Hagen: „Orlando Paladino“

Premiere: 3.2.2018

Mit Asterix-Einschlag

Die Opern von Joseph Haydn werden nicht eben häufig gespielt. Immerhin wies eine Schallplattenserie in den siebziger Jahren (Dirigent: Antal Dorati) auf die musikalischen Qualitäten der Werke hin. Doch bis auf die quirlig-futuristische „Welt auf dem Monde“ (“Il mondo della luna“) sind all die Werke stofflich doch zu sehr dramaturgischen Klischees des 18. Jahrhunderts verhaftet. Haydn dürfte das selber gespürt haben. Als er nämlich Mozarts Bühnenwerke kennengelernt hatte, schrieb er selber keine Opern mehr.

„Orlando paladino“ wurde 1782 auf Schloss Esterházy uraufgeführt. Eigentlich sollte dies in Gegenwart des russischen Großfürsten Paul und seiner deutschen Gemahlin Maria Fjodorowna geschehen, doch kam der Besuch dann doch nicht zustande. Die Premiere geriet gleichwohl erfolgreich, dreißig Aufführungen folgten in den nächsten beiden Jahren. Das Werk wurde auch in Deutschland rasch bekannt und wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein gespielt. Um dann aber ganz in der Versenkung zu verschwinden. Das „eroicocomico“-Prinzip verlor ganz einfach an Reiz. 1932 wurde der „Orlando“ für Leipzig exhumiert, auch andere Bühnen griffen wieder zu. Doch wohl erst die Gesamtausgabe der Werke Haydns (1972/73) sicherte bleibendes Interesse, woran die oben erwähnten Schallplatteneinspielungen sicher nicht geringen Anteil hatten.

Der Originaltitel von „Orlando paladino“) klingt vornehm, dem deutschem („Ritter Roland“) eignet, auch wegen der beiden anlautenden „R“s, eine gewisse Ironie Wenn man die höchst verwirrende Inhaltsangabe der Haydn-Oper gelesen hat, ist es überhaupt nicht vorstellbar, dass der Stoff ohne eine solche auf der Bühne zu verwirklichen ist. Er stammt weitgehend aus Ariosts Epos „Orlando furioso“ und bietet säbelrasselnde Helden, schmachtende Frauen, tölpelhafte Dienerchargen. Das summiert sich zu einem Personal, dem mit heutigem psychologischen Anspruch auch nicht das Geringste abzugewinnen ist.

Haydns reiche Musik, welche in Szenen mit Leidensanstrich besondere Höhepunkte bietet, adelt die Oper natürlich. Aber auch Nikolaus Harnoncourt, welcher das Werk zweimal konzertant bot (Wien 2002, Graz 2005, jeweils CD-Mitschnitte vorhanden), sah in „Orlando paladino“ primär eine „total durchgedrehte“ Oper, welche bis an die Grenze der Karikatur geht, aber „für jede Figur den (rechten) Ton findet“.

Das Karikaturistische dominiert bei Regisseur Dominik Wilgenbus in Hagen stark (nicht zuletzt in seiner eigenen wortkessen Librettoübersetzung). Aber sowohl Angelica als auch ihr Geliebter Medoro dürften ihre schwermütigen Arien, in denen Todesbereitschaft glimmt, in Ruhe und Würde aussingen, was Cristina Riccardi und Musa Nkuna auch herzerwärmend tun. Bei den männlichen Erzfeinden Roland und Barbarenherrscher (!) Rodomonte gönnt er sich aber deftige Rollenprofile, was Kenneth Mattice (Rodomonte) mit rauem Gestampfe und wilder Mimik besonders drastisch umsetzt und mit seinem kernigen Bariton vokal unterstreicht. Eric Laporte gibt sich zunächst relativ zivil, was mit seinem lyrischen Tenor harmoniert. Aber in der Folge demonstriert auch er darstellerisches Donnergrollen.

Einen starken Kontrast zu diesen wilden Kerlen bilden die Schäferin Eurilla und Rolands Knappe Pasquale, sie unermüdlich auf „den Einen“ aus, er mit ständig knurrendem Magen nach jeder sich bietenden Mahlzeit grapschend. Dass beide sich schließlich in Liebe finden, ist Buffonorm. Dorothea Brandt (mit etwas zerzauster Frisur und bebrillt) sowie Guilio Alvise Caselli singen und spielen diese Turbulenzen ganz entzückend.

Als wichtige Figur im „Roland“-Personal ist die Zauberin Alcina nachzutragen. Mit der gleichnamigen, emotional ausladenden Figur bei Händel ist sie nicht vergleichbar. Sie ist lediglich Drahtzieherin und helfende Hand in dem ganzen Liebes-Durcheinander, ohne eigene erotische Ziele zu verfolgen. Ihre letzte „gute Tat“ ist, dass Roland im Unterweltreich Charons von seiner Liebesraserei für Angelica befreit wird, so dass einem lieto fine nichts mehr im Wege steht. Kristine Larissa Funkhauser gibt die Mezzopartie mit Raffinesse.

Einige der genannten Sänger sind Gäste am Theater Hagen, was die Produktionskosten fraglos gesteigert hat. Aber zwei kleinere Partien konnten unschwer aus dem Chor besetzt werden: Matthew Overmeyer gibt den Schäfer Licone und Egidius Urbonas – mit Würde – den Charon.

Stumme Statisten agieren als Bäume oder suggerieren mit Stoffbahnen Meereswellen. Das lediglich aus einem leeren Wandrund bestehende Bühnenbild Peter Engels, vor dem sich die heitere Kostümkollektion von Christiane Luz apart abhebt, wird mit transportablen „Ortskennzeichen“, Schwertern und anderen Requisiten belebt. Sehr witzig diverse Videos. Zur Ouvertüre inszeniert Wilgenbus Szenen mit dem Knaben Roland, der unerschrocken gegen ein Ungeheuer kämpft und dafür von einer kleinen Prinzessin mit einem Trank tristanesk belohnt wird. Der Knabe betritt am Schluss noch einmal die Szene: ist Roland etwa wieder zum unschuldigen Kind geworden?

Die nahezu dreistündige Aufführung besitzt viel Charme, sorgt mit ihren optischen Einfällen für ständige Heiterkeitsreaktionen im Publikum Der Premierenbeifall war enorm. Er schloss mit Recht auch die Leistung des Philharmonischen Orchesters Hagen ein. Historische Musizierpraxis stand von vorneherein nicht zu erwarten, aber die von Joseph Trafton erarbeitete, sehr lebendige Interpretation macht das Werk auf vergnügliche Weise erlebbar. Gerne erinnert man sich bei dieser Gelegenheit daran, dass vor Jahren auch Henry Purcells „Fairy Queen“ in Hagen eine mustergültige Produktion erfuhr.

Haydns „Orlando paladino“ steht übrigens im April in Bielefeld und im Juli bei den Münchner Opernfestspielen zu erwarten.

Christoph Zimmermann (4.2.2018)

Bilder (c) Theater Hagen / Klaus Levebvre