Krefeld: „Alles neu“

Premiere Krefeld: 24.10.2021, besuchte Vorstellung 12.11.2021

Vier Uraufführungen sorgen für unterhaltsame Abwechslung

Der Ballettabend „Alles neu“ bietet in der Tat viel Neues, denn gleich vier Uraufführungen wurden hier zu einer rund 75minütigen Aufführung zusammengefasst. Entstanden ist dieser Abend zu Zeiten der Theaterschließungen im ersten Lockdown, wo gleich drei Tänzer des Ensembles eigene, teilweise sehr spannende Choreografien entwickelten. Darüber hinaus schuf Ballettdirektor Robert North eine neue Choreografie für diesen Abend. „Besondere Zeiten erfordern besondere Konzepte“ schreibt das Theater Krefeld-Mönchengladbach gleich zu Beginn in der Beschreibung dieses Ballettabends. Geht man nach den Zuschauern, dann ist das Konzept wie gewünscht aufgegangen, denn diese spendeten im gut besuchten Theatersaal lautstarken Beifall für alle beteiligten Künstler.

Mit „Freedom“ beginnt der Abend sehr temperamentvoll. Marco A. Carlucci nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise in seine Heimat Apulien, indem er die Schrittfolgen an traditionellen Volkstänze anlehnt. Tanzen die fünf Darsteller zu Beginn noch leichtfüßig und voller Elan über die Bühne, während im Hintergrund verschiedene Landschaftsbilder eingeblendet werden, ändert sich dies im Verlauf des Werkes zu einem inneren Ringen, bei dem der innere Schmerz bildlich aus den Choreografien spricht. Nach rund fünfzehn Minuten gelingt es aber doch, eine neue Freiheit aus dem Tanz zu gewinnen, so dass sich hier trotz der Kürze des Werkes ein schöner Bogen spannt.

Nachdem sich Yoko Takahashi bei einer vorherigen Choreografie-Werkstatt bereits dem Winter aus Antonio Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“ gewidmet hat, schuf sie nun mit „Haru – Frühling“ ein fröhliches Ballett zum bekannten Frühlingsteil. Hierbei nimmt sie die Zuschauer mit zum japanischen Kirschblütenfest, bei dem sich die Menschen im Park unter den Kirschbäumen treffen, um dort zu essen, zu trinken, sich zu unterhalten und darauf zu hoffen, die schöne Zeit der Kirschblüte im nächsten Jahre wieder erleben zu dürfen. Schön auch die Idee, die Geschichte zum Teil aus der Sicht eines auswärtigen Touristen zu beleuchten, der das harmonische Treiben auf sich einwirken lässt.

Weniger harmonisch geht es in „Respect Bro“ zu. Inspiriert durch den Fall George Floyd schuf Takashi Kondo zur Musik von Arvo Pärt (Fratres für Violine und Klavier) ein Werk für zwei Tänzer die nicht nur in der Rolle von Polizist und Opfer verschiedene Formen von Gewalt und Unterdrückung tänzerisch darstellen. Ein Darsteller im weißen Anzug, der andere im dunklen Kapuzenpullover, so scheinen die Rollen vor der großen Graffitiwand im Hintergrund zu Beginn klar verteilt zu sein. Doch im Verlauf des Werkes verschwimmen diese Grenzen zusehends, denn Respekt sollte nicht von der Position einer Person, vom Alter, Geschlecht oder Rasse abhängen. Für diese körperlich extrem anstrengende Choreografie voller Konfrontationen bekamen Francesco Rovea und Radoslaw Rusiecki einen besonderen Beifall vom Publikum.

Den Titel „Technische Schwierigkeiten“ wählte Robert North als ironische Anspielung auf die Corona-Zeit, bei der durch notwendige Abstandsregeln die choreografischen Möglichkeiten stark eingeschränkt werden. Dennoch gelingt ihm hier zur Musik von „2Cellos“ eine absolut begeisternde Arbeit, bei denen drei Tänzerinnen und vier Tänzer in hohem Tempo über die Bühne gleiten. Mal allein, dann wieder in Zweier- oder Dreier-Konstellationen kreuzen sich ihre Wege. Sehr beeindruckend hierbei das Timing der Darsteller, die aus den Bühnengassen rechts und links stets den Überblick behalten. Bühnen- und Kostümbildner Udo Hesse taucht die Bühne hierbei effektvoll in verschiedene Farben, wie er auch zuvor am Abend stehts die richtige Stimmung transportierte.

Abgerundet wird der Abend zwischen dem zweiten und dritten Ballettstück mit einem Intermezzo, bei dem André Parfenov am Klavier in beeindruckender Art und Weise eigene Variationen über ein Thema von Paganini vorträgt. Wie ein Orkan fegt er über die Tasten des Instrumentes hinweg. So sind es am Ende sogar fünf statt vier Uraufführungen, die diesen Abend zu seinem gelungenen Theaterbesuch werden lassen. Weitere Aufführungen sind in den nächsten Monaten auf dem Spielplan des Theaters Krefeld angesetzt.

Markus Lamers, 13.11.2021
Fotos: © Matthias Stutte