhaltig, denn es werden raumhohe, circa ein Meter breite, miteinander gebundene Paneele eingesetzt, auf die die Altstadt von Mantua oder die Wände des Schlosses per Video projiziert werden. Die Welt Rigolettos verengt sich immer mehr.  Einzelne Zimmer werden in Bilderrahmen mit Vorhängen angedeutet, und Gildas Zimmer ist ein rollbarer Käfig mit einer Wendeltreppe. Mit diesem Käfig wurde Gildas Entführung wunderbar dargestellt: die Höflinge rollten ihn einfach weg, während Rigoletto eine Leiter hielt.

Dank der Videoprojektionen von Gretchen fan Weber prasselte im 3. Akt der Regen in der trostlosen Flusslandschaft, und es zuckte jeder von Verdi komponierte Blitz des Gewitters auf den Punkt. Die vom Herrenchor gesungenen Vokalisen schufen zusätzlich Katastrophenstimmung. Die Maden, die im ersten und zweiten Akt im Hintergrund der Hofgesellschaft eingespielt wurden, fand ich allerdings zu eklig. Mit „La donna è mobile“, das kurz nach Rigolettos Triumph über seine scheinbar gelungene Rache erklingt, wird die maximale Fallhöhe gezeigt. Gildas Opfertod in den Armen ihres Vaters rührt zu Tränen. Dass nach Gildas Tod Rigolettos Welt implodiert, ist ein fulminanter Schluss des Dramas.

Giorgos Kanaris ist Rigoletto, der von zärtlicher Vaterliebe über grollendem Zorn („Cortigiani, vil razza dannata …“) bis zum Zusammenbruch („Mia Gilda!… È morta! Ah, la maledizione! “) das ganze Spektrum intensiver Gefühle ausdrückt. Das Rollendebut des Ensemblemitglieds zeigt, dass er nach Posa (Don Carlo) und Renato (Maskenball) im Heldenbaritonfach angekommen ist. In zwei Stunden Maske verwandelt er sich in einen durch Buckel und Klumpfuß entstellten Spötter mit verletzlicher Seele, dem die Charakterstudie auch in den leisen Tönen bestens gelingt. Er verhöhnt sexuelle Gewalt gegen junge Frauen und das Leid der der Väter und der gehörnten Ehemänner und blendet dabei aus, dass auch er der Vater einer Tochter ist, der er aus Sorge um sie fast alles verbietet. Nach der erzählten Vorgeschichte ist er die perfekte Identifikationsfigur, der man den Auftragsmord am Herzog fast schon verzeihen möchte. Dass er maßlos ist, zeigt sein Verhalten. Statt mit Gilda zusammen aus Mantua zu fliehen, lässt er sie schutzlos allein, um seine Rache am Herzog („Si, vendetta, tremenda vendetta“) zu organisieren und gibt ihr die Gelegenheit, sich für den Herzog zu opfern.

Dass der Herzog von Mantua ein skrupelloser Wüstling ist, der nicht vor Gewaltanwendung und Machtmissbrauch zurückschreckt, um eine Frau zu erobern, wird den meisten erst im Lauf der Handlung klar. Die Auftrittsarie „Questa o quella per me pari sono“, in der er sich zu seiner Promiskuität bekennt, klingt viel zu harmlos.  Ioan Hotea (Premiere) als Herzog von Mantua wirkt eher wie ein verwöhntes Kind, dessen Charme die naive Gilda und die als Prostituierte routinierte Maddalena wehrlos verfallen. Ensemblemitglied George Oniani (26. Oktober 2023) wirkt da etwas härter. Während Hotea im schwarzen Totenkopf-T-Shirt wie ein umschwärmter Popstar auftritt, nimmt man Oniani den skrupellosen Machtmenschen eher ab. Beide sind ausgewachsene Spinto-Tenöre mit scheinbar mühelosen Spitzentönen. Dass der Herzog in der Tat ein Monstrum ist, zeigt er in der Szene im 1. Akt, wenn er die Gräfin Ceprano entkleidet und mit Schminke entstellt, und im 2. Akt, wenn er der an seinen Hof gebrachten Gilda eine Sahnetorte ins Gesicht klatscht. Szenen-Buh bei der Premiere! Ich habe den Regisseur gefragt, warum er dieses Bild gewählt hat. „Die Alternative für die Torte war das, was geschrieben war: eine Vergewaltigung einer 14-jährigen. Das war zu viel für uns. Wir wollten, dass auch Kinder die Inszenierung sehen und verstehen können,“ so Weber. Ob das Abhacken eines Arms auf offener Bühne da geeignet ist? Die Tochter Monterones sitzt als Statistin mit einer blutigen Puppe im Rollstuhl im 1. und 2. Akt als Mahnmal auf der Bühne. Jedes Mal, wenn das Fluchmotiv ertönte, deutete sie mit ihrer Hand auf Rigoletto. Weber findet hier ein starkes Bild für den Schaden, den eine öffentliche Vergewaltigung mit der Psyche einer Frau anrichten kann.

Eine Sensation ist die in Wiesbaden engagierte Anastasiya Taratorkina als Gilda. Ihr höhensicherer und koloraturstarker Sopran macht ihre Unschuld und Naivität greifbar. Lara Lagni (26. Oktober 2023) als Zweitbesetzung war nicht ganz so stark, ihre Mittellage wirkte etwas rau. Dass auch Gilda als körperbehindert dargestellt wird – sie trägt eine Beinschiene, wie man sie einsetzt, wenn ein Bein gelähmt ist, und geht mit Krücken – sollte ihre Verletzlichkeit andeuten. Die Duette Vater-Tochter strahlten genau die Innigkeit aus, die Verdi sie sich vermutlich vorgestellt hat. Wenn Rigoletto auf Gilda trifft, geht musikalisch die Sonne auf.

© Hans Joerg Michel

Martin Tzonev als Monterone, Mark Morouse als Marullo, Soowon Han als Graf von Ceprano, Victor Campo Leal als Borsa, Jongmyung Lim als Gerichtsdiener und Heeijn Rachel Park als Page der Herzogin waren überwiegend aus dem Ensemble typgerecht besetzt. Sie trugen Herrenkleidung des 16. Jahrhunderts. Der von Marco Medved präzise einstudierte Herrenchor der Oper Bonn trug Frauenkleider, im 2. Akt keine Perücken mehr, die ausdrücken, dass sich die Höflinge gegen den Herzog in der Frauenrolle nicht durchsetzen können. Es ist möglicherweise auch eine Anspielung an die Praxis „Männer in Frauenkleidern“ im Kölner Karneval. Alle Kleider haben irgendwo das typische rot-bunte Karomuster der Karnevalsband Brings, mit der das Beethoven-Orchester wiederholt erfolgreich zusammengearbeitet hat.  Der Extrachor der Herren stand in Unterhosen und mit diversen Orthesen entblößt und dadurch entwürdigt da. Beim Schlussapplaus durften sie Bademäntel tragen.

Die sichtbare Behinderung vieler als Metapher für Deformation der Gesellschaft ist meines Erachtens inflationär eingesetzt. Der Rollstuhlfahrer, in dessen Begleitung ich die Premiere besucht habe, bemerkte nur: „Der Käfig, in dem Gilda lebt, ist überhaupt nicht barrierefrei.“

Das Beethoven-Orchester unter der Leitung von Daniel Johannes Mayr, in langen Jahren der Verdi-Pflege von Will Humburg geschliffen, produzierte einen saftigen Verdi-Klang mit viel Italianitá. Dieser „Rigoletto“ ist eine scheinbar konventionelle Inszenierung mit beeindruckenden, teilweise kontrovers diskutierten Bildern und einem starken Ensemble. Für Kinder unter 14 ist das Stück definitiv nicht geeignet, schon wegen der offen gezeigten Gewalt. Bei der Premiere gab es kräftige Buhrufe für das Regie-Team.

Ursula Hartlapp-Lindemeyer, 30. Oktober 2023

Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN


Rigoletto
Giuseppe Verdi

Oper Bonn

Besuchte Vorstellungen:
Premiere am 15. Oktober 2023
und Folgevorstellung am 26. Oktober 2023

Videoprojektionen: Gretchen fan Weber
Regie: Jürgen R. Weber
Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr
Beethoven-Orchester Bonn