Premiere: 19.01.2019, besuchte Vorstellung: 08.02.2019
Regieauftrag: Bebilderung
Lieber Opernfreund-Freund,
seit ein paar Wochen ist am Theater Osnabrück Puccinis Opernkrimi Tosca zu erleben. Was sich szenisch eher im Belanglosen verliert, wird nicht zuletzt dank einer souverän auftrumpfenden Titelheldin zum Genuss.
Sicher muss man das Rad nicht immer neu erfinden und vielleicht hat man Scarpias Schergen auch schon irgendwie zu oft in Gestapo-Mänteln oder in der Uniform eines mehr oder minder realen Terrorstaates heutiger Tage gesehen. Wenn man aber einer Aktualisierung nichts anderes abgewinnt als nichts sagende Symbolismen und die heutige Mode, dann kann man Tosca auch gleich ins rote Samtkleid stecken, Cavaradossi mit Plastron und den Polizeichef mit gepuderter Perücke ausstatten. Mascha Pörzgens Ideen zu einer Aktualisierung des Werkes jedenfalls erschöpfen sich in halbgaren Ansätzen. Symbole wie die Körperteile als Wandschmuck, denen keinerlei Bedeutung zukommt, bleiben ebenso überflüssig wie die als Druidenpriesterinnen daherkommenden Jungfrauen, die dem Klerus zum Te Deum die Maschinenpistolen zur Waffenweihe entgegenstrecken. Staat und Kirche scheinen nicht getrennt in diesem Rom, darauf deuten die Polizeiuniformen hin, deren Muster sich in den Messgewändern wiederfindet; doch auch dieser Geistesblitz wird nicht mit Substanz unterfüttert und bleibt Kulisse. Zwar überzeugt die durchaus spannende Personenführung Pörzgens – gerade, wenn nur zwei Handelnde auf der Bühne sind, jedoch wirken Toscas Versuche, den toten Scarpia noch schöner unter die lebensgroße Pferdeleuchte zu drapieren, ebenso grotesk wie die roten Papstschühchen, die Scarpia im zweiten Akt tragen darf. Kostüme und Bühne werden von Frank Fellmann verantwortet, dessen Arbeit dann am stärksten ist, wenn er das macht, was er in dieser Inszenierung wohl machen soll, nämlich eine Bebilderung zu kreieren – so dass der in allen Facetten erstrahlende Petersdom im Hintergrund zum szenischen Höhepunkt gerät.
Dass es nicht gänzlich langweilig wird, dafür sorgt das glänzend disponierte Ensemble. Allen voran lässt die Tosca von Lina Liu keine Wünsche offen. Die Chinesin ist stimmlich und darstellerisch ebenso überzeugend die kokettierende Geliebte, wie sie im zweiten Akt die Kämpferin gibt, die sich ihre Angst nicht anmerken lassen will. Ihr klangschöner, facettenreicher Sopran strahlt in den glühendsten Farben, dass selbst das ansonsten mit Szenenapplaus generell außerordentlich sparsame Osnabrücker Publikum den Musikfluss nach ihrem zu Herzen gehenden Vissi d’arte unterbricht. Der Brasilianer Ricardo Tamura ist als Gast nach Osnabrück zurückgekehrt, wo er bis 2007 im Ensemble war. Seither hat er an vielen großen Bühnen, unter anderem immer wieder an der MET gesungen und man merkt ihm die Routine bei der Gestaltung des Cavaradossi auch ein wenig an. Stimmlich perfekt gestaltet er den Maler, brilliert mit bombensicherer Höhe, die er immer wieder in ein vollendetes Messa di Voce abgleiten lässt. Rhys Jenkins legt den Scarpia vergleichsweise zahm an. Den skrupellosen und brutalen Machtmenschen nimmt man ihm auch im zweiten Akt kaum ab, als er zumindest stimmlich im Vergleich zum Beginn ordentlich zulegt und einen kräftigen, dabei aber immer kultivierten Bariton präsentiert. Da verfügt José Gallisa gestern über wesentlich mehr Durchschlagskraft und es ist vielleicht das erste Mal, dass ich bedaure, dass die Figur des Angelotti nicht mehr zu singen hat. Genadijus Bergorulko habe ich in Osnabrück bisher als vorzüglichen und wandlungsfähigen Komödianten kennen gelernt, deshalb hatte ich mich sehr auf seinen Mesner gefreut. Gestern aber bleibt der aus Litauen stammende Sänger diesbezüglich hinter den Erwartungen zurück. Yohan Kims Spoletta ist hingegen stimmlich und darstellerisch ausgezeichnet ausbalanciert und Daniel Krämer gibt mit seinem Knabensopran einen herzigen Hirtenjungen ab.
Im Graben gibt Daniel Inbal eine wuchtige Interpretation des Puccini-Klassikers, wählt mitunter recht getragene Tempi und verleiht so auch den musikalisch weniger imposanten Momenten viel Gewicht und enormen Puccini’schen Schmelz. Der von Sierd Quarré betreute Chor trumpft zum Finale des ersten Aktes ordentlich auf und überzeugt mit stimmlichem Bombast. So gelingt die musikalische Seite viel überzeugender als die szenische – aber eine Tosca ist ja auch eine Tosca ist eine Tosca…
Das Publikum im voll besetzten Haus applaudiert entsprechend und feiert vor allem Lina Liu, die als Tosca gestern auf ganzer Linie hat abräumen können.
Ihr Jochen Rüth 09.02.2019
Die Fotos stammen von Jörg Landsberg.