Dortmund: „Fernand Cortez oder Die Eroberung von Mexiko“, Gaspare Spontini

Premiere 7. April 2022 – besuchte Aufführung 24. April 2022

Begleitend zur Aufführung von Richard Wagner´s „Ring des Nibelungen“, die im Mai 2022 mit dem ersten Tag des Bühnenfestspiels „Die Walküre“ beginnt, führt man in Dortmund Opern auf, die als Anregung oder Nachwirkung von Wagner´s Werk verstanden werden können, „Wagner-Kosmos“ genannt. Das waren bisher nur französischsprachige Opern, nämlich „Die Stumme von Portici“ und „Frédégonde“ Jetzt folgte Gaspare Spontini´s Oper in drei Akten „Fernand Cortez oder Die Eroberung von Mexiko“ (Fernand Cortez, ou la conquête du Mexique) auf das Libretto von V.-J. Étienne de Jouy und J.-A. d´Esménard, in Dortmund aufgeführt in der dritten durch M.E.G. Théaulon de Lambert veränderten Fassung, die in 1824 in Berlin, allerdings in deutscher Übersetzung eines J.C.. May, uraufgeführt wurde. Dort war Spontini zu der Zeit GMD. In Dortmund erklang diese Fassung nun erstmalig in Deutschland mit dem französischen Original-Text. Die musikalische Leitung hatte Christoph JK Müller, Regie führte Eva-Maria Höckmayr.

Gemeinsam ist den drei erwähnten Opern auch, dass eine Frau im Mittelpunkt steht, bei den beiden ersteren geht das aus dem Titel hervor, bei Spontini ist es die mexikanische Prinzessin Amazily, darüber wohl auch die Verbindung zu Wagner. Als Schwester des mexikanischen Feldherrn Télasco und zum Christentum übergetretene Geliebte des spanischen Feldherrn Cortez will sie zwischen den feindlichen Mexikanern und Spaniern vermitteln, wobei mit Mexikanern hier Azteken gemeint sind. Auf der Bühne wurde das symbolisiert durch ein Kreuz und einen Hund, bei den Azteken ein heiliges Tier. Sie bietet sich sogar dem bösen mexikanischen Oberpriester als Opfer an, um noch mehr Blutvergiessen zu verhindern.

Die Mexikaner haben Alvar, einen Bruder von Cortez, gefangen genommen. Er soll zusammen mit zwei anderen Gefangenen hingerichtet werden. Dies regte Spontini zu einer grossen Arie Alvars über Abschied von Heimat und Leben an, in der Sungho Kim mit helltrimbrierten lyrischen Tenor sehr beeindruckte. Das folgende a-capella-Terzett mit den beiden anderen Gefangenen (Jorge Carlo Moreno und Ian Sidden) wurde zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends.

Aber auf Befehl des verhandlungsbereiten Königs Montézuma (wie immer mit ausdrucksstarkem Bariton Mandla Mndebele) sollen sie als Geisel gegen den Abzug der Spanier ausgetauscht werden. Darauf würden die kriegsmüden spanischen Soldaten gern eingehen, auch wegen versprochener Goldgeschenke, aber Cortez – das ist historisch – regt ihre Kampfeslust wieder an und läßt die zur Heimkehr erforderlichen Schiffe verbrennen. In der Aufführung verpuffte diese gewaltige Szene fast wirkungslos – es wurde ein Papierschiffchen angezündet.

Letztlich erobern Cortez und seine Soldaten die Hauptstadt der Azteken, Amazily wird gerettet und verbindet sich nun endgültig mit Cortez, der allen seinen Gegnern verzeiht und als der grosse Held gefeiert wird.

Dieses recht plötzliche happy end oder „lieto fine“ wollte die Regisseurin so nicht darstellen, Cortez heiratete eine Doppelgängerin (ist ja heute Mode!), während die wirkliche Amazily die Bühne über den Zuschauerraum verließ.

Nicht nur das Ende, auch den Beginn der Vorstellung bestritt Amazily, indem sie während der zwischen Marschrhythmen und lyrischen Phrasen wechselnden Ouvertüre blutrote Worte auf das viereckige goldene Einheitsbühnenbild zeichnet, auf dessen Hintergrund eine grosse Stadt angedeutet wurde. Es wurde überhaupt viel auf diesem Bühnenbild gekritzelt, was der Zuschauer kaum nachvollziehen konnte. (Bühne Ralph Zeger).

Etwas verwirrend waren gleichartige Kostüme für Spanier und Mexikaner, die Anführer in blauen heutigen Anzügen, die der Mexikaner erkennbar an grossen Federkronen, die übrigen Krieger in Unterwäsche ähnlichen Alltagsklamotten. (Miriam Grimm). Historisch wie zu ihrer Zeit gekleidet traten nur auf Cortez und sein Vertrauter Moralès, hier als katholischer Priester. Diese Partie sang Morgan Moody mit gewohnter klangvoller Stimme und Präzision. Zusätzlich mußte er noch das grosse Holzkreuz hin- und herschleppen.

Eigentliche Handlung spielte sich auf der Bühne wenig ab, dafür gab es eindrucksvolle Bilder, etwa im Sinne der Grand-Opéra, von denen zwei erwähnt werden sollen: Nach der Pause tauchten auf einem Hubpodium Soldaten in Uniformen vieler Länder und Zeiten auf mit einem Papst in der Mitte, schwarze Fähnchen schwenkend, um diese und kommende Eroberungen vorzubereiten.

Zum zweiten reckte etwa der mexikanische Oberpriester vor dem erwähnten grossen Holzkreuz mit einem der von ihm nach alter aztekischer Tradition vom lebendigen Körper eines Besiegten extrahierten Herzen in der Hand seinen Arm nach oben – beide Religionen konnten grausam sein. Im dritten Akt wurden gleich noch mehrere dieser Operationen angedeutet, dafür sang Yevhen Rakhmanin die Partie dieses verbrecherischen Haßpredigers bis in tiefe Tiefen fast zu wohlklingend.

Was den Besuch der Aufführung vor allem lohnte, war die musikalische Seite und hier vor allem die Amazily von Melody Louledjian. Ob sie im Streit mit ihrem Bruder Télasco (James Lee), der ihr Verrat vorwarf, ihre Liebe zu Cortez verteidigte, ob sie letzteren in süssestem lyrischen Legato anhimmelte, oder ob sie verzweifelte innere Zerrissenheit ausdrückte, immer gelang ihr das mit passender Stimmfärbung, stimmlicher Präsenz gegenüber Chor und Orchester und für einen Sopran weitgehend textverständlich. Mit ihrem geliebten Cortez hatte sie nur ein verhältnismässig kurzes Liebesduett. Hier mit Legato-Kantilene und in seiner grossen kämpferischen Arie mit heldentenoraler Wucht überzeugte Mirko Roschkowski als auch das französische Idiom treffender Titelheld.

Zu ganz grosser Form und in grosser Besetzung trumpfte der Opernchor des Theaters Dortmund auf, praktisch ohne Ungenauigkeiten, in der Einstudierung von Fabio Mancini. Passend für eine Grand Opéra konnte er in allen geforderten Stimmungen wie Verzweiflung angesichts drohender Niederlagen, Kampfesmut und Siegeswillen überzeugen. Da der eine Chor gleichzeitig beide Parteien verkörperte, mußte man manchmal raten, welches Kriegspartei gerade gemeint war. In pompöser Abendkleidung versuchte der Damenchor als Mexikanerinnen, die Spanier zu verführen. Daß man dadurch Männer zur Abreise motivieren wollte, ist neu.

Umsichtig, präzise und inspiriert leitete Chrisoph JK Müller das vielfältige und aufwendige musikalische Geschehen mit gewaltigen vorwärtsdrängenden Märschen aber auch französisch-intimen Partien. Auffällig war der häufig fliessende Übergang von ariosen Rezitativen zu Arien. Die Dortmunder Philharmoniker liessen hören, wie abwechslungsreich in Klangfarben und Instrumentation die Partitur Spontinis teilweise ist. Auch für die Entstehungszeit harmonische Kühnheiten glaubte man zu hören.

Zum Schluß kamen vom Publikum zwar Bravos für die beiden Hauptpersonen und den Chor, aber der Beifall blieb besonders angesichts des Aufwands und der musikalischen Qualität der Aufführung eher bescheiden. In Gesprächen hörte man, besonders im dritten Akt sei man verwirrt gewesen, wer denn nun von wem als Geisel genommen, ermordet oder begnadigt wurde. Hier und auch bezüglich der plötzlich doppelten Amazily konnte nur zum vorherigen Lesen des Programmhefts geraten werden.

Sigi Brockmann 26. April 2022

Fotos Björn Hickmann