Münster: „Cendrillon“

Premiere 14. April 2018 – besuchte Vorstellung 8. Mai 2018

Massenet

Vor der Aufführung von Jules Massenet´s „Cendrillon“ (Aschenputtel) auf das Libretto von Henri Cain angeregt durch ein Märchen von Charles Perrault war in der Presse von einer „Münster-Fassung“ die Rede. Da kam Erinnerung auf an die Saisoneröffnung, wo in Verdis „Don Carlo“ Musik von Alfred Schnittke eingefügt wurde.

Ohne solche musikalischen Einschübe versuchte Regisseur Roman Hovenbitzer in seiner „Fassung“ Analogien aufzuzeigen zwischen dem mehrfachem Wechsel des Schauplatzes der Oper von rauer Wirklichkeit des Elternhauses in die märchenhafte Traumwelt der Feen zur auch oft die Realität verklärenden Traumwelt des Kinos.

Etwas weit hergeholt war Anlaß dazu die Aufführung eines Stummfilms „Cendrillon“ im Jahre der Uraufführung der Oper 1899. So begann der Abend auf der ein Kino darstellenden Bühne (Bernhard Niechotz) mit einer Schwarz-Weiß –Aufführung des Happy-Ends eben dieses Stummfilms. (Video Oliver Berg) Während der Barockmusik nachempfundenen „Introduction“ des Orchesters stellte dann ein „Conférencier“ (Grégory Moulin) die im Kino anwesenden Hauptdarsteller vor. Von diesen sah man auf der Bühne ganz überflüssig Pappmaché-Figuren während der ganzen Vorstellung. Kinobetreiber war Vater Pandolphe, der „Prince charmant“ – hier „Märchenprinz“genannt – war der Leinwandheld und Aschenputtel mußte das Kino putzen, während Stiefmutter Madame de la Haltière mit Töchtern die Premierenfeier zwecks näherer Bekanntschaft mit dem Hauptdarsteller besuchen durften. Diese Premierenfeier fand statt im Restaurant „Belle Époque“ Durch entsprechende Lichteffekte konnte dies auch in die Zauberwelt der Feen verwandelt werden. Verbindung zwischen den Schauplätzen fand durch die Kinoleinwand statt, also etwa Fee durch die Leinwand ins Kino, Fee mit Aschenputtel zurück durch die Leinwand zur Premierenfeier – angeregt wohl durch ähnliche Zaubereien in Woody Allens Film„The purple rose of Cairo“.

Die verschiedenen Handlungsebenen wurden auch durch die Kostüme (auch Bernhard Niechotz) deutlich – die Feen in kitschigen weissen Lichterkleidern, Prinz und Aschenputtel beim Ball ebenfalls in weiß, dagegen Stiefmutter Mme de la Haltière mit Töchtern in ganz überkandidelten Frisuren und Kleidern aus der Entstehungszeit der Oper. Ebenso witzig (opéra comique) war auch der Aufzug der Heiratskandidatinnen zur Ballettmusik im II. Akt (Choreographie Tomasz Zwozniak) und insbesondere der „Marsch der Prinzessinnen“ im IV. Akt, wo man in einem Video sah, wie die Damen vergeblich versuchten, ihre Füsse der Grösse des magischen Pantoffels zwecks Heirat mit dem Prinzen anzupassen. Ansonsten wirkten die häufig auf einen Gazevorhang projezierten Videoclips eher störend.

Von ihrer jugendlichen Erscheinung her und stimmlich beeindruckte Henrike Jacob in der Titelpartie. Resignierende Bescheidenheit ihrer Arie im ersten Akt vermochte sie stimmlich ebenso auszudrücken wie die späteren Koloraturen vor dem ersehnten Aufbruch zur Feier. Das Legato für „Vous êtes mon prince charmant“ klang passend sentimental. Ganz grossartig gelang die anscheinend atemlose Schilderung ihrer unheimlichen Flucht vom Ball nach Hause zu Beginn des III. Aktes.

Ihr „Märchenprinz“ wurde nicht, wie von Massenet als Hosenrolle zwischen Cherubino und Rosenkavalier beabsichtigt und kürzlich in der Aufführung der MET auch befolgt, von einer Mezzosopranistin sondern vom Tenor Youn-Seong Shim dargestellt.. Obwohl oben vom Kronleuchter her sang er legato und melancholisch p vom „Herzen ohne Liebe“ (Coeur sans amour) Bei den Liebesszenen konnte er auch dramatisch bis zum hohen Spitzenton„wagnern“ Höhepunkt war das verzweifelte Duett der beiden im III. Akt, wo sie sich hören aber nicht sehen konnten, eigentlich getrennt durch eine Blumenhecke, hier von den Feen mit verbundenen Augen herumgeschubst.

Die Rolle der Fee mit Koloraturen und Trillern über den gesamten grossen Stimmumfang von drei Oktaven ist für jeden Koloratursopran eine riesige Herausforderung. Kathrin Filip meisterte die Koloraturen, bis hin zu den etwas forcierten Spitzentönen, etwas mehr Leichtigkeit in der Stimmführung, besonders im p, kommen sicher noch. Die dankbare Rolle des hier sympathischen, um seine Tochter Cendrillon besorgten aber gegenüber der beherrschenden Ehefrau machtlosen Vaters Pandolphe erfüllte Gregor Dalal in Spiel und Stimme sehr gelungen. Beim Duett mit Cendrillon, in dem beide beschliessen zu fliehen, gelangen ihm innige Kantilenen, sodaß dies Duett auch ein Höhepunkt des Abends war. Idealbesetzung in Spiel und Stimme für die überhebliche Stiefmutter Mme de la Haltière war Suzanne McLeod. Erwähnt seien das Menuett im I. Akt, wo sie ihren Töchtern Ratschläge für das Fest gibt, oder die Darstellung ihres Stammbaums im III. Akt. Auch das folgende schnelle Ensemble mit den Töchtern (Kristi Anna Isene und Christina Holzinger) gelang exakt Die vielen kleineren Partie waren passend besetzt, wobei Stefan Klemm als König mit mächtiger Baßstimme auffiel und die sechs Geister harmonisch den Gesang der Fee begleiteten.

Opernchor und Extrachor einstudiert von Inna Batyuk sangen mächtig in den Massenszenen, als unsichtbarer Chor verfügten sie im zweiten Teil des III. Aktes über geheimnisvolles ppp.

Für die fast immer reibungslose Übereinstimmung zwischen Bühne und Orchester sorgte umsichtig und überlegen die musikalische Leitung von Stefan Veselka. Besonders in den impressionistisch klingenden Feenmusiken, etwa in der ersten Szene des zweiten Teils des III. Aktes, konnte das Sinfonieorchester Münster sein musikalisches Können zeigen. Von den Solisten seien neben Streichersoli erwähnt die delikaten Klänge von Laute, Viola d’amore und Flöte als Musik für den melancholischen Prinzen. Ganz besonders zu bewundern war das Oboen-Solo zum Gesang von Cendrillon im IV. Akt

Zum Schluß der „Münster-Fassung“ sah man dann Prinz und Cendrillon allein wieder im Kino, zweifelhaft, ob es ein wirkliches oder wieder nur geträumtes Happy-End war

Das Publikum im trotz Kirchentag gut besuchten Theater applaudierte dem gesamten grossen Ensemble, besonders natürlich den drei Hauptpersonen, aber auch Vater Pandolphe, Mme de la Haltière und vor allem Orchester und Dirigenten.

Sigi Brockmann 9. Mai 2018

Fotos (c) Oliver Berg