Mauricio Kagel
Premiere: 13.09.2020
Besuchte Vorstellung: 27.09.2020
Eine Oper für diese Zeiten
Nichts gegen Mauricio Kagel. Er ist sicherlich einer der ganz großen Revolutionäre im Bereich der Neuen Musik und hat mit seinen Werken Maßstäbe gesetzt. 1971 wurde an der Hamburgischen Staatsoper sein „Staatstheater“ uraufgeführt, ein Werk, dass jegliche Grenzen eines normalen Opernabends sprengen sollte. Keine Handlung, kein (verständliches) Libretto, dafür aber bis ins kleinste Detail in der Partitur vermerkte Abläufe, Bewegungen, ja, sogar selbst entwickelte Instrumente. Eine präzise Monstrosität für den ganzen Theaterapparat, bei der dem Komponisten klar war, dass es niemals eine komplett umfassende Aufführung wird geben können. Aber das muss auch nicht sein, denn das, was das Werk stark macht ist das Sezieren der Oper an sich und des dahinterstehenden Betriebs. Das Theater wird bis auf die Knochen abgenagt und neu sortiert – eigentlich spannend. Gerade in diesen absurden Zeiten, in denen ein vor einem Jahr noch beinahe unbekannter Virus uns mühelos aufzeigt, in welch paradiesischen Zeiten wir gelebt haben, der in unser tägliches Leben so massiv eingreift und der gerade die Theater und vor allem die Opernhäuser so hart getroffen hat. Da scheint Kagels „Staatstheater“ dessen so simpler Titel doch so viel bedeuten kann, der Soundtrack zur Zeit zu sein. Absurditäten finden in der Partitur statt, weil der Komponist es will, aber auch der Bühne, wo behördliche Gesundheitsvorgaben es erzwingen und geben dem Titel eine weitere Dimension. Wer macht hier Theater? Das Werk an sich? Der Komponist? Ein Virus? Der Staat, der uns mittels gravierender Vorgaben vor dem Virus schützen will?
Aus der Not wird in Bonn eine Tugend: Der Absurdität des Werkes geben die Maßnahmen des Hygienekonzeptes eine weitere Dimension. Eine kleine, auf rollbaren Paletten montierte Orchesterbesetzung löst bekannte Strukturen auf und kann so immer Abstand halten. Dabei musizieren die sieben Musiker des Beethoven-Orchesters (in der Besetzung Violine, Viola, Cello, Flöte, Horn, Tuba und Schlagwerk), teilweise durch Plexiglas abgeschirmt, unter der Leitung von Daniel Johannes Meyer mit unglaublichem Verve und Einsatz. Jedem Sänger zugeordnete kleine Plastikgreifarme ermöglichen das virusfreie Übergeben von Requisiten und zeigen ein erschreckendes Bild menschlicher Nähe, wenn die Protagonisten mit diesen Greifern versuchen sich bei der Hand zu nehmen. Und natürlich der Mundschutz – ja, auch ohne diesen geht es auf der Bühne nicht. Wären diese Maßnahmen aus unserem alltäglichen Leben nicht bekannt – man würde über die Skurrilität der Szenerie staunen.
Regisseur Jürgen R. Weber wiederum schafft es aus dem Staatstheater ein Stadttheater zu machen und stülpt Kagels Klang- und Bildermaschinerie eine so platte, wie gezwungene Handlung über. Da kämpfen dann – wie es auf lokalpolitischer Ebene schon mal üblich ist – Sport und Kultur um ihren Erhalt und die Steuermillionen. In Bonn wurden diese beiden wichtigen Pole öffentlichen Lebens bereits auch schon gegeneinander ausgespielt. Weber erfindet nun Rollen wie „Die Intendantin“, die, hinreißend gespielt von Yannick-Muriel Noah, in roter Festrobe zeigt, wie fein nuanciert man die so brachiale Musik Kagels musizieren kann. Ihr Widerpart ist – ja, und da schüttelt man den Kopf – der „Oberbademeister“. In den durch die Bank weg großartigen Kostümen Kristopher Kempfs zeigt dieser Oberbademeister (Tobias Schabel) in neonfarbener Badebekleidung wo der Hammer hängt. Die Regie müht sich hier redlich ab, Bilder zu erschaffen, Handlung zu produzieren und lässt dann den Bademeister im überdimensionierten Papierbötchen mit Schlagzeilen der Bonner Lokalpresse zu genanntem Konflikt mit der Intendantin in den Kampf ziehen. Dazwischen – wir sind ja in Bonn – darf Beethoven natürlich nicht fehlen und die eingangs noch zerstörte Beethovenbüste, wird am Ende doch wieder geflickt und alle haben sich lieb. Ja, das ist schon arg platt und man mag die Verzweiflung eines Regisseurs verstehen, wer sich mit diesem Konvolut an Anweisungen und Klängen konfrontiert sieht, die scheinbar ins Nichts führen, aber dennoch – diese Story ist an den Haaren herbeigezogen.
Aber dennoch macht der Abend Laune und dies liegt an allen Beteiligten. Der Jugendchor des Theaters zeigt sein szenisches Können und allen Solisten scheint man die unbändige Freude anzumerken, wieder auf einer Bühne stehen zu können. Wenn man etwas als einen spürbaren, aber dennoch gelungenen Kraftakt betrachten will, dann ist es dieser Abend. Angst vor Neuer Musik ist hier unangebracht, denn die Musik Kagels ist so bunt und abwechslungsreich, die Sänger spielen mit einer Freude und einer Begeisterung, wie man es lange nicht erlebt hat.
Ja, auch das ist Corona: erst der Verlust des Gewohnten zeigt uns, wie wichtig uns etwas ist und lässt neues Entstehen. Und auch das ist „Staatstheater“ – erst der Verlust des Gewohnten lässt uns Neues entdecken und Oper vielleicht auch neu denken.
Sebastian Jacobs, 28.09.2020
(Bilder siehe unten)