Koblenz: „Der Vampyr“, Heinrich Marschner

Premiere: 06.05.2017

Persiflage statt Schauerstück

Lieber Opernfreund-Freund,

die selten aufgeführte Oper „Der Vampyr“ des musikalisch zwischen von Weber und Wagner anzusiedelnden Heinrich Marschner ist seit gestern am Theater Koblenz zu erleben. Gezeigt wird nicht die jahrelang einzig aufgeführte Fassung, die Hans Pfitzner in den 1920ern von dem nach seiner Uraufführung 1828 durchaus erfolgreichen Werk angefertigt und dabei neben erheblichen Strichen auch umfangreiche musikalische Umstellungen, Transponierungen und Eingriffe in die farbenreiche Orchestrierung Marschners vorgenommen hat; vielmehr hat man sich am Deustchen Eck dazu entschieden, die Erstaufführung der vor wenigen Jahren von Egon Voss editierte Version zu zeigen, die dem, was Heinrich Marschner mit „Große romantische Oper in zwei Akten“ überschrieben hatte, eher Rechnung trägt. Die literarische Vorlage hatte ein Freund Lord Byrons, John William Polidori, geschaffen: Lord Ruthwen, muss der Hölle, um sein Leben als Vampir zu verlängern, innerhalb von 24 Stunden drei Jungfrauen zum Opfer bringen und hat sich als drittes Opfer ausgerechnet Malwina auserkoren, die sein Freund Edgar Aubrey heimlich liebt. Den aber hat er schwören lassen, einen Tag lang niemandem von seiner Vampiridentität zu erzählen. Der hedoch verzögert die von Malwinas Vater arrangierte Hochzeit derart, dass die Frist verstreicht, der Vampir zur Hölle fährt und einem Happy End des jungen Paares nichts mehr im Wege steht.

Doch kann man heutzutage dieses Werk, das klanglich irgendwo zwischen „Freischütz“ und „fliegendem Holländer“ zu verorten ist und neben ausgeprägten Belcantopassagen auch zahlreiche Anklänge an volksliedartige Melodien enthält, noch als romantisches Schauerstück zeigen? Das Produktionsteam um den den Koblenzer Intendanten Markus Dietze beantwortet diese Frage mit „nein“ und versucht sich stattdessen an einer Persiflage. Dietze nimmt das in der Biedermeierzeit entstandene Werk keine Sekunde erst, sondern zeigt vor an Caspar David Friedrich erinnernder Kulisse von Beginn an alles, was man seit Christopher Lee beim Gedanken an Vampire im Sinn hat. Da werden sämtliche Klischees bedient, angefangen von Stroboskopblitzen und ewig waberndem Kalteisnebel über silbergraue Haarsträhnen und Draculagebiss bis hin zu grausigen Gestalten jeglicher Couleur. Die Bevölkerung setzt sich aus Werwölfen und allerlei untotem Volk zusammen und vollführt einen höchst-ironischen „Tanz der Vampire“.

Lediglich die Opfer von Lord Ruthwen und der arme Edgar Aubrey scheinen normal, werden aber durch die hinreißend-farbigen Kostüme von Bernhard Hülfenhaus zur Karikatur des Biedermeier samt kitschiger Bühnendeko, die an glitzernde Klebebildchen aus Poesiealben erinnert und für die Dorit Lievenbrück verantwortlich zeichnet. Das ironische Unterfangen könnte sogar gelingen, würde Markus Dietze den im ersten Akt durchaus gelungen angesponnenen Faden stringent bis zum Ende durchhalten. Doch nach der Pause verliert er diesen Ansatz in der ersten Hälfte des Schlussaktes komplett. Zu zaghaft sind die Überzeichnungen, sofern da überhaupt noch vorhanden, oft zu wenig bissig, so dass am Ende nur ein amüsanter, aber keineswegs auf ganzer Linie gelungener Abend bleibt.

Musikalisch sieht das anders aus, denn was Enrico Delamboye und das Staatsorchester Rheinische Philharmonie da im Graben zaubern, ist purste Romantik auf höchstem Niveau. Da sitzt jede Note, jede Phrasierung, jedes (De)crescendo, angefangen von der fulminanten Ouvertüre, über die beschwingte Untermalung der volksliedhaften Passagen bis hin zur verträumten Zeichnung der hinreißend-romantischen Kantilenen. Auf der Bühne glänzen Iris Kupke als betörende Malwine mit charaktervoll-frischer Farbe und viel Seele und der verzweifelte Edgar von Tobias Haaks mit feinem, klarem Tenor. Bastiaan Everink ist eine übereugende Titelfigur und zeigt vor allem in den Ausbrüchen sein ganzes Können, dabei verdiente schon allein die Tatsache, dass er den kompletten Part mit Vampirgebiss singt, Respekt.

Fast ein Dutzend weiterer Rollen listet der Besetzungszettel namentlich, von denen ich Ihnen den George Dibdin mit dem strahlenden Tenor des jungen Junho Lee stellvertretend genannt hätte – gäbe es da nicht die umwerfende Sauf- und Rüpelszene „Im Herbst, da soll man trinken“, in der die vier Chorsolisten Werner Pürling, Sebastian Haake, Michael Seiffert und Marco Kilian zusammen mit der stimmliche wie darstellerisch präsenten Anne Catherine Wagner ein dermaßen großartiges Gespann mit viel Spielfreude und Sinn für komödiantisches Timing zeigen, dass es eine wahre Freude ist – und unbedingte Erwähnung verdient. Doch auch die restlichen Damen und Herren des Chores stemmen, von Ulrich Zippelius bestens betreut, nicht nur die umfangreiche Partie, sondern auch die anspruchsvolle Choreographie von Catharina Lühr, die stellenweise an das schräge Ballett der Zombies aus Michael Jacksons Video zu „Thriller“ erinnert.

Das Publikum im nahezu vollbesetzten Haus ist begeistert – vom Werk, von dessen Interpretation und – wenn auch nicht allzu überschwänglich – von der Lesart des Hauschefs. Musikalisch war’s ein rundum beglückender Abend, den ich Ihnen gerne ans Herz lege, szenisch wohl Geschmackssache – und meinen hat Markus Dietze dann ja irgendwie doch getroffen.

Ihr Jochen Rüth 07.05.2017

Fotos: Matthias Baus für das Theater Koblenz