Lübeck: „Attila“

(Premiere am 21.05.16)

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Viele Häuser arbeiten heutzutage mittels Koproduktionen zusammen, um Kosten zu sparen, warum auch nicht, denn Besucher A geht schließlich selten genug in B in die Vorstellung, die Abonnent C in D sieht. Doch es ist schon etwas Besonderes, wenn sich ein Stadttheater wie in Lübeck einfach mal das Theater an der Wien als Partner sucht, und natürlich auch umgekehrt. So kann man in Lübeck Verdis seltene gespielten "Attila" in der Regie von Peter Konwitschny erleben, der als Regisseur auch viel Hamburger Opernfreunde an die Trave locken könnte. Die Regie erinnert im Ansatz zunächst auch an seinen legendären Hamburger "Lohengrin", der ja in einer Schulklasse spielte.

Bei Verdi haben wir zunächst einen Haufen Kinder vor uns , die ihre "Räuber-und Gendarmen"-Spiele zu den schwungvollen Kantilenen spielen. Kinder ,die ihre sozialen Verhältnisse über ihr Spiel lernen; "Kindlich verspielt" nennt die Inhaltsangabe diese Zeit. Wenn der römische Bischof Leone mit seiner prophetischen Warnung auftaucht, so erhalten die Kinder Erwachsenenkleidung und treten in ein anderes Alter, was "Ausgewachsen infantil" bezeichnet wird. Aus Spiel wird Ernst aus spassigem Getümmel wird tragischer Ernst, vor allem wenn die Protagonisten im dritten Teil, "Immer noch nichts gelernt", ihr Verhalten nicht ändern lernten und das anfängliche Spiel bis ins tödliche Finale geführt wird. Alte Menschen, die sich an Krücke , Rollator und Rollstuhl bis ums Verrecken nicht beherrschen lernten. Chor und Sänger agieren die verschiedenen Altersstufen absolut gekonnt aus.Die Ausstattung von Johannes Leiacker gibt ein schlichtes, wie passendes Theaterrund als Spielort vor, der durch das Licht von Manfred Voss abwechslungsreiche Imaginationen erhält. Leiackers Kostüme grundieren mit zunächst kindlichen Kinderverkleidungen, die Jungen von Nimmerland (Peter Pan) sind da nicht weit bis in den erwachsenen Realismus. Mit einem Wort aufklärendes Theaterspiel in bester Manier, eine sehr gelungene Produktion, die der sprunghaften Dramaturgie des Verdischen Frühwerks sehr gerecht wird.

Doch auch musikalisch zeigt Lübeck seine oft beschriebenen Meriten: da die Aufführung nun schon einige Monate im Repertoire ist, klingt das Orchesterspiel des Philharmonischen Orchesters der Hansestadt, vielleicht nicht mit allen möglichen Finessen, die man auch einem frühen Verdi angedeihen lassen könnte, dazu kommt die etwas knallige Akustik, die manches Detail vergröbert, doch die Aufführung unter der Leitung von Andreas Wolf hat enormen Schwung und geizt nicht an Italianita. Die Sänger haben alle das Gespür für die gesungene Kantilene und ein wunderbar ausgeformtes Legato, so "italienische " Oper hört man nicht alle Tage. Mit Taras Konoshchenko hatte man einen echten Prachtbass in der Titelpartie, Timbre, emotionale Ausformung, Gestaltung alles perfekt, dazu mit dem Hausbariton Gerard Quinn ein adäquater Ezio an seiner Seite, der die Duettszene beider zu einem Höhepunkt werden ließ.

Daria Masiero als Gast gab die Odabella, ein richtiger "lirico-spinto"-Sopran dramatischen Kalibers mit leichtem, doch angenehmen Vibrato toller Durchschlagskraft in der Höhe und der rechten Agilita für die schwierigen Koloraturen. Als Foresto Alexander James Edwards, der zunächst ein wenig durch sein Höhentimbre irritierte, doch gesanglich ein Musterbeispiel für italienischen Operngesang ablieferte. Auf Augenhöhe die kleinen , aber wichtigen Partien des Uldino und Leone von Hyungseok Lee und Seokhoon Moon vom Haus. Dem Chor, Extrachor und Jugendchor machten ihre Aufgaben sicht- und hörbar Spass, wobei die Damen die Nase etwas vorne hatten. Wirklich "Grande Opera Italiana" an der Trave, also einen Besuch der noch wenigen Vorstellungen sei mehr als empfohlen. Dieser Abend war viel zu schnell zu Ende.

Martin Freitag 30.12.2016

Fotos (c) Theater Lübeck / Jochen Quast