Hagen: „Dido & Aeneas“ / „Wassermusik“, Henry Purcell/Georg Friedrich Händel

Premiere: 18.5.19, besuchte Vorstellung: 30.5.19

Spartenübergreifender Doppelabend – packend umgesetzt

Lieber Opernfreund-Freund,

eine spartenübergreifende Doppelvorstellung präsentiert das Theater Hagen zur Zeit, bei der man Purcells Dido & Aeneas ein Ballett zu Händels Wassermusik zur Seite stellt, das die gleiche Geschichte noch einmal tanzend erzählt. Herausgekommen ist dabei ein packender und faszinierender Theaterabend, den ich mir gestern für Sie angeschaut habe.

Sowohl die griechische als auch die römische Mythologie berichten von Aeneas, dem Sohn von Anchises und der Göttin Venus, der nach seiner Flucht aus Troja in Karthago strandet und sich in die dortige Königin Dido verliebt und sie aus der Trauer um ihren verstorbenen Mann Acerbas löst. Doch Merkur erinnert Aeneas an seine Pflicht, nach Italien weiter zu segeln und das römische Reich zu Gründen. Vergil berichtet in der Aeneis von Didos Selbstmord mit einem Schwert auf einem Scheiterhaufen, nachdem Aeneas sie verlassen hat.
Henry Purcell schuf auf ein Libretto von Nahum Tate, das auf diesem Stoff basiert, seine einzige durchkomponierte Oper, die – da sind sich die Quellen uneins – wahrscheinlich 1689 zur Uraufführung kam, ob an einem Mädchenpensionat in Chelsea oder am Königshof ist ebenfalls unklar. In seinem Werk ergänzt Purcell die mythologische Erzählung um seinerzeit durchausübliches „Hexenwerk“: eine böse Zauberin ist neidisch auf Didos Glück und lässt Aeneas von einem Geist in der Gestalt Merkurs abbeordern, um das Glück der Königin von Karthago zu zerstören.

Intendant Francis Hüsers sieht sogar das komplette karthagische Volk als Neider Didos um ihr Glück. Die Hexengemeinschaft verwandelt sich unter seiner Regie aus der Gruppe der Karthager heraus; selbst die Vertraute Belinda, die zu Beginn die trauernde, in der Hochzeitsnacht bereits zur Witwe gewordene Dido, die ihr Brautkleid nicht ablegen will, zurück ins Leben schickt und ihr den charismatischen Aeneas vorstellt, scheint ein doppeltes Spiel zu spielen. Wasser als verbindendes Element des Abends ist allgegenwärtig, in den wellenhaften Aufbauten, die Kaspar Glarner auf die Hagener Drehbühne gestellt hat ebenso, wie im Muster der ebenfalls von ihm entworfenen, an gebatikte Pilgerkluft erinnernden Kleidung, die die Karthager tragen. Die ausgefeilte Personenführung Hüsers‘ macht Spannungen und Konflikte deutlich und so gelingt auch Dank der wunderbaren Interpretin der Titelheldin ein besonderer Musiktheaterabend.

Veronika Haller singt die bedauernswerte Dido in bester Barock-Manier nahezu vibratolos und stattet sie mit einer unglaublichen Zartheit aus, spinnt betörende Piani und ist doch auch die selbstbestimmte Frau, die an ihren eigenen Prinzipien verbricht. Der Sohn der Schönheitsgöttin ist in Hagen mit einem Bariton besetzt, Kenneth Mattice darf nicht nur zu Beginn seinen adonis… Pardon… aeneashaften Körper zeigen, berührt mich mit seinem Gesang allerdings kaum. Cristina Piccardi ist eine zauberhafte Belinda mit klarer Höhe, während Marilyn Bennet die Zauberin mit diabolischen Zwischentönen ausstattet. Elizabeth Pilon und So Hee Kim sind ein teuflisch gutes Hexengespann, während Kisun Kim zwar mit einer Verletzung kämpft, aber stimmlich als Second Woman auf ganzer Linie überzeugt.
Rodrigo Tomillo lässt im Graben mit historisch informiertem Strich musizieren und präsentiert eine wunderbar schlanke Interpretation der Partitur. Lediglich seine Tempi sind mitunter etwas forsch, so dass gerade die Beweinung der Dido zum Ende des ersten Teils wenig Getragenes an sich hat. Bei Händels Wassermusik hingegen glänzt sein Dirigat durch ausgefeilte Dynamik. Die berühmte Händelkompoisition wurde durch die Ouvertüre zu seinem Judas Maccabaeus ergänzt, um eine passende Untermalung der Zaubererszene zu erhalten.

Der zweite Teil des Abends nämlich erzählt die gleiche Geschichte noch einmal. Was langweilig klingen mag, ist das genaue Gegenteil. Denn während Purcells Version die Handlung eher aus der Sicht Didos zeigt, erscheint die Choreographie von Francesco Nappa wie die männliche Sicht auf die Dinge. Mit Aeneas‘ Augen erleben wir das gleiche Stück, das doch ganz anders daher kommt. Die Liebeszene, zu der Hüsers noch die Jagdszene der Oper umgedeutet hatte (inklusive Defloration), wir im Wasser getanzt und der Compagnie gelingen auch darüber hinaus immer wieder intensive und berührende Momente. Francesco Nappa hat eine recht sportliche, teilweise beinahe akrobatische Tanzsprache gewählt, kann aber auch auf der Gefühlsebene vollends überzeugen. Die Tänzerinnen und Tänzer sind höchst engagiert, tanzen nicht nur hervorragen, sondern spielen auch vorzüglich. Ana Isabel Casquilo zeigt als Dido viel Körperspannung und schickte reichlich Emotionen über den Graben. Bobby Briscoe beweist als Zauberer, dass offen zur Schau gestellte körperliche Kraft und tänzerische Anmut sich nicht ausschließen müssen und der Aeneas von Gonçalo Martins da Silva ist schlicht eine Wucht. Der junge Portugiese tanzt mit einer Hingabe und Intensität, als ob sein Leben davon abhinge – da wagt man als Zuschauer kaum wegzusehen.

Die Produktion über Spartengrenzen hinweg wird so zum Hochgenuss. Oper und Ballett erzählen zusammen eine rundum runde Geschichte und vielleicht ist diese Kombination ja etwas, das Schule machen kann, auch weil sie Berührungsängste abbaut: Opernfans erleichtert das Theater den Zugang zum Ballett, während man den Tanzjunkies die Oper näherbringt. Also: Unbedingt hin, wer kann!

Ihr Jochen Rüth 31.05.2019

Die Fotos stammen von Klaus Lefebvre und Leszek Januszewski