Osnabrück: „Die Vögel“

Premiere am 21.06.14 – besuchte Derniere am 11. Juli 2014

Romantik und Grössenwahn

Erfolgreicher Opernkomponist bis 1933, aber damals schon von der musikalischen Avantgarde als altmodisch spätromantisch belächelt, ab 1933 als Musik eines Juden verboten, nach dem Krieg als veraltet vergessen, das ist das Schicksal von etwa Franz Schreker, Wolfgang Korngold oder des katholisch gewordenen„Halbjuden“ Walter Braunfels. Häufig verdanken wir es mittelgrossen Opernhäusern, deren Werke wieder zu entdecken. So wagte sich das Theater Osnabrück jetzt an das „lyrisch-fantastische Spiel“ in zwei Aufzügen „Die Vögel“ von Walter Braunfels auf ein eigenes Libretto, vor allem im ersten Teil inhaltlich angelehnt an die gleichnamigen Komödie des Aristophanes.

Enttäuscht von Kunst und Liebe bei den Menschen suchen der demagogische Politiker Ratefreund und der idealistische Schwärmer Hoffegut (nomina sunt omina) erfüllteres Leben bei den Vögeln. Ratefreund überzeugt die Vögel unter ihrem König Wiedehopf (früher auch ein Mensch), eine Stadt zu bauen, dadurch auf den Transport der Opfergaben von den Menschen zu den Göttern Zoll zu erheben und so beide zu beherrschen. Hoffegut erlebt traumhaft-naturnahe Liebe mit der Nachtigall. Prometheus als einer, dessen Übermut früher durch Zeus bestraft wurde, warnt die Vögel vor dessen Rache. Zur Strafe für Hybris und Kriegsbegeisterung läßt Zeus die Stadt zerstören. Besiegt preisen ihn dann alle ebenso hymnisch. Wie jeder gute Politiker verläßt Ratefreund die Stätte der von ihm verursachten Zerstörung und geht zurück nach Hause zur Gemütlichkeit hinterm warmen Ofen. Hoffegut bleibt der Traum von der Liebe zur Nachtigall.

Inhaltlich paßt das Werk in die Zeit kurz nach dem ersten Weltkrieg (komponiert 1913-1919 UA 1920). Das machte die Inszenierung von Yona Kim dadurch deutlich, daß sie das Stück zu eben dieser Zeit spielen ließ. Im ersten Akt folgte sie der einem Singspiel mit humoristischen Einschüben ähnlichen Handlung und man bewunderte die phantasievollen bunten für jedes Chormitglied anderen Vogel-Kostüme von Hugo Holger Schneider. Im ersten Teil des zweiten Aktes ließ sie die Nachtigall in Anlehnung an die Sage von Prokte – erwähnt in den Metamorphosen des Ovid – als Mutter jetzt ohne Kopfschmuck das Schicksal des verlorenen Sohnes Itys beklagen. Im folgenden Traum von Hoffegut deutete sie dann eine Verbindung zum Schicksal der unglücklichen Mutter in Hans Castorps Traum aus Thomas Manns „Zauberberg“ an – für Teile des Publikums,die das Programmheft nicht gelesen hatten, offenbar zu viel der Andeutungen. Trotzdem fand das hier als Text vertonte Gedicht „Die Nacht“ von Joseph von Eichendorff eine Entsprechung auf der Bühne, dafür sorgte die Projektion von Caspar David Friedrichs Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ (Bühne Evi Wiedemann und Margrit Flagner) Daß die Naturbegeisterung des Jugendstils artifizieller Art war, wurde dadurch deutlich, daß die Nachtigall immer wieder in einem goldenen Käfig auftrat. Im zweiten Teil des zweiten Aktes wurde sehr gekonnt vor allem durch prachtvolle Uniformen und natürlich Pickelhauben das elitäre und bürokratische Gebaren des Wilhelminischen Deutschland persifliert.. Ohne Videos geht es nicht und so wurden Krieg und Niederlage der Vögel zur gewaltigen Musik passend durch Filmsequenzen von Luftkämpfen des I. Weltkriegs bis hin zum Ende mit Soldatenfriedhof begleitet. Zum Schluß machte Ratefreund wie gewohnt weiter, jetzt in Bierzeltstimmung, mit Braunhemden und statt der Vögel mit B londen D eutschen Mädels, passend zu kommendem Unheil.

Diese packende Inszenierung wurde fast noch übertroffen vom musikalischen Niveau der Aufführung. Alle erdenklichen sängerischen Schwierigkeiten für einen „hohen Sopran“ wie Triller, riesige Intervallsprünge, chromatische Tonleitern abwärts zu singen, spitze Staccati, lange Legato-Bögen in hoher Lage, auch nur als Vokalisen, dies alles erfordert die Partie der Nachtigall. Als Star des Abends meisterte Marie-Christine Haase diese Anforderungen grandios und verfügte zudem über die Stimmkraft, ohne Schärfe sich gegen Chor und Orchester zu behaupten – eine bewundernswerte Leistung des Osnabrücker Ensemblemitglieds. In der Partie ihres Partners Hoffegut glänzte mit heldentenoraler Attacke bis zu genau getroffenen Spitzentönen und weitgehend textverständlich Alexander Spemann als Gast. Auch als Gast sang Heikki Kilpeläinen die für einen Bariton hochliegende Partie des Ratefreund treffsicher, auch im schnellen Parlando verständlich und sogar stimmlich beweglich in Koloraturen. Er spielte geschickt den jeder Situation sich anpassenden Demagogen. Von ihm zum Grössenwahn verführt überzeugte mit kräftigem Bariton Daniel Moon als König Wiedehopf. Als er in Erkenntnis der Schuld am Untergang seines Volkes Selbstmord beging, war er der einzige, mit dem man Mitleid haben konnte. Münsteraner Opernfreunden noch u.a. als „Holländer“ in bester Erinnerung gestaltete Johannes Schwärsky den Prometheus mit grosser für einen Bariton tiefensicherer Stimme. Nicht nur musikalisch erinnert die Partie an Amfortas, wohl auch beabsichtigt einmal textlich (Er käme „von viel weiter auch als ihr denken könnt“). Auch alle anderen Partien waren stimm- und rollendeckend passend besetzt, erwähnt seien der koloraturensichere kokette Zaunschlüpfer von Susann Vent und der Baß Genadijus Bergorulko in der undankbaren Rolle des vergeblich warnenden Adlers.

Stimmgewaltig in der hymnischen Kriegseuphorie, durchweg exakt im schnellen Parlando und piano als Stimmen der Blumendüfte erfreuten Chor und Extrachor in der Einstudierung von Markus Lafleur.

Dies alles konnte nur so gelingen, weil GMD Andreas Hotz umsichtig und mit ganz grossem Gespür für die verschiedenen musikalischen Stilrichtungen zwischen Wagnerschem Gefühlsüberschwang,und witziger Spielbegleitung das musikalische Geschehen leitete. Ganz wunderbar gelangen dem Osnabrücker Symphonieorchester und ihm die impressionistische Nachtszene zu Beginn des zweiten Aktes, die ein musikalischer Höhepunkt des Abends war. Trotz der grossen Besetzung wurden die Sänger nie zugedeckt. Durchhörbar vernahm man auch die vielen Soli einzelner Instrumente so etwa der Flöte als Begleitung der Nachtigall.

Als letztere jetzt mit blonden Zöpfen den Abend mit der Vokalise vom Beginn beendete und die Musik pp ausklang, gab es nach einer kurzen Besinnungspause im ausverkauften Theater langen Beifall mit vielen Bravos für die Hauptdarsteller, das Orchester und vor allem den Dirigenten als verdienten Dank für diesen großartigen Opernabend. Dieser wird leider nicht wiederaufgenommen .Es folgen aber aus derselben Epoche die „Soldaten“ nicht von Zimmermann sondern von Manfred Gurlitt (Premiere 17.01.2015

Sigi Brockmann 13. Juli 2014

Fotos Jörg Landsberg