Lübeck: „Attila“

Premiere: 21. 5. 2016

Als Peter Konwitschnys Inszenierung des Verdi-„Attila“ im Juli 2013 am Theater an der Wien ihre Premiere erlebte, schlugen die Wellen hoch, denn Fans und Gegner des Regisseurs beschimpften sich während der Aufführung lautstark. Bei der Übernahme dieser Produktion an das Lübecker Stadttheater gab es aber auf allen Seiten nur glückliche Gesichter: Alle Rollen sind optimal besetzt, die Produktion ist frisch einstudiert worden. Das Publikum hatte seinen Spaß und feierte alle Akteure und auch Konwitschny mit einem zehnminütigen Jubelsturm.

Weil „Attila“ ein einziges Intrigen-Gewusel ist, in dem alle Figuren dem Hunnenkönig ans Leben wollen, hat sich Konwitschny gemeinsam mit Dramaturgin Bettina Bartz ein ungewöhnliches Konzept erdacht: Gezeigt wird eine Gruppe von Personen, die sich ihr ganzes Leben lang bekämpfen und bekriegen: Im Prolog und erstem Akt erlebt man eine große Schulhof-Keilerei, bis das erzieherische Erscheinen des Papstes die Akteure reifen lässt. Im zweiten Akt befinden wir uns in einem Mafia-Krieg, bevor das Schreckens-Finale die Figuren altern lässt. Der Schlussakt mündet in einer mörderischen Altenheim-Intrige.

Alle Solisten, Chor und Statisterie setzen dieses Konzept mit so viel Spaß und darstellerischer Überzeugungskraft um, so dass das Publikum von der Aufführung geradezu mitgerissen wird: Der von Jan-Michael Krüger einstudierte Chor tobt ausgelassen und verspielt über die Bühne. Jedoch scheint die runde und durchlöcherte Rückwand, die Johannes Leiacker für die Produktion entworfen hat, einiges an Schall zu schlucken, denn der Chor klingt weniger voluminös, als man es aufgrund der großen Anzahl der Sängerinnen und Sänger vermuten würde.

Auch bei den Solisten stellen sich in den Generalpausen seltsame Echoeffekte ein, die sich wahrscheinlich dadurch erklären lassen, dass das Wiener Bühnenbild nicht optimal den Lübecker Raumbedingen angepasst wurde.

Für kleinen Wermutstropfen bei der Bewertung der Solisten sorgt, dass lediglich Bariton Gerard Quinn das einzige Ensemblemitglied ist und die anderen Partien an Gastsolisten vergeben sind. Quinn verkörpert den römischen General Ezio mit schneidigem Bariton. Ernesto Morillo singt und spielt den Attila mit raumgreifender und leicht angerauter Stimme als knorrigen Typen.

Helen Dix ist eine glänzende Odabella: Trotz wuchtiger körperlicher Erscheinung spielt sie ihre Figur mit koketter Leichtigkeit und begeistert dazu mit ihrer hellen und kraftvollen Stimme. Ihren Liebhaber Foresto singt Alexander James Edwards mit einem mühelos strahlenden Tenor. – Ein großes Kompliment an das Lübecker Besetzungsbüro.

Für frischen Wind sorgt zudem das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter dem Dirigat von Ryusuke Numajiri. In den Finali hat die Musik natürlich immer etwas konventionell lärmendes, doch Numajiri zeigt auch wie feinsinnig und experimentierfreudig Verdi in dieser Oper komponiert und instrumentiert hat.

Der Konwitschny-„Attila“ wird übrigens noch weiterziehen: In der nächsten Saison wird die Produktion auch an die Oper Nürnberg übernommen.

Rudolf Hermes 25.5.16

Bilder (c) Theater Lübeck