Hildesheim: „Die Perlen der Cleopatra“, Oscar Straus

Leider gibt es heutzutage an Dreisparten-Häusern nur noch selten Operetten, schon gar nicht solche von Oscar Straus (1870-1954), neben Franz Lehár, Leo Fall und Emmerich Kálmán ein bedeutender Vertreter der so genannten Silbernen Operettenära. Dabei waren die Uraufführung der „Perlen der Cleopatra“ im November 1923 am Theater an der Wien und die deutsche Erstaufführung im März 1924 am Berliner Theater am Nollendorfplatz große Erfolge, wohl auch wegen Fritzi Massary und Richard Tauber in den Hauptpartien. Die Operette schwamm damals mit auf der damaligen Welle einer regelrechten Ägyptomanie, die ein Jahr vor der Uraufführung mit der Entdeckung des Grabes von Pharao Tutanchamun einen ersten Höhepunkt erlebte. Die Berliner Erstaufführung fiel mit der öffentlichen Ausstellung der Büste der Nofretete zusammen, so dass sich auch auf diese Weise der große Erfolg erklären lässt.

Der Inhalt geht wahrscheinlich auf eine Erzählung des antiken Schriftstellers Plinius des Älteren zurück, der in „Naturalis historia“, einem Naturkunde-Buch, ein Abendessen zwischen Cleopatra und Marc Anton beschreibt, bei dem die ägyptische Königin eine Perle in einer Flüssigkeit auflöste und anschließend trank. Damit soll sie eine Wette für sich entschieden haben, in der es darum ging, wer die wertvolleren Speisen auftischen könne. Diese Geschichte spielt in Straus‘ Operette allerdings ebenso wenig eine Rolle wie Marc Anton, der erst am Schluss einen kurzen Auftritt hat. Vielmehr geht es um „Liebesperlen“, die Cleopatra in Rotwein gibt und so ihren Liebhabern zu großer sexueller Kraft verhelfen. An Politik, die in der Operette tatsächlich nur beiläufig eine Rolle spielt, ist die Königin nicht wirklich interessiert, sondern eher an neuen Flirts, wovon ihr erster Auftritt handelt („Mir fehlt nichts als ein kleiner, ägyptischer Flirt, so ein Flirt, der was wert, der zum Dasein gehört!“). Nachdem sie von Gaius Julius Caesar verlassen wurde, lässt sie zunächst den römischen Offizier Victorian Silvius, den heimlichen Geliebten ihrer Hofdame Charmian, zur Palastwache aufsteigen und beglückt später auch den in politischer Mission am Königshof weilenden Prinz Beladonis. Doch beide Männer können die liebeshungrige Königin trotz mehrfachen Einsatzes ihrer „Liebesperlen“ auf Dauer nicht zufriedenstellen. Ob Marc Anton mehr Erfolg haben wird, lässt die Operette offen.

© Jochen Quast     /  Silke Dubilier/Uwe Tobias Hieronimi/Felix Mis

Das Ganze ging in der knallbunten Inszenierung des Hausherrn Oliver Graf mit vielen erotischen Eindeutigkeiten als reichlich klamaukige Revue über die Bühne. Mit den Worten des Ausstatters Sebastian Ellrich fand ein „rauschendes Kostümfest“ statt, inspiriert vom alten Ägypten und dem Glamour der 1920er-Jahre. Um Bezüge zur Gegenwart herzustellen, fanden sich Zitate aus der queeren Clubkultur, aber auch Hinweise auf den Hollywood-Stil der 1960er-Jahre. Auf der Bühne befanden sich unterschiedlich benutz- und bekletterbare Großbuchstaben der Titelfigur, zwischen denen sich alle in jeweils individueller, fantasievoller Kostümierung bewegten. Vor einem blauen Glitzervorhang stand ein altmodisches Mikrofon, das der Star des Abends zu hinreißend präsentierten Couplets nutzte. Dass neben dem Mikrofon die asiatische, ständig ins Publikum winkende Glücksbringer-Katze saß, hat sich nicht so recht erschlossen. Sehr positiv fiel auf, wie sich die Choristen zu dem wie immer gut ausgewogenen Gesang (Achim Falkenhausen) in der flotten Choreografie von Annika Dickel bewegten; das gilt in gleichem Maße für die tänzerische Begleitung von Songs oder Ensembles.

© Jochen Quast    /   Yohan Kim/Uwe Tobias Hieronimi/Silke Dubilier

Als Cleopatra glänzte Hildesheims Musical-Star Silke Dubilier; wie sie mit vorbildlicher Textverständlichkeit in den Songs und Dialogen die sexhungrige Königin präsentierte, machte einfach Spaß. Und es war teilweise urkomisch, wenn sie mit trockenem Humor sich selbst kommentierte, von der Technik mehr Licht oder romantische Beleuchtung verlangte. Die oft etwas mühsame Reimerei der Songs überspielte sie mühelos mit ihrer starken Bühnenausstrahlung. Uwe Tobias Hieronimi machte aus der Partie von Cleopatras Erstem Minister Pampylos eine Witzfigur mit rheinischem Akzent. Er musste – wie auch andere – ständig auf die Dauer ermüdende „running gags“ wie beispielsweise bei der Aussprache der Namen „Ptolomäus“ und „Ptah“ bringen, was schließlich nur noch albern wirkte. Überhaupt hätte man bei den Dialogen einiges straffen können. Der Geliebte der Hofdame Charmian Victorian Silvius (die Rolle Richard Taubers), der sich der Anzüglichkeiten Cleopatras nicht erwehren konnte, war Felix Mischitz anvertraut. Der junge Sänger musste ständig mit erhobenen Armen auftreten (auch so ein alberner, überflüssiger Gag) und dabei die für seinen weichen Bariton zu hoch liegende Partie bewältigen, was ihm nicht durchgehend gelang.

© Jochen Quast    /  Chor/Felix Mischitz/Julian Rohd

Yohan Kim sorgte als orientalischer Prinz für einigen Tenorglanz; mit frischem, klarem Sopran gefiel Sonja Isabel Reuter als Charmaine; übertrieben lebhaft agierte Julian Rohde als letztlich erfolgloser Revolutionär Kophra.

Am Pult des tüchtigen Orchesters stand in der besuchten Vorstellung Ki Yong Song, der ordentlich aufs Tempo drückte und dadurch für den nötigen Schwung sorgte. So mischten sich die gefälligen Walzermelodien des Stückes mit Jazzigem, Couplets und mit der Mode der Zeit entsprechenden orientalischen Klangassoziationen. Auch einige Zitate aus der „Zauberflöte“, aus „Lucia di Lammermoor“ oder aus dem Beginn des „Rheingold“, wenn froh verkündet wird, dass das Nilwasser wieder steigt, erfreuten das Publikum, das mit starkem Beifall nicht sparte und vor allem den Star des Abends mit „Bravo“-Rufen feierte.

Gerhard Eckels, 09.11.2022


Oscar Straus „Die Perlen der Cleopatra

Trailer

Besuchte Premiere am 10.11.2022

Hildesheim Theater für Niedersachsen

Inszenierung: Oliver Graf

Musikalische Leitung: Ki Yong Song