Freiburg: „Der Schmuck der Madonna“

Premiere am 05.03.2016

Weit mehr als „Cavalleria 2.0“

Lieber Opernfreund-Freund,

ausgeklügeltes Marketing ist kein Phänomen der heutigen Zeit. Schon Hermann Wolf, Sohn eines Malers aus dem nördlichen Baden-Württemberg und einer Venezianerin, setzte den Geburtsnamen seiner Mutter ab 1895 hinter seinen, italienisierte seinen Vornamen und nannte sich Ermanno Wolf-Ferrari, weil er sich davon in seinen beiden Heimatländern Italien und Deutschland gleichermaßen mehr Erfolg als Komponist versprach. Und den hatte er im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert durchaus mit seinen kammermusikalischen Komposition und erfreute sich vor allem als Komponist von Buffo-Opern großer Beliebtheit. 1911 unternahm er einen musikalischen Ausflug in den Verismus und brachte „Der Schmuck der Madonna“ in Berlin (auf Deutsch) heraus. Dieses Werk hatte zwar nicht den Erfolg seiner beliebten „Donne curiose“, „Die vier Grobiane oder „Susannas Geheimnis“, war aber bis zum ersten Weltkrieg durchaus erfolgreich und wurde sogar noch 1926 mit Maria Jeritza an der Met gegeben, ehe es in der Versenkung verschwand. Zu unrecht, wie die italienisch gesungene Premiere dieser wahren Opernrarität vor nahezu ausverkauftem Großen Haus des Theaters Freiburg am gestrigen Abend zeigte.

Doch worum gehts? Maliella ist die brave Welt, in der sie leben muss, zu klein. Sie erwartet mehr als Kirchgang und sittsames Leben und ist deshalb von Rafaele fasziniert, der ein Draufgänger ist und ihr sagt, dass er alles für sie tun würde. Selbst den Schmuck der Madonnenstatue würde er für sie stehlen, sagt er. Das macht Eindruck, so dass Maliella taub ist für Gennaros Werben, mit dem zusammen sie aufgewachsen, aber – wie sich heraus stellt – nicht verwandt ist. Der sieht keinen anderen Ausweg, als selbst für seine Angebetete das wertvolle Geschmeide zu stehlen. Im Überschwang der Gefühle missbraucht er die junge Frau sogar, nachdem er ihr den Schmuck zu Füßen gelegt hat. Die sucht Hilfe bei Rafaele, will Rache für ihre Schande, erfährt jedoch von diesem noch eine weitere Schmähung. Er, selbst nicht der Anständigste, wie er freimütig bekennt, will eine reine Frau. Er unterstellt ihr, sich für den Schmuck hingegeben zu haben – ihr bleibt, von allen verstoßen, nur der Freitod. Auch Gennaro bleibt von allen verlassen zurück und bringt sich um.

Da erinnert im Plot so manches an „Cavalleria rusticana“, den Verismo-Reisser von Pietro Mascagni, in dem es auch um kirchliche wie gesellschaftliche Zwänge, Doppelmoral, Betrug und Ehre geht – sogar musikalisch. So manche Stelle klingt nach „Cavalleria“, ein ausladendes Intermezzo vor dem zweiten Akt gibt es auch, das an Schönheit und Einfallsreichtum das abgespielte Mascagni-Gegenstück sogar noch in den Schatten stellt. Doch das Werk des Deutsch-Italieners ist trotz seines Pathos weit mehr als eine Kopie. Musikalisch finden sich Anklänge an Giordanos „Andrea Chenier“, ein paar Takte weiter klingt das Werk fast modern, nimmt Harmonien vorweg, die an Poulenc erinnern, klingt stellenweise Strauss-artig und zeigt mit neapolitanischen Canzoni reichlich Lokalkolorit. Es wird also allerhand geboten und von der musikalischen Seite aus betrachtet bleibt in jedem Fall zu hoffen, dass das Werk nicht wieder 90 Jahre in der Versenkung verschwindet, ehe sich ein Theater seiner annimmt.

Die Regisseurin Kirsten Harms verzichtet glücklicherweise darauf, das Werk auf links zu drehen und mit dem Holzhammer zu aktualisieren. Sie erzählt schlicht die Geschichte, legt den Focus dabei auf die Bigotterie der Gesellschaft, aber auch jedes Einzelnen, auf die Leidenschaften der Handelnden. Dass sie im langen Interview im ansonsten recht dünnen Programmheft Rafaele als Mafioso zeichnet, dies dann aber auf der Bühne nicht wirklich zeigt, ist geschenkt. Ihr gelingt ein spannender Opernabend. Und dazu braucht es nicht viel Szenerie, wie die Bühne von Bernd Damovsky zeigt. Eine Kulisse gibt es streng genommen nicht – die schafft im Wesentlichen das ausgeklügelte Licht von Dorothee Hoff, das wunderbar mit den Leidenschaften und Stimmungen spielt.

Damovskys zeitgemäße Kostüme und die all gegenwärtigen überdimensionalen Rosenkranzkreuze, die von der Decke und um die Hälser von Rafaeles Clique hängen, verstärken den Ansatz der Regisseurin, die Doppelmoral der Akteure zu betonen. So sind fast drei Stunden Musiktheater im Flug vergangen, klare Personenführung, gelungene Chorszenen und die Einlagen durch die Tänzerin Saskia Motschall oder den Gaukler Fabian Flender sorgen zusätzlich für Kurzweil.

Ach ja, und gesungen wird natürlich auch. Ganz hervorragend sogar. Allen voran sei hier die Maliella von Elena Stikhina genannt, der mit betörender Mittellage, verführerischer und bombensicherer Höhe sowie intensivem Spiel ein beeindruckendes Rollenportrait gelingt. Der mexikanische Tenor Hector Lopez-Mendoza muss sich offensichtlich erst frei singen, überzeugt nach der Pause mit viel Kraft, Gefühl und warmem Timbre und ist ihr da ein würdiger Partner. Gegenspieler Rafaele wird von Kartal Karagedik verkörpert, dessen imposanter Bariton mit sämtlichen Farben vom einlullend Werbenden bis zum brutal Zurückweisenden spielt. Anja Jungs eindrucksvoller Mezzo verleiht der Mutterfigur Carmela Kontur.

Aus der Riege der vielen kleineren Rollen, die allesamt mehr als solide besetzt sind, möchte ich unbedingt den Rocco von Jin Seok Lee hervor heben, dessen Bass über eine tolle Durchschlagskraft verfügt. Unbedingt aufhorchen lässt auch

Roberto Ortiz, dessen helle, klare Stimme während des kurzen Auftritts im ersten Akt (leider vergeblich) hat hoffen lassen, dass diese Figur im Laufe der Handlung noch einmal wieder kommt.

„Der Schmuck der Madonna“ ist beinahe schon eine Chor-Oper. Die gesellschaftlichen Konflikte im Drama werden durch eine starke Präsenz von Freunden, Nachbarn, schlicht Menschen im ersten und dritten Akt verdeutlicht. Der Chor ist also viel beschäftigt, zeigt sich glänzend disponiert und tritt imposant auf. Bernhard Moncado hat die Einstudierung übernommen und ihm gebührt für diese umfangreiche Partie ein besonderes Lob. Ebenso tadellos zeigt sich der von Thomas Schmieger betreute Kinder- & Jugendchor. Aus dem Graben tönt es schlichtweg italienisch. Fabrice Bollon legt die vielschichtige Partitur behutsam frei, entfacht Feuer und erlaubt Intimität, die durch wunderbare Flötensoli verstärkt wird. Trotz des stilistischen Facettenreichtums gelingt ihm ein Dirigat aus einem Guss. Herrlich!

Das Publikum ist schon zur Pause begeistert, applaudiert frenetisch und spart am Schluss nicht mit anhaltenden Ovationen für alle Beteiligten. Ein hörens- und sehenswerter Abend geht zu Ende, den sich auch Auswärtige an dem einen oder anderen Wochenendtermin gönnen können, den es hier glücklicherweise im Gegensatz zum ebenfalls hoch gelobten und sehenswerten „Mefistofele“ am gleichen Haus gibt. Also: Nix wie hin!

Ihr

Jochen Rüth aus Köln / 06.03.2016

Die Fotos stammen von Maurice Kobel.

Die CD wird heuer zu Liebhaberpreisen gehandelt – leider!