Osnabrück: „Die Soldaten“

Vorstellung: 3. 2. 2015

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Am Theater Osnabrück steht zurzeit eine besondere Opernrarität auf dem Spielplan: „Soldaten“ von Manfred Gurlitt. Dieser Stoff nach der Erzählung von Jakob Michael Reinhard Lenz aus dem Jahr 1776 wurde in den letzten Jahren durch die Oper von Bernd Alois Zimmermann mit Aufführungen bei der Ruhrtriennale in Bochum und vor zwei Jahren bei den Salzburger Festspielen bekannt. Das Werk von Gurlitt, im Jahr 1930 in Düsseldorf uraufgeführt, geriet jedoch in Vergessenheit.

Manfred Gurlitt (1890 in Berlin geboren, 1972 in Tokio gestorben) studierte bei Humperdinck in Berlin und zählte bald zu den schillerndsten Künstlerpersönlichkeiten der Zwischenkriegszeit. Er wurde 1914 Operndirektor in Bremen und 1924 an der Berliner Staatsoper jüngster deutscher Generalmusikdirektor. Während seine ersten beiden Werke durch Bergs „Wozzeck“ und Zimmermanns „Soldaten“ bald in Vergessenheit gerieten, wurde seine dritte Oper „Nana“, die für Mannheim geplant war, von den Nationalsozialisten wegen der jüdischen Abstammung des Librettisten Max Brod abgesetzt. In der Hoffnung auf weitere künstlerische Tätigkeit trat Gurlitt in die NSDAP ein, doch wurde ihm die Mitgliedschaft 1937 aufgrund der jüdischen Abstammung seines Vaters Fritz Gurlitt aberkannt. Er emigrierte 1939 nach Japan, wo er Professor an der Kaiserlichen Akademie wurde und ein eigenes Opernunternehmen aufbaute. 1944 wurde er entlassen und kam als Ausländer bis Kriegsende in ein Evakuierungslager. Im Jahr 1957 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. 1969 wurde Gurlitt zum Professor an der Showa-Hochschule in Tokio ernannt. Insgesamt komponierte er acht Opern.

Die Handlung der Oper, deren Libretto der Komponist nach der Erzählung des Sturm-und-Drang-Dichters Lenz selbst verfasste, in Kurzfassung: Marie, die Braut des Tuchhändlers Stolzius, beginnt eine Affäre mit dem Offizier Desportes. Ihr Vater, der Kaufmann Wesener,

billigt diese Verbindung, da er hofft, dass seine Tochter dadurch den Eintritt in höhere Kreise schafft. Als Desportes Marie fallen lässt, interessiert sich bereits ein weiterer Soldat, der Offizier Mary, für sie – und er ist nicht der letzte seines Standes. Marie gerät in einen unheilvollen Reigen, der ihr schließlich den Ruf als Soldatenhure und einen sozialen Abstieg einbringt. – Sie gerät in die Hände von Desportes’ Jäger, der sie vergewaltigt. Danach lebt Marie auf der Straße, wo sie einen Mann anbettelt, den sie dann als ihren Vater erkennt. Er nimmt die Obdachlose auf und versöhnt sich mit ihr. Stolzius kennt nur noch ein Lebensziel: Rache für Marie!

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Jan Friedrich Eggers als Stolzius und Per-Håkan Precht als Desportes (Foto: Jörg Landsberg)

Florian Lutz verlegte die Handlung der Oper in die heutige Zeit und zeichnete ein Bild der jetzigen „Soldaten-Welt“, wobei er in seiner Inszenierung die Deutsche Bundeswehr und die Politik aufs Korn nahm. Die Oper wurde zur Karikatur! Denn der Regisseur ließ in den verschiedenen Szenen aus dem Leben der Soldaten kaum etwas aus: es wird gesoffen, gefoltert, gedemütigt, ein Sarg im Marschschritt von Soldaten über die Bühne getragen und noch vieles mehr. Die Crux dabei: die Figuren entstammten dem 20. und 21. Jahrhundert, die Texte spiegelten aber die Welt des 18. und 19. Jahrhunderts wieder, viele Wörter werden heutzutage nicht mehr verwendet (wie beispielsweise „itzt“ für „jetzt“) oder sind der französischen Sprache des Militärs des 18. Jahrhunderts entnommen, die vermutlich nicht einmal mehr die Offiziere der heutigen Zeit kennen. Und wer spricht seine Eltern noch per Sie an? Es passte nichts zusammen! Statt Briefen gab es übrigens SMS-Nachrichten auf Handys und E-Mails auf Laptops.

Die musikalisch wunderbaren, oft romantisch klingenden Zwischenspiele des Komponisten missbraucht der Regisseur für Filmeinspielungen (Videogestaltung: Konrad Kästner) von Einsätzen der Deutschen Bundeswehr in der Welt. Ein Kameramann (Sven Berling) durfte auch nicht fehlen. Er filmte nicht nur Marie beim Gesang, sondern auch Stolzius’ Mutter in Gestalt der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei diversen Auftritten beim Heer (beispielsweise bei einer Lehrstunde für Soldaten zum Thema „Wickeln von Säuglingen“). Dazu passte auch, dass der Offizier Desportes frappierend dem ehemaligen Minister Karl-Theodor zu Guttenberg glich.

Die Bühnen- und Kostümgestaltung für diese Inszenierung oblag Sebastian Hannak. Er nützte die Drehbühne für einen rasanten Ablauf des Geschehens und kam mit wenigen Requisiten aus (ein Sofa, ein Tisch mit zwei Stühlen und ein Coca-Cola-Automat, der nicht nur Dosen auswarf, sondern sogar Schmuck und Kleidungsstücke für die leichten Mädchen). An Ideen mangelte es dem Regieteam wirklich nicht.

Für die hervorragende Wiedergabe der expressiven Partitur, die oftmals auch romantisch-melodische Sequenzen hatte, sorgte das Osnabrücker Symphonieorchester unter der Leitung des jungen Dirigenten Andreas Hotz. Dass sie am Schluss der Vorstellung vom Publikum mehr Beifall als das Sängerensemble und sogar Bravorufe bekamen, überraschte nicht.

Mit einer exzellenten Leistung wartete die Sopranistin Susann Vent-Wunderlich auf, die als Marie schauspielerisch stark berührte und stimmlich alle Klippen ihrer Partie meisterte, wobei sie auch sehr wortdeutlich sang. Nicht weniger überzeugend agierte die australische Mezzosopranistin Joslyn Rechter in der Doppelrolle als Mutter von Stolzius und Gräfin de la Roche. Dazu kam noch ihre schauspielerische Leistung als Double der Ministerin Ursula von der Leyen. Köstlich!

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Joslyn Rechter als Double von Ursula von der Leyen, der „Mutter“ der Deutschen Wehrmacht (Foto: Jörg Landsberg)

Nicht weniger köstlich die witzige Darstellung des schwedischen Tenors Per-Håkan Precht als eiskalter Offizier Desportes in Gestalt von Karl-Theodor zu Guttenberg. Eindrucksvoll sowohl stimmlich wie schauspielerisch. Die weiteren Offiziere waren der Bariton Sungkon Kim als Haudy, der Tenor Silvio Heil als Rammler und der litauische Bassbariton Genadijus Bergorulko als in Marie verliebter Mary.

Mit tiefschwarzer Bassstimme und imposanter Erscheinung gab José Gallisa Maries Vater. Maries Mutter wurde von der Mezzosopranistin Almerija Delic ausdrucksstark gespielt und gesungen, Maries neidische Schwester von der australischen Sopranistin Erika Simons gegeben, die ihre Rolle sehr drastisch ausspielte.

Als tragische Figur spielte und sang der lyrische Bariton Jan Friedrich Eggers den Stolzius, als Muttersöhnchen arg überzeichnet agierte der Tenor Daniel Wagner als Sohn der Gräfin de la Roche. Den Jäger von Desportes gab der polnische Bass Tadeusz Jedras.

Am Ende der Vorstellung Kopfschütteln bei so manchem Besucher und ein paar abfällige Bemerkungen zur Regie. Für das Sängerensemble gab es vom Publikum starken Beifall, der sich für das Orchester und seinen Dirigenten mit Bravorufen mischte.

Udo Pacolt 5.2.15

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