Osnabrück: „Die Vögel“

Aufführung am 6.7.2014

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Am Theater Osnabrück, welches unter seinem Intendanten Ralf Waldschmidt schon seit längerem für einen unorthodoxen Spielplan und interessante Ausgrabungen steht, ging zuletzt die insbesondere nach der konzertanten Aufführung der „Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ bei den Salzburger Festspielen 2013 immer intensiver werdende Wiederbelebung des Werkes von Walter Braunfels weiter. Mit „Die Vögel“ setzt das Theater Osnabrück seine Beschäftigung mit zu Unrecht vergessenen Werken der 1920er Jahre fort. Braunfels’ im Jahre 1920 unter Bruno Walter an der Münchner Oper uraufgeführtes Werk, das der Komponist als „Lyrisch-phantastisches Spiel in zwei Aufzügen“ bezeichnete, mit einem Libretto vom ihm selbst, welches auf Aristophanes’ Komödie aus dem Jahre 414 v. Chr. zurückgeht, bedarf allerdings keiner Ausgrabung. Es wurde damals enthusiastisch gefeiert und erlebte in nur zwei Jahren über 50 Folgeaufführungen. Viele Wiener Opernfreunde erinnern sich an die erfolgreiche Inszenierung der „Vögel“ vor vielen Jahren an der Volksoper. Vielfach werden „Die Vögel“ als das Hauptwerk Braunfels’ bezeichnet, was aber der Bedeutung anderer ebenfalls in den letzten Jahren an deutschen Opernhäusern wieder aufgeführten Werke nicht ganz gerecht wird, so die spektakuläre Inszenierung von Christoph Schlingensief der „Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ an der Deutschen Oper Berlin, die konzertante „Verkündigung“ am Münchner Prinzregententheater, szenisch auch in Kaiserslautern, die erst vor kurzem in Bonn aufgeführte Oper „Der Traum ein Leben“ wie auch „Ulenspiegel“ in Gera vor einigen Jahren, sowie die immer noch ihrer Wiederentdeckung harrende Oper „Don Gil von den grünen Hosen“. „Ulenspiegel“ wird ab dem 10. September beim Brucknerfestival Linz 2014 in einer Neuinszenierung von Georg Schmiedleitner viermal zu sehen sein.

„Die Vögel“ handeln von zwei Menschen, Ratefreund und Hoffegut, die nach ihren Enttäuschungen in der Menschenwelt beschließen, in das Reich der Vögel aufzusteigen. Doch auch die Vögel, obwohl es zuerst nicht den Anschein hat, treiben Politik und sind von Neid und Geltungssucht geplagt, nicht zuletzt aber auch dafür empfänglich durch die Ratschläge Ratefreunds. Für einen Moment aber wird die Utopie einer anderen, mit dem Wesen der Vögel generell in Verbindung gebrachten freien und heiteren Welt Wirklichkeit, als Hoffegut den Kuss der Nachtigall empfängt. Am Ende warnt der den Zorn des Gottes Zeus bedrohlich anmahnende Prometheus vor einem Fortgang des unseligen Treibens der Vögel, die sich dazu nur noch überheblicher und größenwahnsinniger zeigen als zuvor: Sie rufen zum Krieg gegen die Götter auf, und ihre Stadt wird von einem ungeheuren Gewitter zerstört. Am Ende steht ein Bitt- und Lobgesang der Vögel zu Ehren des Gottes. Das Stück endet dennoch wieder so komödiantisch wie es begann – ein Beweis für Braunfels’ Moderne schon zu jener Zeit.

Ähnlich wie sein „Der Traum ein Leben“, der unter großen Nöten in der Nazizeit entstand, enthalten auch „Die Vögel“ in hohem Maße autobiografische Elemente. Walter Braunfels komponierte das Stück zwischen 1913 und 1917, UA 1920 – die Entstehungszeit umfasste also den gesamten I. Weltkrieg. Dieser brachte für Braunfels nicht zuletzt durch seine Verwundung im Jahre 1917 traumatische Erlebnisse mit sich und ließ ihn daraufhin vom Protestantismus zum Katholizismus konvertieren. Ratefreund und Hoffegut wollen der Schlechtigkeit ihrer Umgebung entfliehen in eine vermeintlich bessere Welt, die Welt der Vögel. Nicht zuletzt aufgrund ihrer eigenen Unfähigkeit, ihre stellvertretend für das Verhalten vieler anderer stehenden Eigenschaften – die wie sie schuldig an der gesellschaftlichen Misere sind, der sie entfliehen wollen – zu ändern, bleibt auch die Welt der Vögel, die hier wie eine Metapher zu sehen ist, Utopie. Gleichzeitig stellt aber diese Zeit auch einen Umbruch in der Musikgeschichte dar. Wie der Osnabrücker GMD Andreas Hotz in einem Interview mit dem Dramaturgen Alexander Wunderlich im „Theaterjournal“ feststellt, steht die Spätromantik in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts an ihrem Ende und sieht die kompositorischen Mittel im Rahmen des traditionellen Regelwerks als ausgeschöpft. Als Alternative bleibt der totale Neubeginn mit neuen Musiksprachen wie der Zwölftonmusik, das Festhalten an der noch „intakten“ Klangwelt der wilhelminischen Epoche, oder der progressive Umgang mit dem ernüchternden Gefühl, in dem sich das zerstörte Deutschland am Anfang der 1920er Jahre befindet. Dieser dritten Richtung ist Walter Braunfels mit seiner Oper „Die Vögel“ wohl zuzurechnen.

Die südkoreanische Regisseurin Yona Kim hat diese Thematik in den Bühnenbildern von Evi Wiedemann und mit den überaus phantasievollen Kostümen vor allem der Vögel von Hugo Holger Schneider mit einem hochinteressanten und gelungenen Regiekonzept eindrucksvoll und sinnhaft eingefangen. Sie geht von der Faszination aus, die in der Suche Ratefreunds und Hoffeguts nach einem alternativen Lebensentwurf liegt, sozusagen ein „Motiv der Weltflucht“ und stellt auf die während des I. Weltkriegs in Zeiten großer Unsicherheiten vorhandene Sehnsucht nach einem anderen Leben ab, sowie auf den damit verbundenen Zug ins Private. Dazu sieht der Dramaturg völlig nachvollziehbar auch eine Parallele zur aktuellen Situation in Europa angesichts der Ukraine- und anderer Krisen in der Welt. Mit der Inszenierung versucht das Regieteam angesichts des Scheiterns eines solchen Unterfangens gar nicht erst ein konfliktfreies Naturidyll zu zeigen, sondern man landet direkt wieder in der Zivilisation. Denn der erste Vogel, den die beiden Freunde treffen, Wiedehopf, war selbst einst ein Mensch. Auch der zu jener Zeit sich entwickelnde Jungenstil, mit dem die Menschen im Sinne eines sich zurecht Träumens exotische Ornamentik und Naturmotive in Tapeten und Möbeln in die eigenen vier Wänden holten, passt in diese Thematik, denn auf diese Weise wollte man etwas der traurigen Realität entkommen.

So bildet der Jugendstil die phantasievolle und schillernde Bühnenbild-Ästhetik im 1. Akt der Osnabrücker „Vögel“. Ein absoluter Höhepunkt ist hier der Gesang der Nachtigall von Marie-Christine Haase und ihr Kuss für Hoffegut, der von Alexander Spemann gesungen wird. Hier kommt für einen Moment die ganze Utopie einer besseren Welt in der vielfältigen Symbolik der Bühnenoptik und der intensiven Darstellung beider Protagonisten auf. Dass es Utopie bleiben muss, ist auch an dem goldenen Käfig zu sehen, in dem die Nachtigal immer wieder auftritt. In der großen spätromantischen Musik, die Braunfels nicht nur für diese Szene, sondern auch andere Teile insbesondere des 1. Akts geschrieben hat, kommen Erinnerungen an Richard Wagner, insbesondere an „Tristan und Isolde“ auf. Bestechend die Instrumentierung und der Seelenbezug, der hier in der Musik zum Ausdruck kommt. Lyrik und Dramatik wechseln häufig und werden immer wieder durch einen Konversationsstil abgelöst, der die Handlung befördert. Die Anforderungen an die Nachtigall gehen in Richtung dramatischer Koloratursopran, und Marie-Christine Haase füllt sie eindrucksvoll aus, mit blendenden Spitzentönen und vielen stimmlichen Facetten in der Mittellage. Alexander Spemann als Gast singt den verliebten Hoffegut mit heldentenoralem Aplomb, der für diese Rolle auch erforderlich ist, bei bester Diktion und Phrasierung. Der stets politisch intrigierende Ratefreund findet in Heikki Kilpeläinen als Gast einen mit einem prägnanten und ebenfalls höhensicheren Bariton ausgestatteten Sänger, der in seinen Überredungskünsten der Vögel große schauspielerische Intensität an den Tag legte. Am Ende wird er sich wieder an seinen warmen Ofen zurückziehen, als wenn nichts gewesen wäre…

Zuvor war es aber sowohl optisch wie dramaturgisch mit nun wilhelminischen Uniformen, Pickelhauben und striktem Komisston zu einer martialischen Veränderung in Vogelheim gekommen. Nun ist auch ihr Leben vom preußischen Regelwerk bestimmt, es gibt Drohungen und Strafen für (vermeintliches oder tatsächliches) Fehlverhalten. Eindrucksvoll hat Yona Kim diesen zweiten Teil mit einer sehr guten Personenregie gestaltet, so dass der hochdramatische Auftritt des Prometheus nach Vorankündigung durch den Adler (mit gutem Bass Genadijus Bergorulko) unausweichlich erscheint. Johannes Schwärsky als Gast, in Münster bereits mit den Weihen des Fliegenden Holländers ausgestattet und auch ansonsten recht Wagner-verdächtig, setzt mit dem Prometheus eine unter die Haut gehende Zäsur in Vogelheim, sowohl stimmlich als auch darstellerisch, auch wenn er selbst als von seinem mythischen Schicksal Geschundener gezeigt wird. Eine ganz große Stimme und Talent! In diesem Teil schlägt auch die Stunde von Daniel Moon als Wiedehopf, der mit seinem stimmstarken, nicht immer ganz klangvollen Bariton und großer Autorität den Führer der Vögel gibt, bis er angesichts seines Versagens Selbstmord verübt. Ferner seien erwähnt die mit sicheren Koloraturen aufwartende Susann Vent als Zaunschlüpfer, Almerija Delic als Drossel und Tadeusz Jedars als Rabe. Der Chor und Extrachor des Theaters Osnabrück in der Einstudierung von Markus Lafleur zeigte sich den großen Herausforderungen, die die Partitur an die Chorszenen stellt, bestens gewachsen und agiert stimmstark und transparent.

Andreas Hotz wusste am Pult des Osnabrücker Symphonieorchester s die facettenreiche und oft spätromantisch schillernde Musik von Walter Braunfels auf das Beste zum Leuchten zu bringen. Es herrschte stets große Übereinstimmung zwischen den Bildern, Sängern und dem Graben, sodass diese Produktion wie aus einem Guss erschien. Der relativ große Orchesterapparat deckte nie die Sänger zu, Hotz achtete auf eine gute Balance und kostete die musikalisch herausragenden Momente, wie die flirrend leichten Streicher schon im Vorspiel oder die spätromantische Farben im Vorspiel zur 2. Szene sowie andere Momente mit großer Differenzierung aus. Aber auch die musikalische Dramatik des Zeusschen Gewitters, dramatisch untermalt von Videosequenzen aus dem I. Weltkrieg, wusste Hotz eindrucksvoll zu interpretieren. Die Musik von Walter Braunfels in dieser Oper ist besonders glutvoll und melodisch, wohl einer der Gründe, warum die „Vögel“ bis heute zu seinen beliebtesten Werken zählen.

Klaus Billand 31.8.14