Magdeburg: „Eugen Onegin“, Peter I. Tschaikowski

Wieder einmal – diesmal in Magdeburg – traf eine unverständliche, teilweise geradezu mysteriöse Inszenierung auf eine hervorragende musikalische Verwirklichung, die einen dann doch mit der Regie etwas versöhnte. Der neue Generalintendant des Hauses Julien Chavaz hatte sich in einer Kooperation mit der Opéra de Lorraine in Nancy Tschaikowskis beliebter „Lyrischen Szenen“ angenommen, wobei die inszenatorische Mitarbeit von Annemiek van Elst nicht unerwähnt bleiben soll. Nach einer Pressemeldung wollte er bei seiner ersten Regiearbeit in Magdeburg das Publikum „auf eine emotionale Reise in das Innenleben junger Menschen einladen, bei der die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwimmen.“ Wenn man dies und Erläuterungen im Programmheft nicht gelesen hatte, blieb vieles zu rätselhaft, manches geradezu albern. Da gab es zum Beispiel Guillot (der Schauspieler Steven Beard in der stummen Rolle), nach dem Libretto eigentlich Onegins Kammerdiener, der offenbar als Gärtner auf Larinas Landgut beschäftigt war; beim Duell war er entsprechend der Vorlage Onegins Sekundant. Im letzten Akt hatte er auch beim Fürsten Gremin zu tun, wo er ein Stückchen der Polonaise nachtanzte und zwei Blumentöpfe aufstellte, was genauso albern wirkte wie sein Verschwinden in einer Versenkung am Schluss des ersten Bildes. Überhaupt die Versenkung! In der berühmten Briefszene, die durch merkwürdige Traum(?)-Bilder und unverständliche Aktionen ziemlich verworren wirkte, wurde ein Tisch mit Stuhl und Lämpchen hochgefahren, wie er aber auch im einsehbaren Wintergarten zu sehen war, an dem der Gärtner den Brief schrieb und wo zeitweise Personen aus der Familie (Double von Tatjana, der Vater (?) und andere) auftauchten. Ganz am Schluss nach der großen Auseinandersetzung mit Onegin verschwand Tatjana  in der Mitte der Bühne durch besagte Versenkung.

© Nilz Boehme   /  Marko Pantelic/Aleksandr Nesterenk

Sei‘s drum, manches aus der Regiearbeit war außerdem eher hilflos wie das ständige Rampensingen, was man sich ja noch gefallen lässt, wenn die Protagonisten ihre eigenen Gefühle gesanglich offenlegen, nicht aber, wenn sie im Gespräch mit anderen sind. Auch die Choristen mussten reichlich unnatürliche Posen vorführen, wie beispielsweise bei den Liedern im ersten Bild oder bei Gremins berühmter Arie über die Liebe, wenn sie zur ersten Strophe im Takt zwei Schritte nach vorn und in der zweiten zwei zurück auszuführen hatten; die Polonaise im dritten Akt gelang dagegen durchaus ansprechend. Noch einige Anmerkungen zu den anderen Äußerlichkeiten: Amber Vandenhoeck hatte im ersten Teil eine ansehnliche Gartenlandschaft für Larinas Landgut entworfen; für das Fest beim Fürsten Gremin blieb nur eine leere Bühne mit abweisenden Felsen im Hintergrund übrig. Für die eher fantasielose Bekleidung der Choristen in ziemlich blasser Farbgebung und die dagegen farblich plakative Bekleidung der Solisten war Sanne Oostervink verantwortlich.

© Nilz Boehme   /   Anna Malesza-Kutny/Johannes Stermann/Marko Pantelic

Nun aber zur Musik: Wieder einmal bewies die Magdeburgische Philharmonie in allen Gruppen und bei den zahlreichen ausgezeichneten Instrumentalsoli ihr beachtliches Niveau. Das lag am Premierenabend natürlich auch an ihrerGMD Anna Skryleva, die überaus sängerfreundlich mit präziser Zeichengebung für enormen Schwung sorgte, aber auch in den vielen lyrischen Passagen den großen Farbenreichtum von Tschaikowskis Musik deutlich herausarbeitete.  Erfreulich war der prächtige, stets ausgewogene Klang des von Martin Wagner einstudierten Opernchors. Die Leistungen des weitgehend jungen Ensembles waren durchweg von hoher Qualität: Tatjana war die polnische Sopranistin Anna Malesza-Kutny, seit dieser Spielzeit neu in Magdeburg, die die anfangs schwärmerische Jugendliche und später die gereifte, treue Ehefrau überzeugend gestaltete. Sie führte ihren ausdrucksstarken Sopran sicher und intonationsrein von den ruhigen, lyrischen Passagen bis in energisches Forte. Marko Pantelić gestaltete die Titelfigur zu Beginn mit der üblichen Herablassung und am Schluss mit großer Leidenschaft. Der serbische Sänger verfügt über einen eher weichen, in allen Lagen abgerundeten Bariton, dem in der Schlussszene allerdings manches an dramatischem Impetus fehlte.

© Nilz Boehme   /   Marko Pantelic/ nna Malesza-Kutny

Der russische Tenor Aleksandr Nesterenko, ebenfalls erst seit 2022 im Ensemble, gab Onegins Freund Lenski, den unglücklichen Dichter, der die Liebesschwüre aus seinem Notizbuch ablas. Erfreulich war sein klarer, glanzvoller Tenor, mit dem er besonders in der berühmten Abschiedsarie vor dem Duell stark beeindruckte. Als seine Olga gefiel mit munterem Spiel und flexibler Stimmführung die polnische Mezzosopranistin Weronika Rabek. Ein gegen das Libretto zu junger Fürst Greminwar Johannes Stermann, dessen in Höhe und Tiefe gut ansprechender Bass diesmal in der Mittellage einige Intonationstrübungen aufwies. Mit stimmkräftigem Mezzosopran fiel Doris Lamprecht als die GutsbesitzerinLarina positiv auf.

Wegen einer Indisposition konnte Jadwiga Postrożna die Njanja Filipjewnanur spielen; aus dem Orchestergraben gab die kurzfristig eingesprungene Anna Maria Dur mitfülligem, charaktervollem Mezzo den sängerischen Part. In bewährter Manierwar Manfred Wulfert der französische Sänger Triquet.

Das Premierenpublikum bejubelte alle Mitwirkenden und das Leitungsteam mit starkem, uneingeschränktem Beifall, der bei den Solisten mit Bravos durchsetzt war.

Gerhard Eckels, 22. Januar 2023


Theater Magdeburg

„Eugen Onegin“

Peter Tschaikowski

Besuchte Premiere am 21. Januar 2023

Inszenierung: Julien Chavaz

Musikalische Leitung: Anna Skryleva

Magdeburgische Philharmonie

Weitere Vorstellungen: 5.,18. Februar, 12.,24. März und 6.,16. April 2023