War Peter Konwitschny früher ein origineller Regisseur, der die Opern aus einem akribischen Studium der Partitur heraus neu deutete, so erzählt er in seinem Dortmunder Der Ring des Nibelungen seit 2022 die Handlung brav nach. Bereits bei Die Walküre und Siegfried waren die wechselnden Ausstattungsteams die wesentlichen Impulsgeber. Die Walküre spielte in drei verschiedenen Wohnzimmern, der Siegfried in Containern.
Bei Das Rheingold liegt die Ausstattung in den Händen von Jens Kilian. Der hat beim Stuttgarter Vier-Regisseure-Ring (1999/2000) für Joachim Schlömers Rheingold die Vorhalle einer Badeanstalt entworfen. Für den Frankfurter Ring (2010-2012) hat er die sensationelle Bühne aus verschiebbaren Kreiselementen gebaut. In Dortmund versetzt er die Götter, Zwerge und Riesen in die Steinzeit: Das gesamte Personal trägt Fell oder Lederwämse. Wotan und seine Sippe wohnen in Wigwams und Jurten. Das treibt dem Publikum jede Ehrfurcht vor den Göttern aus, zumal Konwitschnys Personenführung unterhaltsam und spielfreudig ist, aber genauso gut in anderen Räumen funktionieren würde.
Alberich sitzt am Anfang angelnd am Orchestergraben und klettert später mit den Rheintöchtern ein bisschen eine Leiter rauf und runter. Das Rheingold ist ein goldenes Tuch, mit dem Alberich in den Schnürboden entschweb, was ein starkes Bild ist. Durch den Goldraub gelingt Alberich dann der Technologiesprung: Im 3. Bild befinden wir uns in nicht mehr in der Steinzeit, sondern in einer Mega-Metropole und Alberich produziert als Nibelungenhort Atomraketen. Als Tarnhelm fungiert ein Tablet.
Alberichs Verwandlungen werden so verschenkt, und wenn die Riesen Freia eigentlich mit dem Hort bedecken, läuft die Apfel-Göttin bloß zwischen den Atomraketen hin und her. Nach Donners Gewitterszene wird auch die Wotan-Sippe modern eingekleidet, sitzt dann aber gleich schon gebrechlich im Rollstuhl und lässt sich von den Rheintöchtern pflege. Wie in guten Hilsdorf-Inszenierungen der 80er und 90er Jahre regnet es zum Finale Flugblätter ins Publikum „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut!“
Generalmusikdirektor Gabriel Feltz braucht 155 Minuten für den Abend. Andere Dirigenten haben das schon flüssiger und spritziger dirigiert. Dramatische und orchestrale Höhepunkte wie den Raub des Rheingolds oder Alberich Verwandlung in einen Drachen steuert Feltz effektvoll an. Das Vorspiel zur ersten Szene bleibt merkwürdig konturlos und das Relief des Es-Dur Strömens sehr flach.
Aus dem mit vielen Gästen besetzen Ensemble des Abends ragt Joachim Goltz vom Nationaltheater Mannheim als Alberich heraus. Die Verwandlung vom Waldschratt zum Rüstungsmogul gelingt ihm auch stimmlich. In der ersten Szene singt er die Rolle düster, in der dritten Szene fährt er einen eleganten Kavaliersbariton auf. Eigentlich dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Goltz, der in den letzten Jahren in NRW in vielen starken Rollen zu erleben war (Telramund in Dortmund, Klingsor in Düsseldorf, Holländer in Köln) zum Wotan wechselt. Der klang bei Tommi Hakala knorrig und dunkel, in der Artikulation nicht immer flüssig.
Matthias Wohlbrecht vom Staatstheater Karlsruhe knüpft als Loge an seinen Siegfried-Mime vom letzten Jahr an, präsentiert einen wendig-intelligenten Charakter, dem allerdings noch ein paar vokale Tenorglanzlichter fehlen. Mit fulminant-strömendem Bass beeindruckt Denis Velev als Fasolt. Sehr schön gestaltet Melissa Zgouridi mit vollem Alt die Erda. Fritz Steinbacher überzeichnet den Mime nicht in der üblichen Art, sondern gestaltet die Rolle mit lyrischem Tenor.
Im nächsten Jahr wird der Dortmunder „Ring des Nibelungen“ mit einem Remake von Konwitschny Stuttgarter Götterdämmerung-Inszenierung von 2000 beendet. Zwei zyklische Aufführungen sind vom 22. bis 25. Mai und 29. Mai bis 8. Juni geplant.
Rudolf Hermes, 15. Mai 2024
Das Rheingold
Richard Wagner
Oper Dortmund
Premiere: 9. Mai 2024
Inszenierung: Peter Konwitschny
Musikalische Leitung: Gabriel Feltz
Dortmunder Philharmoniker