Hof: „Die Grossherzogin von Gerolstein“

Premiere: 22.12.2017, besuchte Aufführung am 27.12.2017

Offenbachs Opéra-bouffe (nein, es ist keine „Operette“, auch wenn sie im Programmheft in diese Gattungsschublade gesteckt wird) „Die Großherzogin von Gerolstein“ war 1867 ungeheuer erfolgreich. Uraufgeführt während der Pariser Weltausstellung, besuchten höchste Häupter die komische Oper, um sich auf ihre eigenen Kosten zu amüsieren. Im Theater Hof kommt das Werk weniger gut an. Dies hat Gründe, die in der Mentalität der Hofer Operettenfreunde, aber auch in der Aufführung selbst liegen. Die Hofer schätzen einfach nicht die großartigen Werke des Franzosen; sie mögen Strauss und Lehár lieben, aber mit dem satirischen Witz Jacques Offenbachs und seiner kongenialen Librettisten können sie leider nur wenig anfangen. Vielleicht hätte die „Großherzogin“ bessere Chancen am Ort, wenn man nicht nur die Musik, auch die Texte gut verstehen würde.

An diesem Abend aber werden nicht einmal alle Dialoge verstanden – zumal dann, wenn Minseok Kim als Fritz auf der Bühne steht. Schade – denn der Tenor besitzt eine warme, ausdrucks- und sicher ausbaufähige Stimme. Man ahnt es, wenn er sich einmal traut, forsch herauszusingen. Vermutlich ist es auch diese Zurückhaltung, die keine rechte Stimmung beim Publikum aufkommen lässt, obwohl eine Bravournummer wie der Bericht der „Heldentaten“ des zum General emporernannten Günstlings der Titelfigur sehr gut über die Rampe kommt. Kein Grund zum Einschlafen – hier hat nur der Regisseur Ansgar Weigner das Ensemble, übrigens mit einer bewusst grotesken Vorhangregie, vor der Pause in den temporären Tiefschlaf geschickt. Das ist, angesichts der typisch Offenbachschen Wiederholungen, fein und witzig beobachtet. Überhaupt zeichnet sich die Inszenierung durch enorme Pfiffigkeit aus; Weigner hat aus den Chargen am Hof der Großherzogin köstlich aufgeblasene Karikaturen gemacht: ganz im Geist der Satire von Anno 1867. Honoré Daumier und seine Zeichnungen lassen schön grüßen. Und die Hofer Symphoniker spielen unter GMD Walter E. Gugenbauer einen sehr gut einstudierten Offenbach, der in der Abstimmung zwischen Bühne und Graben, Musikern und Solisten, Tutti und Chorensemble nicht wackelt. Und die Solotrompete klingt einfach hervorragend. Auf den Pulten der Hofer Symphoniker liegt übrigens die Fassung des Werks, die der Offenbach-Experte Jean-Christophe Keck erstellt hat. Leider wurde sie gekürzt; kein Carillon, nirgends – aber die 2,5 Stunden zeigen uns das Wesentliche des Stücks.

Die Hauptsache des Abends aber bleibt die Titelfigur. Stefanie Rhaue spielt und singt – immer kraftvoll, immer mit vollem Schwung – die selbstsüchtige und „frivole“ Dame eben als solche: bisweilen mit mehr als dem Blick aufs Gemächt. Ja, „wie liebe ich die Soldaten“… Die berühmte Auftrittsnummer zündet auch in Hof, wenn auch leider nicht bei allen Zuschauern. Unbeirrt von der trockenen Stimmung im Saal zieht die Rhaue, ein echtes „Theaterross“, die Vorstellung mit ihren Kollegen durch. Laura Louisa Lietzmann ist eine erfrischende Wanda, deren Stimme – darin der ihres Freundes Fritz vergleichbar – ausbaufähig ist, zumindest an Geschmeidigkeit noch ein wenig hinzugewinnen müsste. Den General Bumm macht Rainer Mesecke, Thilo Andersson den dank Gesichts- und Körperkomik unglaublich witzigen Prinz Paul: eine Mischung aus Otto Walkes und der singenden Föhnwelle Dieter Thomas Kuhn, die sich so deutlich durchs Stück chargiert, dass es nur so kracht. Gut so! Denn Offenbachs Opéra-bouffes kommt man nicht durch Dezenz, sondern durch eine mehr oder weniger brutale Parodie bei, die das Stück, das 1867 en detail ganz anders verstanden wurde als heute, mit gelungenen Anspielungen auf die Gegenwart in unsere bundesdeutsche Gegenwart zu bringen vermag.

Karsten Jesgarz ist ein dicker, nein: ein sehr dicker, geradezu aufgeblasener Baron Puck; zusammen mit seinen beiden Verschwörergenossen tanzen sie nach der Pfeife der Choreographin Barbara Buser und des regieführenden Kollegen Weigner ein hübsches Verschwörerterzett. Apropos Parodie: Es ist wohl kein Zufall, dass Baron Grog, der Oberst im Dienst des Kurfürsten von Klapsburg-Höhekollern (hier gespielt von Christian Seidel) wie Barbies Ken aussieht, obwohl die Großherzogin alles andere als ein Püppchen ist, oder halt: zunächst tritt sie, wie später Hoffmanns tote Puppe Olympia, mit einer Aufziehmechanik über dem Hinterteil auf. In dem Moment aber, in dem sie gleichsam „böse“ wird und sich fragt, was das eigene Leben wohl im Sinne eines autonomen „Ich“ bedeutet, zieht sie sich den Schlüssel aus dem Rücken und wandelt fortan als „richtige“ Frau über die Bühne.

Denn das, was wir drei Akte lang in den Kinderzimmerbildern Kristopher Kempfs sehen, soll die Wunschvorstellung eines jungen Mädchens sein, das schwere Probleme mit der „Neuen“ ihres Vaters hat und sich mit Fritz und der störenden Wanda eine Alternativversion des Lebens ersinnt, in der der geliebte Papa doch eigentlich lieber mit der Großherzogin – also einer Erinnerung an die Mutter – glücklich werden sollte. Sämtliche Irritationen, die Fritz erfährt, gehen demgemäß auf das Konto der im Traum regieführenden Tochter, doch sympathisch ist’s, dass ihre Macht offensichtlich begrenzt ist. Sonst wäre die Inszenierung nicht mehr als ein ödes Exerzieren psychoanalytischer Wunschgespinste. So aber hat sie nicht nur Komik, auch Poesie: schön etwa die Szene, in der die Tochter und ihre Mutter (also die Großherzogin) am Rand der Bühne sitzen und den solistisch agierenden

Frauen des Chor s, die auf ihre Männer warten, seltsame Liebesbriefe durch die imaginäre Rohrpost schicken, auf dass sie den geschniegelten Chorpüppchen vom Himmel vor die Füße fallen. Die Soldaten selbst sehen aus wie Nussknacker, E. T. A. Hoffmann ist auch hier nicht fern, und man weiss ja, welche Untiefen die Fantasien von Hoffmanns Claras aufweisen. Der Säbel des Urahns, dieses ach so wichtige Symbol der Kraft und Stärke Gerolsteins, ist ein Riesenstreichholz, das zuletzt abgefackelt wird; mit dem mehrdeutigen Symbolismus kann der Opernfreund gut leben. Und wenn sich im Finale wieder die Kleinfamilie zusammenfindet und die tote Mutter in Gestalt der gespenstisch beleuchteten Titelheldin zu einem bürgerlichen Standbild gruppiert, begreift man, dass die Idee der Inszenierung das Stück selbst zwar wenig erklärt – denn dafür würde der Einsatz der Sängerdarsteller in der „einfachen“ Handlung schon reichen-, aber auch nicht stört. Der Rahmen passt schon, denn die lyrischen Melodien der Ouvertüre, die nicht weniger für offenbachisch sind als die komischen Passagen, legitimieren schon das Unternehmen.

Schon Offenbach und seine Librettisten Meilhac und Halévy haben gewusst, dass die seinerzeit im Jahre 1720 angesiedelte Geschichte weit mehr ist als eine witzige Historie aus irgendeiner Vergangenheit. Die Figur der durchaus nicht „netten“, doch frechen und schlagfertigen Großherzogin aus dem offensichtlich unbeendbaren Zeitalter Napoleons III. im analytischen Stil eines fröhlichen Surrealismus genauer zu untersuchen, ohne auf das einzig Wichtige – den Witz und den Charme der Offenbachschen Muse – zu verzichten: dies ist der Inszenierung und ihren musikalischen Interpreten kurzweilig und bildschön gelungen.

Zumindest bei mir klingen die Rhythmen der Großherzogin jedenfalls noch deutlich nach.

Frank Piontek, 29.12. 2017

Fotos: ©H. Dietz Fotografie