als virtuelle Produktion des Theaters Osnabrück
Online-Premiere: 20.02.2021
Zusammen einsam
Lieber Opernfreund-Freund,
wir haben alle mehr oder weniger unter den Maßnahmen des Lockdown zu leiden. Doch wenn Friseure, Textileinzelhändler und Restaurants bei einer Anpassung der Verordnung binnen Tagen reagieren, die Läden wieder öffnen und die Öfen wieder anheizen können, sieht das im Theaterbetrieb anders aus. Produktionen brauchen hier wochen- oft monatelange Zeit zum Planen, Konzeptionieren, Schneidern und Proben, ehe sie aufführungsreif auf eine Opernbühne gebracht werden können. Deshalb wurde die vom Theater Osnabrück für den 21. Januar geplante Neuproduktion von Leonard Bernsteins Einakter Trouble in Tahiti nicht gestrichen, sondern ins Internet verlegt. Dort ist – gegen Gebühr – eine vorproduzierte Version der Produktion abrufbar und die habe ich mir gerne bei erster Gelegenheit am vergangenen Samstag für Sie angesehen.
Leonard Bernsteins Trouble in Tahiti aus dem Jahr 1952 erzählt von Dinah und Sam, deren Ehe sich totgelaufen hat, auch wenn sich beide nach Geborgenheit sehnen. Sie haben einander nichts mehr zu sagen, leben nebeneinander her, streiten, wann immer sie sich miteinander beschäftigen, und finden ihr kleines Stückchen Glück nur, wenn sie sich in ihre jeweiligen Idealwelten zurück ziehen. Sam findet es als mehr oder weniger erfolgreicher Geschäftsmann, Dinah sieht sich am liebsten Hollywoodschnulzen an und flüchtet sich dabei in eine Traumwelt. Als beide die Schulaufführung des gemeinsamen Sohnes versäumen, weil sie auch dafür zu beschäftigt mit sich selbst sind, besprechen sie den Vorfall keineswegs, sondern gehen zusammen ins Kino, um sich den neuesten Schmachtfetzen anzusehen, der Trouble in Tahiti heißt und der rund 50minütigen Oper ihren Namen gibt.
In Osnabrück sind dem kurzen Einakter insgesamt knapp 15 Minuten aus Bernsteins Arias and Barcarolles als Prolog vorangestellt, die in einer ersten Version 1988 uraufgeführt wurden. Sie erzählen in diesem Kontext die glücklichen Anfänge der Beziehung zwischen Dinah und Sam, die Geburt des Kindes, aber auch, wie sich allmählich der Alltag und das Schweigen in die Ehe der beiden schleicht. Das Orchester hat der junge Regisseur Guillermo Amaya hinter eine Gaze hinter der Szene gestellt, so bekommt das ohnehin schon reichlich verjazzte Werk einen zusätzlichen Swing-Konzert-Touch. Dem hat Amaya aber auch inszenatorisch wenig entgegen zu setzen; dies mag zum einen den coronabedingten Abstandsregeln, die auch auf der Bühne einzuhalten sind, geschuldet sein – mit mehreren Metern Abstand ist Interaktion nicht einfach. Auf der anderen Seite zeigt er so das Erstarren in der eigenen Welt, das Nichtherauskönnen aus der eigenen Haut und damit die verfahrene Beziehung, in der die beiden Eheleute stecken; mir nimmt Amaya aber den Ansatz „Zwei Menschen, zwei Monologe“ über weite Strecken dann doch zu wörtlich. Dabei weiß der gebürtige Spanier durchaus, in Szene zu setzen; zumindest tut er dies vorzüglich, wenn es um die spärlich eingesetzten, symbolträchtigen Requisiten geht, die Jörg Zysik auf der unterteilten Osnabrücker Bühne platziert hat. Der Umgang mit Dinahs Brautschleier (Kostüme: Nathalie Himpel) oder das wiederholte Einblenden eines Kindermobiles verschaffen Gänsehaut. Und rechtzeitig, bevor der Zuschauer vor dem Laptop sich aktionsreicheren Dingen als dem Video zuwendet, rettet der lebendige Schnitt von Maria Rabanus die Szene – oder ein kurzer Auftritt des Jazztrios, das eine Mischung zwischen Erzählerrolle und Sparringspartner einnimmt.
Musikalisch kommt dieser Bernstein wie eine Mischung aus Filmmusik und Musical daher. Die eingängigen Melodien erweckt An-Hoon Song beschwingt und übersprudelnd zum Leben, findet da und dort die nötige Zurückhaltung, um dem Sängerpersonal Raum zu lassen und verleiht seiner präzisen Interpretation den nostalgischen Glanz der 1950er Jahre. Das bereits erwähnte Jazztrio besteht aus Erika Simons, Mario Lee und Mark Hamman, erinnert mich irgendwie an Manhattan Transfer und ist trotz der räumlichen Trennung so perfekt aufeinander abgestimmt, dass man sie von den Brettern am Domhof in Osnabrück direkt auf eine Bühne in Las Vegas stellen könnte. Da macht das Zusehen und -hören ebenso viel Freude, wie bei Jan Friedrich Eggers, dem der dandyhafte Stil des Sam sehr liegt und der Gefühl vermittelt ohne weichzuspülen und als überforderter Geschäftsmann fast so energisch auftreten kann, wie im Streit mit seiner Frau. Die findet in Susann Vent-Wunderlich eine ideale Interpretin, die Zartheit und Emotion mit größter Spielleidenschaft paart, die mich mit schwebenden, zu Herzen gehenden Tönen packt und einmal mehr zeigt, was für eine wandelbare Künstlerin sie ist.
Und wie erging es mir auf der anderen Seite des Bildschirms? Es ist schön und aller Ehren wert, wenn Theater in diesen besonderen Zeiten nach besonderen Lösungen suchen; aber ich hatte das Gefühl, eine DVD anzuschauen, kann vor- oder zurückspulen, die Aufführung anhalten, wann immer es mir passt. Mir fehlt die Abgeschiedenheit des Zuschauerraums, auch wenn es durchaus etwas für sich hat, einer Aufführung mit einem Glas Wein in der Hand und ein wenig Knabberei zu folgen. Und mir fehlte das konzentrierte Zusehen und Zuhören, zu der mich ein Theaterbesuch verpflichtet. Und dennoch habe ich mich sehr auf den Abend gefreut, habe ihn wie einen „echten“ zu genießen versucht – und das rate ich auch Ihnen. Ein Ersatz für ein Liveerlebnis kann das niemals sein – aber ein Besser-als-nichts ist es allemal. Also schauen Sie sich nicht zum xten Mal die Netrebko/Villazon-Traviata auf DVD an, lieber Opernfreund-Freund, sondern sehen Sie sich auf den Seiten des Theater Osnabrück um, auf denen fast 10 Produktionen aus Schauspiel und Konzert, aus Ballett und Musiktheater aufs Entdecktwerden warten. Sie finden diese unter https://www.theater-osnabrueck.de/spielplan/digitales-theater.html
Ihr
Jochen Rüth
22.02.2021
Die Fotos stammen von Jörg Landsberg.