Premiere: 26.01.2018, besuchte Vorstellung: 04.02.2018
Minimalistisch umgesetzt
Lieber Opernfreund-Freund,
„Die Letzte am Schafott“ heißt ein Film aus dem Jahr 1960 mit Pascale Audret und Jeanne Moreau, der die Geschichte der jungen Adeligen Blanche erzählt, die zur Zeit der französischen Revolution in einem Karmeliterinnenkloster ihren Ängsten zu entkommen sucht. Doch der Frieden hinter den Klostermauern ist trügerisch, denn die Revolution macht auch hier nicht halt. Enteignung und Auflösung der Klostergemeinschaft folgt ein Schauprozess, in dem die Ordensschwestern der Verschwörung angeklagt und zum Tode verurteilt werden – wenige Tage vor der Hinrichtung von Robespierre, mit dessen Tod die Terrorherrschaft im postrevolutionären Frankreich endlich zu ihrem Ende kam. Diese Geschehnisse sind historisch verbürgt, die Figur der Blanche von Gertrud von le Fort hinzu erfunden und 1931 in ihrer Novelle „Die Letzte am Schafott“ veröffentlicht. Schon mehrfach habe ich mich gefragt, ob dieser Titel dem Werk heutzutage mehr Zuspruch angedeihen lassen würde als die sperrigen „Gespräche der Karmeliterinnen“ der französischen Opernversion, denn das Drama hat bis heute nichts von seiner Spannung verloren und die so packende und klangschöne Musik von Francis Poulenc verdient mehr Zuhörer als sie beispielsweise gestern in Nordhausen zugegen waren, als „Dialoges des Carmélites“ in einer neuen Produktion des dortigen Theaters zu sehen war.
Für die Regisseurin Katharina Thoma geht es in dieser Oper gar nicht vordergründig um den Glauben, auch nicht um die Angst der weiblichen Hauptrolle. Vielmehr sucht jeder seinen Platz im Leben und Blanche glaubt, ihren im Kloster zu finden. Das allzu karge Bühnenbild von Sibylle Pfeiffer wird im Wesentlichen von metallenen Rahmen bestimmt, die Begrenzungen sind, aber auch dem Geschehen einen Rahmen geben: Mutter Marie wird zur Glaubensfanatikerin und ist von ihrer Idee des Märtyrertums geradezu besessen, die alte Priorin hadert im Moment des Todes mit dem Gott, dem sie ihr ganzes Leben geweiht hat, ihre Nachfolgerin, Madame Lidone, ist mit der neuen Mutterrolle überfordert, stellt sich ihr aber mutig und die junge Schwester Constance wird trotz des zur Schau gestellten Frohsinns von einer latenten Todessehnsucht geplagt. Thomas ausgefeilte Personenführung schafft Spannung, auch wenn das Licht oft allzu plakativ und grob erscheint. Die Regisseurin entscheidet sich, das musikalisch eindrucksvolle Finale als das darzustellen, was es ist: keine weißen Unterhemdchen, keine platzenden Blutbeutel, keine ausgeblasenen Kerzen und keiner herabfallenden Stoffbahnen, nein – die Nonnen gehen einzeln zur Guillotine und nach deren Fall verstummt eine Stimme im Chor. Das klingt brutal, ist es aber gar nicht – und so geraten das erzwungene Ablegen und später wieder Anlegen der Nonnentracht zu den eigentlichen szenischen Gänsehautmomenten. Poulencs Musik tut ein Übrigens, dass dieser Abend lange nachhallt – und natürlich der fast tadellos zu nennende Gesang.
Selbst Judith Christ, die sich wegen einer Bronchitis hat ansagen lassen müssen, stellt die alte Priorin dermaßen überzeugend dar, dass sich einem die Haare zu Berge stellen. Anja-Daniela Wagner zeigt als ihre Nachfolgerin viel Gefühl betört mit schwebenden Höhenpiani ebenso wie mit packender Stimmgewalt. Mutter Marie, von der Regie als Fanatikerin interpretiert, wird von Carolin Schumann mit vollem Mezzo dermaßen kalt gestaltet, dass es einen fast fröstelt und Leonor Amaral gibt die gut gelaunte Constance mit hinreißender Mimik, zarter Höhe und hörbar ansteckender Lebenslust. Während Manos Kia den Vater mit sonorem Bass ausstattet, gerät Kyounghan Seo mit seinem schlanken Tenor voll feiner Höhe und französischem Timbre nahezu zur Idealbesetzung von Blanches Bruder, dem Chevalier de la Force. Zinzi Frohwein gelingt als Blanche eine auf ganzer Linie überzeugende Charakterzeichnung dieser vielschichtigen Figur; eindrucksvolle Ausbrüche und fragile Zartheit wechseln sich ab, dazu spielt die junge Niederländerin noch umwerfend. Die Damen des Chors sind in einer Nonnenoper natürlich nahezu pausenlos im Einsatz, Markus Popp hat sie bestens auf den umfangreichen Part vorbereitet, aber auch die zahlreichen Chorsolisten machen ihre Sache gut. Farblos – wie schon in der Gelsenkirchener Produktion (wir berichteten) – bleibt erneut der Beichtvater des Karmel; kaum ist der Vorhang gefallen, weiß man schon gar nicht mehr, wie Marian Kalus geklungen hat.
Am Pult schwingt GMD Michael Helmrath das Zepter oder vielmehr den Taktstock. Überaus präzise führt er die Musikerinnen und Musiker des Loh-Orchesters Sondershausen durch Poulencs Werk, scheint sich aber in den klanggewaltigen Passagen besser zu gefallen als als bloßer zarter Begleiter. Das tut dem Gesamtgenuss keinen Abbruch und trotz der recht karg erscheinenden Szenerie können sich Musik und Werk voll entfalten – und ich kann Ihnen einen Besuch nur ans Herz legen, nicht nur wegen der umwerfenden Stimmen.
Jochen Rüth / 05.02.2018
Die Bilder stammen von Roland Obst.