Hof: „Hossa! – die Hitparade“

Premiere: 23.11.2017. Besuchte Vorstellung: 31.3.2018

Je origineller, desto kopierter

Man kann ja als Musikkritiker, Theaterbesucher und Kunstfreund Einiges für den praktizierenden Musikphilosophen Theodor W. Adorno sagen, aber in Einem hatte er unrecht: Schlager sind wirklich wunderbar. Vor allem deutsche Schlager der 70er und 80er Jahre. Denn was wir damals, als wir gerade Richard Strauss oder Frank Zappa entdeckten, hörten und belächelten, ist heute schlicht und einfach KULT!

Das Theater Hof, bekanntlich dem Wahren, Guten & Schönen verpflichtet, hat’s erkannt. Vermutlich war es eine klassische Schnapsidee, geboren bei einem gemeinsamen Ansingen diverser alter Schlager („Kennste den noch?“) in Peter Kampschultes KULTURKANTINE, der den regieführenden Intendanten Reinhardt Friese und den musikalischen Leiter Michael Falk dazu animierten, eine echte olle Hitparade im Stil der Dieter-Thomas-Heck-Shows auf die Bühne zu bringen.

Vielleicht haben sie auch geahnt, dass der Schlussapplaus der Hitparade länger ist als der gesamte aller Vorstellungen von, na sagen wir: einer Produktion wie der „Usher“-Oper von Philip Glass. Ist schon okay – denn am Abend geht’s RICHTIG ab. Will sagen: Es macht wirklich Spaß, an diesem Abend zum Publikum zu gehören, mitzujohlen, mitzuklatschen, zu schunkeln und zu singen. Kein Wunder, dass diese Produktion, konkret: die 8. Vorstellung seit der Premiere, ein paar Fans hat, die offensichtlich jedes Mal ins Haus kommen und „ihren“ Stars am Bühnenrand Rosen überreichen. Aber überreichen sie sie Rex Gildo oder Oliver Hildebrandt ? Verteilt Udo Jürgens die Küsschen oder Karsten Jesgarz ? Springt Nena über die Bühne oder Julia Leinweber ? Kreischt Nina Hagen ihr Farbfilm-Lied oder Anja Stange ? Bekommt Howard Carpendale die Liebe seiner weiblichen Fans geschenkt oder

Dominique Bals

Schon schnell stellt sich das Gefühl ein, dass es im besten Sinne egal ist, ja: dass – nicht nur dank der erstklassigen Maske (Günther Schoberth) und dem Kostüm (Annette Mahlendorf) – eine bemerkenswerte Metamorphose einsetzt, die es buchstäblich egal macht, ob wir Markus oder Jörn Bregenzer über die Bühne springen sehen.

Was hier am Abend passiert, ist im wahrsten Sinn des Wortes phänomenal. Die wunderschöne Paradoxie besteht darin, dass wir natürlich wissen, dass die wunderbare Susanne Mucha die wunderbare Marianne Rosenberg mimt, wenn sie gestengleich, kostümlich identisch und stimmlich stark angenähert „Er gehört zu mir“ singt. Aber da sie es so singt und da sie annähernd so aussieht wie Marianne Rosenberg in der Show von anno 1975, und da man alle Stars dieses Abends dank Youtube mit ihren Vorbildern vergleichen kann, stellt man nachträglich fest, dass die Hofer Show umso origineller ist, desto kopierter sie angelegt wurde. Gerade weil Ralf Hocke den Tony Marshall mit seinem grotesken gelbschwarzen Babyanzug und -gesicht (mit spitzem Monsterkragen!) 1:1 bringt, hat man seinen Spaß. Gerade weil Marina Schmitz als langhaariges trauriges Gitarrenmädchen das Lied von Conny Kramer so schlicht singt wie die Juliane Werding von Anno dazumal und auf jegliche Variation verzichtet wird, merkt man etwas Echtes in diesem eigentümlichen Musiktheaterabend – und man merkt, wie gut die Schlager der 70er und 80er Jahre doch eigentlich waren. Denn wo gibt’s heute noch einen Drafi Deutscher, der wie Andreas Bühring das Lied von der ewigen Liebe singt? Wo gibt es etwas so offenkundig Blödes und doch irgendwie Originelles wie Stephan Remmlers „Da Da Da“, das von einem knochentrockenen Marco Stickel angestimmt wird? Wo gibt es noch so schönen deutschen Country wie Truck Stops „Take it easy“, das von Volker Ringe , zusammen mit der Band des Abends (

Michael Falk, Harry Tröger, Oliver Schmidt und Ralf Wunschelmeier), so cool wie gemütlich geschrammelt wird?

Übrigens: Dschingis Khan (Cornelia Löhr, Birgit Reuter, Florian Bänsch, Witali Damer und Peter Kampschulte) hat bisher, natürlich mit „Moskau“, bei allen Vorstellungen nach der Stimmzettelauszählung für die Wahl zu „Hossa!“ den Sieg errungen. Es mag ungerecht gegenüber allen anderen Sängern sein – aber sie sind schon sehr, sehr mitreißend. Nicht nur im tollen Schnelldurchlauf durch alle 13 Songs. Auch während der dritten Zugabenwiederholung.

Und besser als das Original.

Frank Piontek, 1.4.2018

Fotos: © H. Dietz Fotografie, Hof.