Originell: eine scharfe Angelegenheit! Salome als femme fatale im Freudschen Umfeld
Der Intendant des Theater Koblenz und Regisseur dieser Produktion Markus Dietze verlegt seine Inszenierung in das soziokulturelle Umfeld der Entstehungszeit der Oper um 1900, stellt dabei entsprechend der Freudschen Analyse der Triebkräfte des Menschen die sexuelle Besessenheit der Titelfigur heraus und beleuchtet die dekadente Gesellschaft einer Spätzeit. Spätzeit herrscht nach Meinung der Kulturpessimisten fast immer, bestimmt aber im Judäa des „Originalgeschehens“ der Oper vor der Zeitenwende wie auch um die vorletzte Jahrhundertwende. Insofern ist das Konzept stimmig, auch wenn um 1900 bei Hofe in Mitteleuropa keine abgeschlagenen Köpfe auf dem Silbertablett serviert wurden; aber zweifelhafte Propheten wurden auch damals noch eingekerkert. Dietze gelang eine schlüssige, reibungsfreie Umsetzung des Stoffs, wobei ihm Einfühlungsvermögen und Subtilität zu einer gut durchdachten, geschlossen wirkenden Arbeit verhalfen, in der zudem nicht aufgesetzte Effekte dominierten, sondern vielfältige feine und originelle Regieeinfälle gefielen.
Man erahnt das Konzept schon bei der frei hinzugefügten Anfangsszene. Wie erwartet hat das Orchester auf der Hinterbühne Platz genommen, da Strauss für die Salome keine Kammermusik geschrieben hat. Die Titelfigur steht auf dem abgedeckten Orchestergraben und schaut auf einen Gaze-Vorhang, auf welchen eine Scheinwelt projiziert wird: eine Art Hotelhalle mit Rezeption, eine Lobby mit gut gekleideten Bürgern im Stil des fin de siècle gekleidet, auch Juden unter ihnen. Dazu wird eine sphärische, auf Strauss zurückgehende, aber verfälschte Musik eingespielt. Alle sind scheiß-freundlich zueinander. Zum Beginn der Original-Oper wird die Beleuchtung auf der Mittelbühne hochgefahren, die Illusion ist beendet; man scheint sich in einem etwas herunter gekommenen Salon zu befinden: ein großer rechteckiger neoklassizistischer Saal mit Stützen in der Mitte und bis hinter das Orchester reichenden Fensterfluchten. Am Rande ist er spärlich mit Sitzmöbeln ausgestattet; dazu ein Flügel und in der Mitte eine große rechteckige Vertiefung wsie ein Schwimmbad oder ein Saunabecken. Das Bühnenbild stammt von Bodo Demelius. Das Becken (Gefängnis des Jochanaan; ein richtig unsinniges Schwimmbad gab es in der Mussbach-Inszenierung in Dresden 2005) steht natürlich im Zentrum des Geschehens, was den nachteiligen Nebeneffekt hat, dass auch viel am Rand der Bühne gespielt werden muss – schlecht einzusehen von den Seitenplätzen des klassizistischen Koblenzer Theatersaals.
Prolog: Susanna Pütters (Salome) vor einem Gesellschaftstableau
In dem Saal tummelt sich eine merkwürdige Gesellschaft, die von Claudia Caséra in originell-funktionelle Kostüme gesteckt ist. Zwei Soldaten in einfachen Drill-Uniformen und ihr Hauptmann (Narraboth) als schicker Party-Hai in Frack und Gamaschen; der Page als Groom; der Sklave im „einfachen“ schwarzen Anzug, der Cappadozier ebenfalls im Frack, aber mit weißer Hose. Aus der Tiefe des Beckens tönt die Stimme des Täufers, die die herbeigeeilte Salome (ganz schick im langen gelben Gesellschaftskleid) fasziniert. Jochanaan wird auf ihr Geheiß nach oben gebracht: er ist in eine Zwangsjacke gesteckt; zu Recht, denn er hat eine Psychose und brabbelt, wenn er nicht gerade die Unzucht der Königin lautstark verdammt, laufend tonlos vor sich hin. Es ist Salome, die die Ärmel seiner Jacke löst, damit er sie umarmen und küssen könne. Er schien das gerne tun zu wollen; aber sein Pflichtbewusstsein ruft ihm seine stereotypen Frauenfeindlichkeiten wieder in Erinnerung („Mit dem Weib kam das Übel in die Welt“; warum haben eigentlich die Emanzen und ewig politisch Korrekten unserer Zeit diese Oper noch nicht verteufelt und verbieten lassen? Vielleicht erst 2019, wenn die Urheberrechte auslaufen?). Köstlich ironisierend die fünf Juden und die beiden Nazarener, alle von Maske und Kostümbildnerin schön individuell zubereitet.
Michael Mrosek (Jochanaan), Haruna Yamazaki (Page), Juraj Hollý (Narraboth), Susanna Püttmers (Salome)
Ganz überkandidelt kommt Herodes auf die Bühne gelaufen. Ihm ist es angesichts seiner Stieftochter zwar warm und kalt zugleich (warum er eigentlich seine Nichte und Schwägerin Herodias geheiratet hat, kann man angesichts der Dialoge nicht nachvollziehen; aber vermutlich hat die Kohle gehabt. Nun zanken sie sich wegen jeder Kleinigkeit wie ein älteres Ehepaar.) Ihre individuellen Probleme verdrängen die Mitglieder der Königsfamilie mit der Flasche: „Am Alk hängt, zum Alk drängt doch alles“. Salome schlägt die Warnungen ihrer Mutter in den Wind und lässt es gezielt zum Schleiertanz kommen. Von ihrem schicken gelben Kleid kann sie genügend Teile lösen. Den größeren Teil ihres Tanzes führt sie in Richtung des Schwimmbads aus; er gilt mehr dem Jochanaan da unten, dem sie auch etliche Kleidungsteile hinunterwirft, als dem aufgegeilten Stiefvater. Der verhält aber einen großen Umhang, unter dem er sich verkriecht, als er seinen Schwur einlösen muss und die Folgen nicht mit ansehen kann. Ganz korrekt wird der Schwur übrigens nicht eingelöst, denn von einem Silberteller ist nichts zu sehen. So wälzt sich Salome mit dem abgehauenen Kopf lustvoll im Dreck. Inzwischen hatte jemand den Ring des Herodes genommen und ihn der Königin gegeben. Nun ist sie im Besitz der Macht. Als ob es sich um ein Rollenspiel gehandelt hätte, versammeln sich nach und nach alle siebzehn Bühnenmitwirkenden, um das Ende zu verfolgen. Nachdem („Man töte dieses Weib“) Salome nicht mehr ist, lässt Herodias ihren lieben Gatten von den beiden Soldaten in das Schwimmbad-Verlies abführen. Kräftige Orchester-Schläge, Beginn des Matriarchats? Ende der Oper!
Susanna Püttmers (Salome)
Das Staatsorchester Rheinische Philharmonie, das neben einem umfänglichen Konzertprogramm in der Region bei allen Musiktheateraufführungen des Theaters Koblenz spielt, hatte seine etwa siebzig Musiker auf der Hinterbühne versammelt. Bis auf die annähernd 60 Streicher, die Strauss für das Salome-Orchester vorgesehen hat, konnten fast alle Instrumentalisten aufgeboten werden. Dennoch unterlag der Musikdirektor und Chefdirigent des Theaters Enrico Delamboye nicht der Versuchung, die Partitur bläserlastig zu spielen, was vielfach in kleineren Theatern bei ähnlichen Orchesterkonstellationen zu hören ist. Vielmehr erreichte er von der Hinterbühne des kleinen Theaters einen insgesamt gut kontrollierten und zwischen den tragenden Streichern und nuancenreich färbenden Bläsern ausbalancierten Klang. Allerdings reizte er die Dynamik der Partitur bis zur Übertreibung und schonungslos für die Musiker aus, ließ es teilweise scharf und krachend zur Sache gehen und zeigte sich besonders interessiert am Herausarbeiten einiger dissonanter Stellen. Das Orchester spielte ohne Fehl und Tadel, profilierte sich natürlich besonders bei den beiden Zwischenspielen und sorgte mit teilweise geballter Energiefreisetzung mit für den nachhaltigen Eindruck des Abends. Das taten indes auch die Sänger, die in diesen Passagen weniger vom Orchester geschont wurden als durch die Tatsache, dass sie sich zehn Meter näher zum Publikum bewegen konnten.
Hubert Delamboye (Herodes), Susanna Püttmers (Salome)
Für die Rolle des Herodes hatte Enrico Delamboye seinen Vater Hubert Delamboye gewinnen können, den man an Rhein, Main und Mosel länger nicht mehr gehört hatte. Ein Glücksgriff für diese Rolle! Was der schauspielerisch und gesanglich in die Rolle brachte, war ein Hinhörer und ein Hingucker für die energetische Spitzenleistung des immerhin 69-jährigen. Bestens verständlich in der Diktion brachte er sein kräftiges und klares, bronzenes Tenormaterial zur Geltung und spielte den alten König wie losgelassen, bis er sich zum Schluss unter einem der Schleier der Salome verkroch. Die weiteren Rollen waren von Ensemble-Mitgliedern übernommen. Susanna Pütters überzeugte in der Titelrolle mit phänomenaler Bühnenpräsenz. Nicht als verzogenes, kapriziöses Jungmädchen agierte sie, sondern als junge femme fatale, berechnend das Geschehen antreibend. Obwohl sie keine Hochdramatische ist und an den Extremanforderungen im zweiten Teil deutlich an ihre stimmliche Grenze kam, begeisterte sie das Publikum mit Ausdruck und Emotion sowie Klarheit der Linien und gut nuancierter Farbgebung ihres gut geführten Soprans. Bühnenerscheinung und Figur erlaubten ihr, die Endpassage des Schleiertanzes sehr gewagt zu gestalten. Es bleibt zu hoffen, dass diese Salome weiterhin die Musikfreunde und nicht die Voyeure anzieht. Mit Michael Mroseks Bassbariton war ein überaus stimmstarker Jochanaan besetzt, der sich auch aus der Tiefe bestens verständlich machte. Die Salome verfluchte er zwar pflichtgemäß bei deren Annäherungsversuch; doch auch er schien doch stark angezogen von dieser attraktiven Person. Monica Mascus mit hoher, schlanker Erscheinung – untypisch für die alternde Königin Herodias – sang diese mit kräftigem, ausladendem Mezzo; leider blieb ihre Textverständlichkeit stark zurück. Dennoch war insgesamt die Abwesenheit von Übertitelung kein Manko. Neu im Koblenzer Ensemble ist der Tenor Juraj Hollý, der als Narraboth besetzt war. Seine schmucke Gestalt und sein feiner lyrischer Tenor überzeugten. Haruna Yamazaki gefiel mit klarem, silbrigem Sopran als viel herumgeschubster Page. Aus den weiteren elf (!) Rollen der Oper fiel Christoph Plessers mit kraftvoll klarem Bassbariton als Erster Nazarener auf.
Für das Dafürhalten Ihres Kritikers die bei weitem stärkste Opernproduktion des rührigen Koblenzer Hauses in den letzten Jahren! Das sehr konzentrierte Publikum im ausverkauften Haus war restlos begeistert und bedankte sich für diese sehr nachhaltige und eindringliche Produktion mit fast viertelstündigem jubelndem Beifall. Diese Produktion sollte man sich nicht entgehen lassen; Gelegenheiten gibt es noch genügend: Ab dem 28. März kommt diese Salome noch weitere zehn Mal bis zum 29. Juni 2014.
Manfred Langer, 23.03.2014
Fotos: Matthias Baus/Theater Koblenz