6. Februar 2022 , Premiere: 22. Januar 2022
Elena Langer und David Pountney wagen eine Fortsetzung
Die Komödie „Figaro lässt sich scheiden“ gehört, möglicherweise zu Unrecht, nicht zu den Glanzpunkten des Schaffens von Ödön von Horváth (1901-1938). Der österreich-ungarische Schriftsteller nutzte für sein, leider wenig aufgeführtes Lustspiel, die Popularität der Figuren von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais (1732-1799), um im Jahre 1936 mit melancholisch-zynischem Charme die Wandelbarkeit geistiger Überzeugungen unter prekären gesellschaftlichen Umständen zu thematisieren. Die Personen um Figaro verdanken ihren Bekanntheitsgrad den Opern „Der Barbier von Sevilla“ von Gio achino Rossini und „der Hochzeit des Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart s.
Die Handlungsanklänge an Beaumarchais finden sich aber eher im dritten Teil dessen „Figaro-Trilogie“, nämlich bei „L`autre Tartuffe ou La mère coupable“.
Im Jahre 1963 hatte Giselher Klebe (1925-2009) bereits den Versuch unternommen, Horvaths geistvolles Sujet für die Opernbühne zu erschließen.
Aber erst 2016 gelingt es der in London lebenden Komponistin Elena Langer eine Oper zu komponieren, die eine breitere Verbreitung findet. Das verdankt das Werk vor allem dem Librettisten David Pountney, der nicht nur in seinem Haus, der Walisischen Nationaloper, (Welsh National Opera) Cardiff auch die Regie der Uraufführung am 21. Februar 2016 übernahm, sondern auch für eine internationale Verbreitung sorgte.
Bereits im September 2017 brachte Pountney Das Werk mit dem Originaltitel „Figaro Gets a Divorce“ mit den Cardiff-Sängerdarstellern im Grand Théâtre de Genéve und im November 2017 in Poznań auf die Opernbühnen.
Im Januar 2022 hat die Komposition der Elena Langer, die Regiearbeit David Pountneys und Mitglieder des Solistenensembles der Cardiffer Oper das Theater Magdeburg zur Deutschen Uraufführung von „Figaro lässt sich scheiden“ erreicht.
Um was geht es?
Der Graf Almaviva, seine Gräfin, ihre Zofe Susanna und Figaro taumeln aus einer vorrevolutionären heilen Welt mitten in ein krisengeschütteltes Heute. So vermitteln uns zumindest die Kostüme von Sue Blane die Nähe der Jetztzeit, die des 20. Jahrhunderts. Das Stück behandelt somit das Elend der Emigration.
Trotz der nur knapp gelungenen Flucht ins Nachbarland, erkennt der Graf den Ernst der Lage nicht und glaubt sein gewohntes Luxusleben auch ohne finanzielle Zuflüsse weiter führen zu können. Das kann nicht gut gehen.
Susanna verachtet Figaro, weil er ihr den Kinderwunsch verweigert und stattdessen wieder als Barbier arbeitet. Susanna, von der inzwischen verarmten Grafenfamilie entlassen, arbeitet als Sängerin im Nachtclub des Cherubs und hat mit diesem eine Affäre.
Dazwischen bewegt sich ein undurchsichtiger Major, der durch Intrigen und rätselhafte Enthüllungen versucht, die Grafen-Familie zu zerstören. Die zwischenmenschlichen Beziehungen beider Paare werden auf eine harte Bewährungsprobe gestellt.
Der Gräfin gelingt die Aufklärung des Verwandtschaftsverhältnisses ihres Sohnes Serafin und der Grafentochter Angelika aufzuklären und damit den Plan des Majors zu zerstören. Obwohl beide Kinder des Grafen-Paares, sind sie als Produkte zweier Seitensprünge nicht blutsverwandt, können somit heiraten.
Auf der Flucht vor dem Major wieder in das inzwischen von den Umstürzlern zur Irrenanstalt umfunktionierten Schloss Almaviva zurückgekommen, versucht die Familie Wahnsinn vorzutäuschen. In einem undurchsichtigen Unfall wird der Cherubino erschossen. Der von ihm schwangeren Susanna gelingt die Versöhnung mit dem Figaro.
Als sich Revolutionäre nähern, erkennt das Grafenpaar die Ausweglosigkeit ihrer Situation. Sie verschaffen den jungen Paaren eine Fluchtmöglichkeit und erwarten ihr Schicksal, die Euthanasie.
Diese nicht leicht zu verfolgende Handlung hat David Pountney flott und kurzweilig auf der nach Ralph Koltai von Robin Don funktionell gestalteten Bühne inszeniert. Junge Damen schieben zwei gewaltige Trennwände hin und her, verändern damit die Spielräume. Außerdem bringen sie die Requisiten, soweit die Sänger das nicht selbst tun.
Pountney nutzte gelegentlich Slapstick-Einlagen, wenn er damit die Handlung voranbringen konnte.
Die 1974 in Moskau geborene Komponistin, mit der russischen Kultur aufgewachsen und ausgebildet, ist im Alter von 25 Jahren nach London gekommen. „Figaro lässt sich scheiden“ ist zwar ihre erste größere Opernkomposition, aber nicht ihre erste Bühnenarbeit. Ihre Musik sollte dem Mozartischen Prinzip folgen, dass die Handelnden einander vergeben können, egal was passiert. Deshalb kommt die Musik auch leicht über die Bühne, ohne wie Mozart oder Rossini zu klingen. Sie orientiert sich vor allem auf das Diener- und das Grafenpaar. Figaro ist zwar der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, die stärkste Person der Oper ist aber die Gräfin, als sie sich gegenüber dem Major behauptet und damit der Handlung eine Wandlung gab.
Die Musik des jungen Paares Serafin und Angelika ist lyrischer und weicher, die des Majors hingegen böser, teuflischer.
Interessant, wie sich ein Akkordeon in das Klangbild des Orchesters einfügt. Es passt sich den Instrumentengruppen an, mischt sich gut und übernimmt Basso continuo-Aufgaben.
Im intimen Magdeburger Opernhaus wurde auf die opulente Orchesterfassung von Elena Langer verzichtet und eine vom Chefdirigenten des Orchesters des Musikvereins St. Pölten, dem Kolumbianer Daniel Rueda Blanco, reduzierte Fassung gespielt. Die souveräne musikalische Leitung des bulgarischen Hausdirigenten Svetoslav Borisov sicherte eine ordentliche Leistung der im Mittel recht jungen Musiker der Magdeburgischen Philharmonie. Mit seinem fein differenzierten Dirigat hielt er das Bühnengeschehen zusammen und ließ den Arien die notwendige Zeit der Entfaltung.
Dankbar nutzt der niederländische Tenor Mark Le Brocq die Möglichkeiten der Rolle des intriganten Schutzgeldeintreibers, gestaltet den Major zum komödiantischen Zentrum der Aufführung und zur die Handlung über weite Strecken kontrollierenden Figur.
Die Rolle des geschäftstüchtigen und umtriebigen Betreibers eines heruntergewirtschafteten Nachtclubs Cherubino wurde dem Countertenor Andrew Watts mit der Aufgabe für eine etwas schmuddelige Erscheinung übertragen. Da ist von der Mozartfigur eigentlich neben der Stimmhöhe nur die Sexbesessenheit geblieben. Gesangliche Besonderheiten waren uns die ungewohnten Klangeffekte der frivolen Duette des Countertenors mit der Sopranstimme von Marie Arnet.
Dem zunehmend verspießten Figaro verleiht David Stout mit einem kraftvollen, warmen Bariton und solider schauspielerischer Leistung Statur. Vom Klassenkämpfer von Beaumarchais ist kaum ein Rest geblieben. So wie eben auch bei Pountney, dem Mainstream folgend, die Männer, falls diese nicht als sexistische Wiederlinge agieren, in den Partnerschaften die Versagerrolle übernommen haben.
Eine rebellierende tatkräftig-unkonventionell agierende Susanne war folgerichtig Marie Arnet. Die Sopranistin befreite sich vom verspießerten Figaro genauso konsequent, wie aus dem Cherubino-Verhältnis. Dabei sang und spielte sie mit einem ordentlichen Schuss Erotik.
Als etwas weltmüder und nicht immer glücklich agierender Graf war der Bariton Quirijn de Lang zu erleben. Ein etwas hölzernes Auftreten aber mit ordentlichem Singen bot er eine Figur, die immer erst begreift, wenn es zu spät ist.
Anders seine Gräfin, von der im Magdeburger Ensemble fest verankerten Noa Danon dargeboten. Kaum schuldbewusst ob des illegitimen Sohnes Serafin, nimmt sie im richtigen Augenblick den Hergang auf der Bühne in die Hand. Dabei spielt und singt sie zunehmend lockerer, brilliert regelrecht im Schlussakt..
Bezaubernd auch die Angelika der Sopranistin Rhian Lois, als sie herausgefunden hatte, dass der Graf ihr leiblicher Vater ist und ihr der Erpresser nichts mehr anhaben kann. Berührend ihr Zusammenspiel mit dem vermeintlichen Grafensohn Serafin. Die oft verzweifelten Liebesarien mit kultiviert-ausgeglichenen Stimmen von Rhian Lois mit dem Serafin der Haus-Mezzosopranistin Emilie Renard gesungen, gehörten zu den emotionalen Glanzpunkten der Aufführung
Übrig bleibt vom Opernabend eine Komödie mit einem melancholisch-zynischem Charme, die aber von Horváths Erkenntnis, dass „ein Emigrant immer ein Hergelaufener bleibt, der nicht nur sein Recht auf ein Zuhause, sondern auch sein Recht auf sein Menschsein verwirkt hat.“, meilenweit entfernt bleibt.
Schwierig empfand ich für ein deutsches Opernhaus, die Einbeziehung des Euthanasie-Problems in den doch lockeren Handlungsschluss.
Theater Magdeburg © Nilz Böhme
Thomas Thielemann, 8.2.22