Dortmund: „Die lustige Witwe“

„Weimarer Fassung“ des Lehar-Evergreens

Was macht die Dortmunder Aufführung so besonders, zu einer herkömmlichen Aufführung des Werkes? Nun, Henning Hagedorn und Matthias Grimminger, denen wir die aktuelle Paul-Abraham-Renaissance verdanken, haben wieder einmal Quellenstudium betrieben. Bei der "Witwe" heißt das nicht den Ursprung beachten,denn der ist gut gesichert und in der normalen Aufführungstradition verankert, sondern um die legendäre Bearbeitung der Zwanziger Jahre, die für die große Operettendiva ihrer Zeit, für Fritzi Massary, mit Lehars Einwilligung vorgenommen wurde. Im Programmheft wird allerdings gleich zurückgerudert, das man zwar die Quellen dieser Aufführung benutzt habe, doch eine eigene, wahrscheinlich mit Regisseur Thomas Enzinger, Fassung erarbeitet hat. So. Doch nun einen kleinen Exkurs zu Fritzi Massary, die zu ihrer Zeit ein echter Star war (Zigaretten und Hüte wurden nach ihr benannt!). Auf den Tonaufnahmen, die es von ihr gibt, hören wir , in historischer Qualität, zunächst keine wirklich "schöne" Stimme; etwas metallisch, manchmal fast piepsig, aber ungemein textverständlich und von einer aufreizenden Lockung im Servieren von Pointen und bewußtem Gefühl. Da werden Konsonanten als erotische Kommata genutzt, es gurrt, kichert und spielt mit dem Gehalt von "ich könnte jetzt sehr ordinär sein", wird es jedoch nie wirklich. Massary hatte halt das gewisse "je ne sais quoi". Auf Bildern sehen wir auch eigentlich keine wirkliche "Schönheit", sondern eine reizvoll weibliche Frau, die sich sehr bewußt und vorteilhaft in Szene setzen kann. Man versteht warum Oscar Straus "Ich bin eine Frau, die weiß, was sie will, ich habe mein Tempo, ich hab`meinen Stil" auf den Leib komponiert hat. Für diese Künstlerin wurden eben Ausnahmen gemacht, Texte aktueller und neu geschrieben; sie hatte die freie Wahl welche der Nummern von ihr gesungen werden, so eigentlich Valenciennes "Ich bin eine anständ`ge Frau" oder das Grisettenlied. Der Choreograph Erik Charell hatte die Aufführung mit vielen Tänzerinnen und Glamour revuehaft vergrössert. Wenn man den Regisseur Thomas Enzinger kennt, rechnet man auch mit dem wunderbaren Ausstatter Toto, die beiden bilden wirklich einen Garant für gekonntes Unterhaltungstheater in abgestaubten Bildern: hier sehen wir die Weimarer Republik vor uns, so ein bißchen an der erfolgreichen Serie "Berlin Babylon" angelehnt und auch ein bißchen an das Musical "Cabaret"; denn wir haben da noch die herzuerfundene Figur Adàn, die wie ein Conferencier das Stück begleitet, Morgan Moody macht diesen Ausflug in ein anderes Genre (vom Opernsänger aus gesehen!) ganz famos, textverständlich mit angenehmem Bariton, noch einen Schuss mehr Gustav Gründgens in "Tanz auf dem Vulkan", also etwas mehr Furor, dann wäre es grandios. Evamaria Mayer hat die nicht leichte Aufgabe, das ganze Geschehen choreographisch die ganze Zeit zu begleiten, es kommt nicht ganz an Otto Pichlers Arbeiten an der Komischen Oper heran, aber schon verdammt nah, was allein hervorragend ist, was da an tänzerischem Zauber mit acht Tänzerinnen, den Solisten und dem Chor auf der Bühne entfaltet wird. Das Hauptaugenmerk der Aufführung liegt natürlich auf dem Paar Hanna und Danilo: Penny Sofroniadou und Matthias Störmer sind schon optisch eine Augenweide. Doch Penny Sofroniadou ist eben keine Fritzi Massary; stimmlich ist sie der Diva mit strahlendem Sopran und allein gesangstechnisch überlegen, doch es fehlt an Textverständlichkeit und selbstsicherer Entspanntheit, über ein ordentliches Niveau kommt es bei ihr nicht. Matthias Störmer ließ sich allergiebedingt entschuldigen, nutzte oktavieren und Sprechgesang bestens aus ,das Manko zu verdecken. Er ist ein im besten Sinne echter Theaterroutinier und sein Danilo punktet mit jungenhaftem Charme und hält sich oft nahe die Interpretation von Johannes Heesters( natürlich in seinen guten Jahren). Sungho Kim gehört zu den gesanglich besten Rosillons, die ich gehört habe; tenorale Geschmeidigkeit vereint mit sanglichem Schmelz. Sooyeon Lee singt die sopranfrische Valencienne dazu. Beide kommen, szenisch von der Regie als Folie von oberflächlichen Zwanziger-Jahre Flapper serviert, nicht über ein Abziehbild heraus, ihre Liebesgeschichte findet nicht wirklich statt. Eine Freude ist das Wiedersehen mit Hannes Brock als Baron Zeta. Steffen Schortie Scheumann macht , als mehr berlinesker, denn balkanesker Njegus gute, komische Figur. Der Dortmunder Opernchor überzeugt durch spürbare Spielfreude. Philipp Armbruster gelingt es hervorragend, sich mit den Dortmunder Philharmonikern den leicht veränderten Lehar-Sound durch die vertrackten Anschlüsse des Abends mit Musiknummer, Begleitmusik, Melodram und Ballett zu finden, höchsten Respekt dafür! Fazit: Ein sicher sehr interessanter Abend für die Spezialisten, doch die "Original-Witwe" finde ich in ihrer psychologischen Anlage schlüssiger. Weil die Ausführung im Großen und Ganzen gelungen ist und dem Auge bei schöner Musik viel geboten wird, ist das gut besetzte Auditorium des Jubels voll. Alles was ein Operettenabend soll , wird erreicht. Martin Freitag, 27.5.22