Freiburg: „Coraline“

Premiere am 15.6.2018

Fantasy-Oper von Mark-Anthony Turnage

Die 2002 erschienene Novelle des britischen Autors Neil Gaiman wurde bereits 2009 von Henry Selick als preisgekrönter Animationsfilm verfilmt. Meine Kinder haben heute noch Alpträume von dem Film. Denn Neil Gaiman schrieb nicht einfach eine Horrorstory. Jedes Kind kann sich mit der elfjährigen Coraline (die Umdrehung der Vokale des gebräuchlicheren "Caroline" kommt nicht von ungefähr) identifizieren, die sich von ihren Eltern unverstanden fühlt, einsam und gelangweilt ist. Gerade umgezogen, ist sie begierig darauf, ihre neue Umgebung zu erforschen, alleine, schliesslich ist sie ein Einzelkind, die Eltern sind gestresst und haben nie Zeit und Freunde hat sie keine. Promt findet Coraline eine Geheimtür und landet in einer Parallelwelt im eigenen Heim, in der eine "Andermutter" ganz viel Zeit für sie hat, der Vater sie verwöhnt, stets ihre Lieblingsspeisen auf dem Tisch stehen und auch die anderen ziemlich skurrilen Hausbewohner (ein Mäuseorchesterdirigent und ehemalige Schauspielerinnen) plötzlich netter und erfolgreicher sind.

Nur einen Makel haben die Bewohner der Parallelwelt: Ihre Augen bestehen aus schwarzen Knöpfen. Und bald schwant Coraline, dass ihre ach so liebe Andermutter, die unbedingt möchte, dass das Mädchen für immer bei ihr bleibt, nicht so harmlos ist, wie sie scheint. Als die Andermutter dann auch noch Coralines Eltern kidnappt, steckt man plötzlich mittendrin in der Horrorstory. Doch Coraline hat einen Plan…

Die nunmehr vierte Oper des britischen Komponisten Mark-Anthony Turnage – die nur wenige Wochen vor der Freiburger Premiere an der Royal Opera in London uraufgeführt worden war – weicht auch mal ab von der Buchvorlage, so ist zum Beispiel Coralines Vater nicht mehr Schriftsteller sondern ein verrückter Erfinder und die sprechende Katze wurde gar gestrichen. Die Musik des klassisch ausgebildeten Komponisten lässt sich in keine Schublade stecken (jazzige Pop-Klassik?), von Tango und Walzer bis zu schrägen Dissonanzen (vor allem wenn die Andermutter ihr wahres Gesicht zeigt) ist da so ziemlich alles vorhanden. Fabrice Bollon leitet das Philharmonische Orchester Freiburg sicher durch die gar nicht einfache Partitur. Die Welt der kleinen Coraline ist farbenfroh und einfallsreich gestaltet, genial die sich drehende Bühne (Giles Cadle), deren Rückwand die Parallelwelt darstellt, wo alles gleich aber durch die gespiegelte Anordnung des Interieurs doch irgendwie anders ist. Die phantasievollen Kostüme (Gabrielle Dalton) verdienen einen Oscar, schon allein für ihre Knopfaugenlösung.

Eine absolute Idealbesetzung ist Samantha Gaul als Coraline, die trotz des Altersunterschieds die Elfjährige absolut überzeugend und mit viel Lust am Kindsein spielt und singt. Die transzendente Musik kommt ihrem kristallenen Sopran sehr entgegen. Insbesondere Inga Schäfer als Mutter aber vor allem als Andermutter sorgt für die nötige Portion Grauen. Aber auch John Carpenter als Vater/Andervater, Roberto Gionfriddo als die beiden Mr. Bobo und Geisterkind 2, Amelie Petrich als die beiden Miss Spink und Geisterkind 1, Anja Jung als die beiden Miss Forcible und Daeho Kim als Geisterkind 3 machen ihre Sache ausgezeichnet.

Wenn man der britischen Regisseurin Aletta Collins einen Vorwurf machen kann, dann dass die Oper lange nicht so gruselig ist wie Buch und Film. Dadurch wird das Stück aber absolut kindertauglich, und Kinder sind ja schliesslich – wie bei Alice im Wunderland – das Zielpublikum, und hierbei gelingt eine Punktlandung: Ohne Ausnahme jedes Kind wird sich hier wiedererkennen, und das Motto der Geschichte wird sich tief in die Kinderseele brennen: Mutig ist nicht der, der keine Angst hat. Mutig ist, wer Angst hat und es trotzdem tut. Volle Punktzahl.

Alice Matheson 26.6.2018

© Birgit Hupfeld