Krefeld: „Rigoletto“

Premiere 16.11.2019

Verdis „Rigoletto“ als Blöd Runner

Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein. Hier ist ein Märchen von übermorgen… (Raumpatrouille – die fantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion, 1968)

Träumen Androiden von elektrischen Schafen?

fragte Science-Fiction-Autor Philip K. Dick im Jahre 1968. Darauf basierend drehte Ridley Scott 1982 einen der besten Filme des Genres überhaupt: BLADE RUNNER. Nun können wir als fleißige Operngeher diese Frage nach dem gestrigen Rigoletto auch endlich schlüssig beantworten. Nein! Androiden träumen von der Liebe, zumindest will uns die angehende Regisseurin Dorothea Kirschbaum in ihrer Rigoletto-Konzeption dies klar machen.

Das gilt natürlich besonders für weibliche Cyborgs, wie diese Gilda von Verdi respektive Victor Hugo. Und so erwartet man dann in einer bodenlos uninspirierten Inszenierung, wenn man das Konzept verinnerlicht hat, auch jeden Moment, dass Roy Black aus den einfallslosen Seitennischen des billig wirkenden Bühnenkonzepts von Julius Theodor Semmelmann hervorlatscht und seinen alten Hit Du bist nicht allein, wenn Du träumst von der Liebe trällert.

Ein Paket, ein Paket … Amazon wir danken Di r.

So könnte es schon während des Vorspiels lauten, wenn wir sehen, wie der grübelnde Rigoletto eine in Papier versteckte Statue entpackt. Gut, es ist kein richtiges Paket, sondern Lebend-Ware, wie wir kurz darauf erfahren, als der rührige „Vater“ die Statue irgendwie einschaltet. Dann geht der Vorhang wieder zu und wir hören Mikhel Kütson und seinen Niederrheinischen Sinfonikern wieder unabgelenkt zu, wenn sie das Vorspiel zwar etwas wackelig, aber doch ganz passabel zu Ende bringen. Merke: einem bebilderten Vorspiel folgt meist eine schlechte Inszenierung.

Um es gleich vorweg zu nehmen: An die grandiose Salome des Saisonauftakts in Mönchengladbach reichen weder Orchesterleistung noch Dirigat auch nur annähernd heran. Eine biedere Stadttheater-Präsentation und von Italianità – wie gerade in der grandiosen BonnerCavalleria/Pagliacci erlebbar – keine Spur. Seltsam unausgewogen, mal klingt es zu laut, mal zu leise. Vielleicht nimmt man auch auf die Künstler zuviel Rücksicht. Sängerfreundlich muß nicht kammermusikalisch bedeuten. Irgendwie kam kein Feuer aus dem Krefelder Graben an diesem Abend. Vielleicht hätte man das Ganze dann freudvoller ertragen.

Doch zurück zur gebotenen Geschichte, die so hanebüchen unsinnig wie dilettantisch präsentiert wird. Zwar gab es schon den Doris Dörries Planet-der-Affen-Rigoletto und mal eine Opernregie ganz im Weltall mit Astronauten, aber diese Inszenierungen hatten Humor oder zeichneten Ironie. Ein Faktor, der dieser Cyborg-Rigoletto-Inszenierung von Kirschbaum gänzlich abhold ist. Sie ist nur an einigen Stellen unfreiwillig komisch, weil sinnlos. Sonst ist alles bierernst gemeint.

Die Party beim Herzog von Mantua (Bild oben) erinnert, dank der pastellfarbenen Kostüme von Devin McDonough – eine Beleidigung fürs Auge und eine Zumutung für die Sänger und Choristen – eher an eine Tuntenparty als an ein Gelage oder eine gefährliche Männerrunde von Spiessbuben. Man(n) betrachtet beim dezenten Sektnippen die drei neuesten Modelle der lokalen Roboterproduktion. Leider sehen diese eher Schaufensterpuppen ähnlich, als futuristischen Cyborgs. Aber es sind Mädels natürlich! Das wiederum passt nun gar nicht zu dem Eindruck, den das Outfit dieser Männergesellschaft auf den ersten Blick suggeriert. Seltsam …

Bedienungsroboter – oder sind die Frauen gar echt? – stehen statuenhaft am Rand und liefern Alkoholnachschub oder offerieren seltsame Dreieckstüten. Kokain oder Astronautennahrung?

Sie erinnern den alten Sci-Fi-Fan irgendwie an die dreieckigen Raumschiffe, mit denen einst Major McLane in der Uralt-Fernseh-Serie Raumpatrouille zu tun hatte. Egal, was auch immer da drinnen ist, jedenfalls konsumieren Rigoletto und der Mörder Sparafucile (Bild rechts) später dasselbe Zeug, wenn sie auf der trostlosen hellerleuchteten Bühne konspirativ zusammenhocken. (Bild oben) "Also dieser Sparafucile sieht irgendwie aus wie ein schwuler Prince Charming!" tönt eine hinter mir sitzende Opernfreundin nicht gerade leise in des Ehegaten Ohr. Zustimmendes Nicken im Umfeld. Ich würde dem auch nicht widersprechen wollen.

Überhaupt – na, wenigstens ist für eine speziell Lichtregie niemand benannt – erschöpft sich die Beleuchtungskunst meist in der Simplizität des Lichtschalters mit den Stufen Ein-Aus. Ein Dimmer ist vermutlich den Sparmaßnahmen der Krefelder Oper zum Opfer gefallen. Leider konnte ich bei der meist viel zu hellen Bühne auch nicht in seligen Theaterschlaf verfallen oder zumindest die Augen schließen, wie einige Theaterbesucher um mich herum. Letzteres hätte, wie mir ein Sitznachbar versicherte, doch noch zu mehr Genuss von Verdis schöner Oper geführt …

Wir danken IKEA für die das Kinderzimmer und die Plüschtiere

Das wäre ein schöner Übertitel für Gildas Domizil gewesen; ein rundes erhöhtes Tableau überfüllt mir Plüschtieren und Kindersesseln. Das haben wir ja noch nie gesehen! Ein Bett fehlt übrigens – Roboter schlafen ja bekanntlich im Sitzen. Das niedlich putzige Kinder-Kaffeegeschirr aus Plastik war immerhin eine leicht erhältliche billige Bühnenrequisite. Klar auch, dass ein anständiger Papi dann so tut, als wenn er wirklich daraus mit seiner Tochter Kaffee trinkt.

Das Spiel habe ich bei meinen Kindern vor gefühlten 100 Jahren auch immer mitgemacht. Die Beziehung zu Rigoletto erschließt das jedenfalls nicht. Es wird dann auch kurios, wenn das Kindchen sich zum Schampusschlürfen (Bild unten) mit dem Herzog kurz danach einlässt. Oh, wie so trügerisch sind Weiberherzen – also hier eher Roboterherzen.

Selbstredend gibt es auch keine Leiter. Wozu auch, denn die Schergen des Herzogs können ja ebenerdig in Gildas Plattformzimmer latschen. Es fährt nur eine Wand nach hinten. Natürlich wird dazu das Bühnenlicht wieder ausgeschaltet, denn die Burschen haben ja irgendwie aus der Zeit gefallene Oldtimer-Taschenlampen. Nix Laser! Die Fieslinge nehmen nicht nur Gilda mit, sondern – wie gemein – auch die ganze Ikea-Plüschtier-Sammlung. Warum?

Im nächsten Akt, so viel sei verraten, wird ihnen der empörte Rigoletto das Spielzeug einzeln aus der Hand schlagen. Während der ganzen Kidnapper-Szene muß Vater Rigoletto vorne mit verbundenen Augen am Souffleurkasten knien. Und zum Aktschluss sich in Verzweiflung und mit rollenden Augen am Boden herumwälzen. Achtung, Spoiler! Genauso endet dann auch das Finale der Oper.

Den Kappes mit dem Riesen-Kleiderschrank im zweiten Akt (Bild oben), vor dem sich der Graf despektierlich ankleidet, überspringe ich jetzt und gehe direkt weiter zu der markanten Szene, wenn der Lustmolch Gilda die Kleider auszieht und sich plötzlich – Horrortorio olé – einer total abturnenden, geschlechtsneutralen Schaufensterpuppe gegenüber sieht, worauf er den Kopf schüttelt und beleidigt abgeht.

Ich vergaß: Vorher wird noch Monterone mit einer Lego-Wasser-Pistole erschossen. Warum grinsen die bösen Damen (siehe Bild unten) eigentlich dabei wie für ein Erinnerungsfoto.

Der dritte Akt ist so blöd und dilettantisch inszeniert, daß man weinen möchte. Natürlich klopft Gilda nicht an die Tür, sondern stampft wie ein mürrisches Kind auf den Boden. Natürlich kann man einen Roboter nicht mit einem Messer töten. So klappt Gilda mit ein paar Verrenkungen, als habe sie einen Stromstoß abbekommen, dann einfach im Mordgewühl zusammen. Nun hätte hier die Oper ja zuende sein können, wäre Verdi nicht auf die unsinnige Idee gekommen, dass Gilda noch mal – wie weiland bei Karl May bei Winnetous Tod – was Schönes zum Abgang singen muss. Das gibt dann dieser blödsinnigen Inszenierung den Rest, denn:

Rigoletto singt in einen leeren Müllsack.

Logisch, die Seele des Gilda-Roboters weilt längst im siebten Andromeda-Nebel und träumt von den anfangs erwähnten elektrischen Schafen, während ihr „Vater“ sich kniend und verzweifelnd auf der Bühne wälzen muss. Aaaah, la maledizione! Vorhang. Buuuuuuuuuuuuh! Buuuuuuuuuuuuuuh!!!!! Buuuuuuuuuuh!

Es gibt noch ein paar echte Opernfreunde 😉 auch in Krefeld, die sich ihrem Ärger Luft machen. Einige Zuschauer des ohnehin nicht vollbesetzten Theaters sind auch schon in der Pause gegangen.

Nach soviel Schmarrn noch das Positive: die Solisten und der Chor. Johannes Schwärsky singt einen sauberen, recht braven Rigoletto, David Estebans Herzog klingt zumindest erwartungs- und entwicklungsfähig und Sophie Wittes Gilda ist trotz der Hampelrolle des Androiden ein stimmlicher Genuss. Man wünschte allen dreien eine bessere Inszenierung, denn alle sind normalerweise nicht nur gute Sänger, sondern auch bravouröse Musiktheater-Darsteller.

Fazit: Es gibt einen überragenden Film, der heißt Blade Runner, und sogar eine hervorragende Fortsetzung, die 35 Jahre später spielt. Sehr empfehlenswert! Es wird aber darin leider nicht gesungen.

Sollten Sie sich für die Problematik der Androiden und deren Vermenschlichung interessieren, dann klicken Sie diese Streifen auf NETFLIX an. Beide Filme sind im Übrigen auch super spannend, was man von dieser langweiligen

Rigoletto-Produktion nicht sagen kann.

Hoffen wir, daß die Jungregisseurin Kirschbaum irgendwann auch mal ihre Hausaufgaben macht und uns wirklich spannendes und intelligentes Musiktheater liefert. Das war es an diesem Abend leider nicht. Verschenkte Lebenszeit – gehen Sie lieber irgendwo nett essen, als sich im Krefelder Haus zu ärgern oder schlimmer: dem „Tod durch Langeweile“ zu erliegen. Und lassen Sie sich, liebe Opernfreunde, nicht durch den Galgen-Humor meiner Besprechung täuschen.

Peter Bilsing, 17.11.2019

Bilder (c) Stutte / Warner

Credits

Graf von Monterone – Hayk Dèinyan

Graf von Ceprano – Alexander Kalina

Gräfin Ceprano – Maya Blaustein

Marullo – Rafael Bruck

Borsa – Kairschan Scholdybajew

Sparafucile – Matthias Wippich

Maddalena – Eva Maria Günschmann

Giovanna – Janet Bartolova

Page – Maya Blaustein

Gerichtsdiener – Dae Jin Kim

Das schreiben die Kollegen:

Cyberschmarrn – Online Musik Magazin

Verwundert welche Konzepte Intendanten durchgehenlassen – O-Ton