Die niederländische Tänzerin Margaretha Geertruida Zelle war bereits zu Lebzeiten eine Legende, allseits bekannt unter ihrem Künstlernamen Mata Hari. Geboren am 7. August 1876 in Leeuwarden, machte Mata Hari vor allem in den Jahren vor und während des ersten Weltkrieges eine große Karriere als exotische Tänzerin. Gleichzeitig agierte sie als Spionin unter anderem für den deutschen Nachrichtendienst, was schließlich im Jahre 2017 zu einer Verurteilung wegen Doppelspionage und Hochverrats vor einem französischen Militärgericht führte. Am 15. Oktober wurde sie auf Grund dieses Urteils hingerichtet. Noch heute sind viele Bestandteile ihrer Biografie umstritten und teilweise sogar widersprüchlich, so dass sich seit Jahren unzählige Sagen und Legenden mit dem Leben Mata Haris beschäftigten. Einige dieser erfundenen Geschichten stammen auch von der Tänzerin selber, um sich zu Lebzeiten interessanter zu machen. Angereichert mit diversen pikanten Affären wahrlich eine ideale Grundlage für verschiedenste Bücher, Filme und Bühnenversionen. Erst vor wenigen Tagen wurde im Münchner Gärtnerplatztheater ein brandneues Musical von Marc Schubring und Kevin Schroeder uraufgeführt. Ebenso brandneu ist nun die Choreographie von Robert North, Ballettdirektor am Theater Krefeld-Mönchengladbach, die sich vor allem mit der Frage beschäftigt, wer die Frau hinter der selbst erschaffenen Kunstfigur war. Brandneu zumindest für das Publikum, denn tatsächlich hat die Deutsche Oper Berlin vor rund 25 Jahren bereits bei North angefragt, ob er einen Ballettabend über Mata Hari kreieren könnte. Zwar wurde das Projekt später wieder abgesagt, doch die damals gewonnenen ersten Ideen sind auf die ein oder andere Weise sicherlich auch mit in diese Uraufführung geflossen.
Bereits damals war Christopher Benstead involviert, der nun seit mehr als 30 Jahren eine große Anzahl von Kompositionen für die Theaterbühnen wie auch für Radio, Fernsehen und Film komponiert. Für Mata Hari schuf er eine eigene Komposition, die sich als wahrer Diamant entpuppt, für den allein sich ein Besuch der Vorstellung lohnt. Schwungvoll, mit Bezügen zur Romantik und Avantgarde, passen Musik und Tanz ganz wunderbar zusammen und ergeben ein harmonisches Miteinander. Besonders die großen Gruppenszenen für die Benstead auf beliebte Tänze der damaligen Zeit zurückgriff, begeistern das zahlreich anwesende Premierenpublikum hörbar. Eine Auftragskomposition für ein großes Orchester ist auch für das vergleichsweise kleine Theater am Niederrhein ein ganz besonderer Akt, den es zu stemmen gilt. Dies gelingt bravourös, denn die Niederrheinischen Sinfoniker zeigen unter der musikalische Leitung von Sebastian Engel einmal mehr, was für ein großartiges Orchester sie sind. Die Komposition, die auf Grund ihrer begleitenden Eigenschaft entfernt an Filmmusik erinnert, nutzt hierbei die gesamte Bandbreite des Orchesters geschickt aus, immer wieder fließen zudem orientalische Klänge mit in die Partitur ein.
Die Choreographien von Robert North sind wahrlich sehenswert, vor allem im ersten Akt folgt ein Highlight dem nächsten. Hierbei folgt das Ballett dem Leben der Tänzerin weitgehend chronologisch. Als junges Schulmädchen hat sie bereits Spaß am Tanz mit ihren Mitschülerinnen. Im weiteren Verlauf lernt sie nicht nur verschiedene Männer kennen, sondern auch eine indonesische Tanzgruppe, von deren besonderem Tanzstil sie gleich fasziniert ist. Sehr schön choreographiert auch die Versuche Mata Haris sich diesen zunächst fremden Stil anzueignen. Während eines geselligen Abendessens bricht plötzlich der erste Weltkrieg aus, was in diesem Ballettabend durch die vier Reiter der Apokalypse eindrucksvoll umgesetzt wird. Auch die Musik wirkt an dieser Stelle ungemein bedrohlich. Im zweiten Akt scheint Mata Hari zunehmend allein zu sein. Die Menschen die sie einst feierten, wenden sich nun von ihr ab. Zudem verstrickt sie sich immer weiter in der Welt der Spionage. Sehr schön in diesem Zusammenhang übrigens die Darstellung der beiden französischen Geheimagenten George Ladoux (Marco A. Calucci) und Pierre Bouchardon (Francesco Rovea), die wie in einem Zeichentrickfilm immer wieder hinter Wänden auftauchen, versuchen sich zu verstecken und hierbei ineinander gerollt die Tarnung wahren wollen. Herrlich amüsant und schön getanzt zugleich. Schön getanzt ist auch die Rolle der Titelfigur durch Teresa Levrini, die sowohl solistisch wie auch mit den verschiedensten Tanzpartnern an diesem Abend eine große Rolle zu füllen hat, was ihr bravourös gelingt. Insgesamt stehen an diesem Abend 19 Tänzer und Tänzerinnen auf der Bühne, die teilweise mehrere kleinere Rollen übernehmen und allesamt überzeugen.
Abgerundet wird der gelungene Theaterabend durch die epochengenauen Kostüme von Luisa Spinatelli, die den Tänzerinnen und Tänzern genug Raum für die Bewegungen lassen, trotzdem aber auch optisch prunkvoll daher kommen. Auch das von ihr entworfene Bühnenbild ist passend und kommt mit wenigen Requisiten aus, damit genug Raum für die tänzerische Darbietung bleibt. Die verschiedenen Handlungsorte werden meist durch sehenswerte Videoprojektionen erzeugt. Immer wieder mischen sich aber reale Bühnenbilder dazwischen, so beispielsweise die festliche Tafel vor Kriegsbeginn oder später der Gerichtssaal, in dem Mata Hari zum Tode verurteilt wird. Mit dieser Hinrichtung endet dann nach rund zwei Stunden auch ein eindrucksvoller Ballettabend, der die anwesenden Zuschauer trotz des tragischen Endes zu spontanen Standing Ovation und einem fast orkanartigem Beifall für die Tänzer, das Orchester und das gesamte Kreativteam verleitet. Ein Besuch dieses neuen Handlungsballettes kann allen Tanzfreunden nur wärmstens empfohlen werden.
Markus Lamers, 27. März 2023
Mata Hari
Ballettabend von Robert North mit Musik von Christopher Benstead
Theater Mönchengladbach
Besuchte Premiere: 26. März 2023
Musikalische Leitung: Sebastian Engel
Niederrheinische Sinfoniker