Osnabrück: „Lucia di Lammermoor“

Besuchte Vorstellung: 25.01.2022 (Premiere: 22.01.2022)

Düstere Wasserspiele in Osnabrück

Lieber Opernfreund-Freund,

eine musikalisch grandiose Lucia di Lammermoor ist derzeit in Osnabrück zu erleben. Sophia Theodorides präsentiert dem Osnabrücker Publikum dabei eine intensive Interpretation der Titelfigur auf Weltklasseniveau, doch die düstere Lesart von Sam Brown überzeugt nicht ganz.

Bei Sam Brown ist alles schwarz. Mäntel, Stühle, Haare, Kostüme, Schuhe – ohne die ausgefeilte Lichtregie wäre gar nichts von den Kostümen von Sarah Mittenbühler zu erkennen. Wäre da nicht sie, Lucia, die Lichtgestalt, blond und weiß gekleidet – zumindest, bis sie zur Mörderin und verrückt geworden ist, strahlend und Mittelpunkt von allem. Kein schlechter Ansatz, möchte man meinen, der zusammen mit den Videos von Per Rydnert nicht nur Stimmungen erzeugt, sondern die dunklen Abgründe, die Seelenzustände der Protagonisten zeigt. Doch wann ist wer auf die Idee gekommen, ein ungefähr 4 mal 15 Meter großes Wasserbassin auf die Bühne von Bengt Gomér zu stellen und alle permanent darin herumplantschen, umherwaten und sich ins Nass niedersinken zu lassen. Und vor allem: warum? Die Antwort bleibt der Regisseur schuldig, so bleibt das Ding über weite Strecken so sinnlos wie überflüssig. Verstehen Sie mich nicht falsch, lieber Opernfreund-Freund, es sind mitunter stimmungsvolle Bilder, die Sam Brown da gelingen, gerade die Wahnsinnsszene macht Gänsehaut; das hätte sie aber wohl auch ohne das Element Wasser, ohne die zusehends enervierende akustische Beeinträchtigung und das allgegenwärtige Plitschplatsch. Das ist so schade, weil doch sonst alles so schön klingt am gestrigen Abend.

Und da ist vor allem wieder sie, Lucia, die Lichtgestalt, die in Sophia Theodorodes eine temperamentvolle Interpretin findet, aus der scheinbar mühelos halsbrecherische Koloraturen strömen und die höchste Höhen zeigt. Dabei spielt sie hervorragend die zutiefst verzweifelte Frau, legt deren Innenleben offen und berührt durch ihr intensives Spiel ebenso wie durch ihren betörenden Gesang. Auch Oreste Cosimo als Edgardo bleibt nichts schuldig, trumpft mit kraftstrotzendem Tenor ebenso auf wie mit vollem Körpereinsatz und ist optisch wie akustisch purer Genuss – auch wenn ihn Sam Brown die komplette zweite Hälfte des Abends lang die Urne mit der Asche seines Vaters über die Bühne tragen und am Ende, wen wunderts, ins Bassin kippen lässt. Rys Jenkins gibt voller Inbrunst und raumgreifendem Bariton Lord Ashton, den despotischen Bruder Lucias, Erik Rousi steigert sich als Raimondo bis zur letzten Szene stetig hin zu einem ebenso überzeugenden Rollenprofil. James Edgar Knights Stimme ist reichlich nachgedunkelt, seit ich sie vor Jahren in Karlsruhe zuletzt gehört habe, hat zudem enorm an Volumen zugelegt. So gelingt dem Neuensemblemitglied ein durchweg überzeugender Arturo, während der satte, expressive Mezzo von Olga Privalova für die Alisa schlicht eine Luxusbesetzung ist.

Der Chor wirkt zu Beginn noch wenig uneins. Das liegt zum einen an der teils wirren Personenführung in den Ensembleszenen, teils an unsauberen Einsätzen. Nach der Pause hingegen glänzen die von Sierd Quarré betreuten Sängerinnen und Sänger mit wohlabgestimmten Schöngesang und wirken auch in der Szene in jedem Wortsinn besser aufgestellt. Im Graben gefallen Daniel Inbal vor allem die düsteren, schweren Seiten der Partitur. Dabei bleibt bisweilen eine gewisse Leichtigkeit auf der Strecke, die Donizetti in einzelnen Szenen durchaus vorgesehen hat. Das aber ist Jammern auf hohem Niveau. Inbal erweist sich erneut als einfühlsamer, dem Sängerpersonal ergebener Dirigent.

Das FFP2-bemaskte Publikum (ich hatte mir auf den letzten Drücker noch schnell eine aus der Apotheke um die Ecke besorgt – ein Hoch auf den Föderalismus, auch im Kulturbereich) ist am Ende der Aufführung zu Recht aus dem Häuschen, applaudiert begeistert und schier endlos. Ich kann das völlig nachvollziehen, ist doch der Abend musikalisch Belcanto vom Allerfeinsten mit Sophia Theodorides als exzeptioneller Interpretin der Titelfigur. Hoffentlich bleiben ihr nach dem dreistündigen Bad Stimme und Gesundheit erhalten.

Ihr
Jochen Rüth

26.01.2022

Die Fotos stammen von Stephan Glagla.