Ist das nicht ein bisschen zu viel „Orpheus in der Unterwelt“? Gerade erst wurde an der Rheinoper in Duisburg und Düsseldorf die überdreht-aberwitzige Inszenierung von Barrie Kosky aufgenommen, da bringt im November die Oper Dortmund eine Inszenierung von Nikolaus Habajan heraus, und die Essener Folkwang-Hochschule lässt Zsófia Geréb den Can-Can-Klassiker inszenieren.
Die Dortmunder Produktion versetzt die komische Oper in den Kostümen von Denise Heschl und der Bühne von Heike Vollmer in eine Comic-Ästhetik. Das ist zwar keine neue Interpretation des Stückes, sieht aber alles sehr gut aus, passt zum Stück und ist unterhaltsam. Regisseur Nikolaus Habajan, der mit seinen Puppenstücken bekannt geworden ist, kann nämlich auch mit Menschen umgehen.
Zum Beginn des Stückes befinden wir uns in einem Wellnesshotel, wo Pluto sich als Bademeister Aristeus an Eurydike heranmacht. Der umbaute Orchestergraben ist in das Bühnenbild als Swimmingpool integriert, wird aber inszenatorisch nicht genutzt. Manches könnte von der Regie noch pointierter und stringenter umgesetzt werden, trotzdem gelingt Habajan ein eigenständiger und unterhaltsamer Abend. Die Götterwelt tritt in traditionellen olympischen Gewändern auf, Pluto ist ein Vampir und Hans Styx ein langfingeriger Nosferatu. Steffen Schortie Scheumann legt diese Figur aber nicht ganz so bösartig an, wie er kostümiert ist.
Hat Barrie Koskys Inszenierung dadurch ein irrwitziges Tempo, dass Max Hopp alle Dialoge synchronisiert, so kommt Dortmund da nicht mit. Auch was die Textverständlichkeit und Artikulation der Dialoge angeht, ist Max Hopp den Dortmunder Akteuren weit überlegen. Konfettikanonen und ein von Adriana Naldoni gut choreografierter Can-Can sorgen aber für viel Stimmung.
Auf der Bühne steht in den Solo-Partien eine bunte Mischung aus Ensemble, Gästen, Opernstudio und Choristen. Ensemble-Mitglied Rinnat Moriah singt die Eurydike mit ansprechendem und leichtem Sopran. Eine Power-Emanze wie Elena Sancho Pereg an der Rheinoper ist sie nicht. Gastbariton Zachary Wilson gibt den Orpheus mit stattlicher Kavalierstimme. Sopranistin Soyoon Lee vom Opernstudio NRW ist ein frecher Cupido.
Maria Hiefinger vom Opernchor spielt eine resolute selbstbewusste öffentliche Meinung. Durchsetzungsfähig präsentiert sich Morgan Moody als Jupiter, und Fritz Steinbacher ist ein pfiffiger Pluto. In den Partien der olympischen Götter gibt es aber auch einige schwächere sängerische Leistungen. Unverständlich ist, warum alle Akteure über Mikrophone verstärkt werden. Wenn auf der Bühne viel los ist, kann man als Zuschauer nicht immer identifizieren, wer da gerade singt.
Am Pult der Dortmunder Philharmoniker dirigiert Koji Ishizaka einen turbulent-spritzigen Offenbach. Insgesamt bietet Nikolaus Habajan nach seinen Dortmunder Produktionen von „Entführung aus dem Serail“, „Tosca“ und „Zauberflöte“ eine weitere interessante Inszenierung. Eigentlich müsste er jetzt noch seine „Carmen“ nachliefern, die wegen der Corona-Pandemie nicht gezeigt werden konnte.
Rudolf Hermes, 13. Dezember 2023
Orpheus in der Unterwelt
Jacques Offenbach
Oper Dortmund
Premiere: 11. November 2023
Besuchte Vorstellung: 8. Dezember 2023
Regie: Nikolaus Habajan
Musikalische Leitung: Koji Ishizaka
Dortmunder Philharmoniker