Krefeld: „Cavalleria Rusticana“ / „Gianni Schicchi“

Premiere am 17.9.2016

Schöner kann ein Opernabend nicht sein…

Vorwort: Zu den beeindruckendsten Inszenierungen der Cavalleria zählt für mich immer noch die Produktion der damals noch so genannten "Vereinigten Bühnen Krefeld & Mönchengladbach" – nicht nur aufgrund der Traumbesetzung (Rachael Tovey und Lado Ataneli), sondern auch wegen der spektakulären Inszenierung (Bühne: Wagenknecht / Regie: Münstermann), wo während der Ouvertüre im Gleichklang von Musik und einsamer nächtlicher Straße – genau passend zum Crescendo des Orchesters – ein Auto explodiert und sich zeitlupenmässig in den Bühnenhimmel erhebt, wobei das Wrack später weiterhin bedrohlich über der Szenerie schwebt.

Es war damals eine "Sternstunde des Musiktheaters" – eine Inszenierung mit Bildern, die man auch 20 Jahre später nicht vergessen hat, wie den meisten langweiligen Opernkrempel, denen man sich als Kritiker Jahr für Jahr – schon fast sado maso mässig – unterziehen muss. Und hier möchte ich auch gleich eine Lanze für die kleineren Häuser brechen, für die das Theater Krefeld Mönchengladbach (wie man sich heute nennt) geradezu exemplarisch steht: Seit über 40 Jahren gehe ich, auch heute noch immer gerne, in Vorstellungen dieses Gemeinschaftstheaters, weil hier munteres, lebensnahes (Verismo anno 2016), spannendes, sowie unterhaltsames MUSIKTHEATER in kontinuierlich relativ gleichbleibender Qualität und Form geboten wird. Das war über fast ein halbes Jahrhundert – egal unter welchem Intendanten – immer Aushängeschild dieser schönen Opern-Häuser am Niederrhein.

Als eine "Sternstunde des Musiktheaters" würde ich auch den gestrigen Abend bewerten, der ganz unter dem Sinnbild jenes Maskenbildes des dramatischen Theaters der zwei Gesichter der antiken Musen (Melpomenes weinende Maske und die lachende Maske ihrer Schwester Thalia) stand.

Nicht der übliche Doppelabend "Cavalleria / Bajazzo" war angesagt, sondern nach dem Trauerspiel über die "Sizilianische Bauernehre" platzierte man die Komödie "Gianni Schicchi" und ich nehme es gleich vorweg: Schöner kann ein Opernabend nicht sein…

Es gibt erfreulicher Weise diese beglückenden Abende, wo einfach alles stimmt; die Sänger präsentieren sich in Hochform, der Chor singt nicht nur überzeugend, sondern ist von faszinierender Darstellungskraft, die Inszenierung ist so bewegend spannend wie unterhaltsam, das Orchester spielt als hätte man es frisch aus der Mailänder Scala eingeflogen und auch das Bühnenbild ist so stimmig düster im ersten, wie im zweiten Teil ganz köstlich bunt und kitschig passend (Sonderbeifall und herzliches Lachen im Publikum).

Herrlich! – ein Abend für den wir gleich zu Anfang der Saison schon unseren heißbegehrten OPERNFREUND STERN verleihen, denn besser kann sich heutiges Musiktheater nicht präsentieren.

Die Cavalleria spielt im deprimierend monochromen Ambiente eines alten italienischen traditionellen Dorfes in den 30er Jahren, welches nur noch überwiegend alten gramgebeugten Bewohnern in so traditionellen Kirchenritualen Halt bietet; die Jungen sind ausgewandert; wohin auch immer. Die wenigen übrig gebliebenen Nichtgreise werden schnell zu Opfern der schlimmen Tradition von Kirche, Mafia und Blutrache. Ein deprimierendes Bild, welches sich in den fast tränenrührenden Klängen der Mascagnischen Musik auch wieder findet. Und wenn Turridu und Santuzza zu den Klängen des herzzerreissend schön, mit wunderbar viel Rubato gespielten Intermezzos (für mich eines der Musikjuwelen der Operngeschichte) auf leeren Bühne einen kindlichen Engel in eine Art Trugbild, vorbeischreiten sehen – dann hatten viele im Publikum so feuchte Augen, wie beim Suizid von Puccinis Madama Butterfly. Dafür gehen wir in die Oper – dafür lieben wir diese tolle Musikgattung ein Leben lang!

Im zweiten Teil des Abends wird nun die am Boden liegende Seele des Opernbesuchers, wie die des Kritikers 😉 wieder aufgeheitert, denn was uns da Siegfried E. Mayer als Bühnenbild hingezaubert hat, ist ein kitschiger Alptraum aus den 60ern, der nicht nur realitätsnah ist, sondern auch alle Klichées der Zeit vielfältig zitiert; ob Blümchentapete oder Streifenteppich der übergangslos sogar die Wand herauf sich rankt. Gleiches Muster im Morgenmantel des toten Buoso, dessen Leichnam fast optisch verschwindet (Mimikri) als man ihn vorübergehend an die Wand stellt. Zum Brüllen ist der riesige Matratzenstapel auf dem das anfangs noch lebende Familienoberhaupt (mit grandios pantomimischer Boshaftigkeit gespielt von Christoph Mühlen) wie die Prinzessin auf der Erbse thront und die auf sein Ende wartende Verwandschaft zu Tode nervt, bis sie sein Ende beschleunigen.

Allein die Szene, als man die Leiche loswerden will, erinnert nicht nur an Hitchcocks "Immer ärger mit Harry", sondern könnte auch einem Blake Edwards Film entliehen sein. Wobei die Regie von Francois De Carpentries (traumhafte Kostüme: Karine van Hercke) ohnehin ihre Liebe zum cineastischen Bildern nie verleugnet, denn auch in der Cavalleria finden sich Anspielungen an Fellinis "La Strada und dem damaligen Zeitgeist des großen italienischen Kinos.

Last but not least die ergreifenden Sänger: Eva Maria Günschman (Santuzza) ist an diesem Abend ebenso ein Glücksfall wie Michael Wade Lee (Turridu), Johannes Schwärski (Alfio später Schichi) und Izabela Matula (Lola) – Verismo-Gesang vom Feinstern, dabei absolut höhensicher in den teils höllischen Partien. So muss große italienische Oper klingen, wobei Chor und Orchester unter der engagierten Leitung GMD Mihel Kütson großartig aufspielen.

"Gianni Schicchi" ist eine Teamwork-Opera, wobei hier das Theater Krefeld alles aufbot, was man an tollen Künstlern und "All-Stars" noch im Ensemble hatte.

Die sprichwörtliche Spielfreude zeichnet alle aus, denn diese "schrecklich nette Familie" (ich hebe hier niemanden heraus, denn so eine tolle Inszenierung klappt nur, wenn das ganze Team stimmig harmoniert) war ein Dreamteam angefangen von der großen Rolle des Schicchi bis zum skurrilen Notar. Alle haben gleichermaßen Teil am OPERNFREUND STERN, den wir auch für diese Produktion verleihen. Bravo! Bravi! Bravissimo!

Peter Bilsing 18.9.16

Fotos (c) Theater Krefeld Möcnhengladbach / Matthias Stutte

P.S. 25-jähriges Dienstjubiläum

DER OPERNFREUND gratuliert besonders Publikumsliebling Debra Hayes zu ihrem 25. Bühnenjubiläum an den Vereinigten Bühnen. Wenn ich sie als "ominpräsente Rampensau" bezeichne, wird sie nicht böse sein, denn das ist ein wunderbarer theatralischer Fachbegriff 😉 ! Ich habe sie in diesem Vierteljahrhundert immer bewundert, denn egal wo, was und in welchen Inszenierungen sie auftrat, sie hat mich nie enttäuscht. Und sie ist immer noch so springlebendig und gesanglich top wie 1991. Grosse Gratulation, liebe Debra. Glücklich ein jedes Theater, das solche Künstler in seinem Ensemble hat.
P.B.

KREFELDER RENNBAHN