Bremen: „Hänsel und Gretel“

Premiere am 25.11.2016

Ein Wald aus Pilzen

Es gibt kaum eine Oper, die so regelmäßig zur Weihnachtszeit auf deutschen Bühnen auftaucht, wie „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck. In Bremen wurde das Stück zuletzt 2007 von Christian Schuller in einer Bearbeitung von Elke Heidenreich gezeigt. Jetzt hat der Schauspielregisseur Alexander Riemenschneider die populäre Märchenoper inszeniert. Es ist seine erste Arbeit für das Musiktheater. Herausgekommen ist eine Umsetzung mit vielen Stärken und kleinen Schwächen.

In den geschlossenen Vorhang ist eine Mini-Guckkastenbühne integriert. Dort sieht man gleich zu Beginn die Hexe, die „Ist jemand da?“ ruft. Ein geheimnisvolles Echo antwortet. Die Frage kann auch so verstanden werden, ob es einen Gott gibt. Während der Ouvertüre sind eine mit Wunderkerzen garnierte Torte zu sehen und Hänsel, der sie gierig verschlingt. Es kommt leider immer häufiger vor, dass Regisseure schon die Ouvertüre bebildern und der alleinigen Wirkung der Musik misstrauen. Aber hier hält es sich in Grenzen.

Der erste Akt spielt auf weitgehend kahler Bühne. Hänsel und Gretel necken sich ziemlich handgreiflich. Bei der Szene zwischen Vater und Mutter spürt man den Schauspielregisseur: Ein Ehestreit mit unterschwelliger Erotik – Strindberg lässt grüßen. Sehr gelungen ist die märchenhafte Phantasiewelt des 2. Aktes. Jan Štěpánek hat ein anregendes Bild mit riesigen Pilzen und einem glitzernden Lamettavorhang im Hintergrund entworfen. Schattenriss-Effekte und malerische Farben entführen in eine Traumwelt. Dort tauchen allerdings nicht die berühmten vierzehn Engel auf, sondern eine bunter Schar skurriler Figuren, die von einer Art Feenkönig angeführt werden. Eindrucksvoll ist auch der Auftritt von Sandmännchen und Taumännchen im goldenen, dann silbernen Glitzeranzug. Etwas Kitsch gibt es trotzdem. Im Schlussbild schweben, wie schon am Anfang, eine Leuchtschrift mit den Worten „Wenn die Not auf’s Höchste steigt“ und ein knallrotes Herz herunter.

Die Hexe ist bei Riemenschneider kein „gruseliges Weib“, sondern eher eine verführerische Schönheit, eine elegante Dame der Halbwelt im schwarzen Hosenanzug. So richtig zum Fürchten ist sie nicht, aber eine unheimliche Aura strahlt sie dennoch aus. Nach dem sie unspektakulär in den Backofen gestoßen wurde (diese Szene verpuffte wirkungslos) und dieser schließlich explodiert, taucht sie wieder beim Dirigenten auf und dirigiert die letzte Szene. Das Böse ist eben nicht auszurotten. Insgesamt ist Riemenschneider trotz kleiner Einwände im Detail eine durchweg unterhaltsame und kurzweilige Inszenierung gelungen, an der große und kleine Zuschauer ihre Freude haben können.

Die musikalische Leitung lag in den Händen von Daniel Mayr, der mit den Bremer Philharmonikern ein durchweg flottes Tempo anschlug, was der Musik sehr gut anstand. Seine Wiedergabe wird von klanglicher Opulenz und gleichzeitig feiner Differenzierung geprägt. Mit Ulrike Mayer als Hänsel und Marysol Schalit als Gretel stehen zwei Sängerinnen zu Verfügung, die ihre Partien stimmlich und optisch überzeugend verkörpern. Ihr freches und lockeres Spiel macht die Figuren glaubhaft. Beim Abendsegen zeigt sich, wie gut die Stimmen harmonieren. Patricia Andress zeichnet die Mutter Gertrud als verhärmte, gefühlskalte Frau. Loren Lang als Vater Peter glaubt man die Sorge um seine Kinder. Stimmlich hat er vor allem im letzten Akt allerdings etwas zu kämpfen. Nathalie Mittelbach als Knusperhexe setzt sehr auf ebenmäßigen Gesang und vermeidet jegliche Übertreibung. Iryna Dziashko (sie ist auch alternativ als Gretel besetzt) ist trotz verbesserungswürdiger Diktion ein attraktives Sand- und Taumännchen mit Jubelton in der Stimme.

Wolfgang Denker, 27.11.2016

Fotos von Jörg Landsberg